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der Verwaltung notwendig, daß dieselben ge-
schehen auf Grund der übergeordneten Gewalt
durch die vorgesetzte Dienstbehörde, welche
nach denselben Rücksichten der Zweckmäßigkeit ent-
scheidet wie die Vorinstanz, aber mehr noch die
allgemein leitenden Grundsätze im Auge behalten
und von einem höheren, durch zufällige Einzel-
heiten weniger beeinflußten Standpunkt aus ihre
Entschließungen fassen wird.
Die tatsächliche Entwicklung unserer staatlichen
Verhälknisse hat sich erst in jüngster Zeit der Ver-
wirklichung dieser grundsätzlichen Forderung ge-
nähert. Während zur Entscheidung über Rechts-
verletzungen aus dem Gebiet des Privatrechts von
jeher unabhängige Gerichtshöfe als Notwendigkeit
anerkannt waren, ist diese Notwendigkeit für das
Gebiet des öffentlichen Rechts weit seltener und
in weit geringerem Umfang anerkannt worden.
Hier war daher der geschädigte Staatsbürger meist
nur auf die Beschwerde angewiesen. In der Be-
schränkung der verwaltungsrechtlichen Beschwerde
auf das ihr naturgemäß zukommende Gebiet be-
steht eine der wichtigsten Gewähren des Rechts-
schutzes. Zu Zeiten des alten deutschen Reichs
hatten, während Beschwerden im obigen Sinn der
Entscheidung durch die Territorialgewalt vorbe-
halten waren, die Untertanen, wenn sie sich durch
die Territorialgewalt in ihrem Recht verletzt sahen,
die Befugnis, um Abhilfe an die Reichsgerichte
im Weg der Klage sich zu wenden, auch wenn die
Rechtsverletzung auf dem Gebiet des öffentlichen
Rechts lag. Bei der Machtlosigkeit der Reichs-
gerichte gegenüber den größeren Territorien war
dieser unbedingte Rechtsschutz freilich größer in
der Theorie als in der Praxis. Seine staats-
rechtliche Begründung fand er in der Unterord-
nung der Territorien unter die Reichsgewalt. Als
daher die Territorien durch die Ereignisse des
Jahres 1806 selbst souverän geworden waren,
verpönte die staatsrechtliche Theorie und Praxis
mit geringen Ausnahmen eine solche Klage, weil
der zur Entscheidung derselben zu bestellende Ge-
richtshof immerhin auch ein Organ des Staats
gewesen sein würde und der Staat selber nicht zu
Gericht sitzen könne über Streitigkeiten zwischen
seinen eigenen Beamten und seinen Untertanen.
Man kannte in allen Fällen des Konflikts zwischen
Beamten und Untertanen einschließlich aller Rechts-
verletzungen nur die Beschwerde an die im Dienst
vorgesetzte Behörde. Es drang der Grundsatzdurch,
daß jede Verwaltungsbehörde für ihr Ressort selbst
die Verwaltungsgerichtsbarkeit habe, und daß von
ihren Entscheidungen nur appelliert werden könne
im Weg der Beschwerde an die ressortmäßig über-
geordnete Behörde im vorgeschriebenen Instanzen-
zug bis zum Minister hinauf. Ausgenommen
waren nur gewisse Streitigkeiten mit Behörden
oder Beamten, welche einen besondern privat-
rechtlichen Charakter hatten; für diese war die
Klage bei den ordentlichen Gerichten zugelassen.
Selbst gegenüber polizeilichen Verfügungen wurde
Beschwerderecht.
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dieser Grundsatz gehandhabt. Das preußische
Gesetz vom 11. Mai 1842 z. B. ließ gegen solche
nur Beschwerden zu, „sie mögen die Gesetzmäßig-
keit, Notwendigkeit oder Zweckmäßigkeit derselben
betreffen“; es ließ nur in ganz geringem Umfang
eine gerichtliche Klage gegen dieselben zu, „wenn
die Verletzung eines zum Privateigentum gehören-
den Rechts behauptet“ wurde. — Im einzelnen
war die Entwicklung in den deutschen Staaten
eine sehr verschiedene. Was dabei allgemein als
großer Mangel empfunden wurde, war, daß auch
über Rechte auf dem Weg der Beschwerde, also
nicht von unabhängigen Gerichten, sondern von
der vorgesetzten Dienstbehörde, nicht auf Grund
öffentlicher, kontradiktorischer Verhandlung, son-
dern im geheimen Verfahren und lediglich auf
Grund der Akten entschieden wurde.
Einen entscheidenden Schritt zugunsten größerer
Beschränkung der Beschwerde tat zuerst Baden mit
dem Gesetz vom 5. Okt. 1863, sodann Preußen
mit seiner Verwaltungsreform seit 1872. Diese
schuf Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts
in den Kreis-, Stadt= und Bezirksausschüssen und
dem Oberverwaltungsgericht in Berlin, welche
ebenso wie die andern Gerichtshöfe mit allen Ge-
währen der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit
umgeben sind und vor denen über alle Rechtsver-
letzungen aus dem Gebiet des öffentlichen Rechts
auf erhobene Klage hin im öffentlichen, münd-
lichen Verfahren entschieden wird, sowohl bei
Streitigkeiten zwischen Staatsbürgern und Selbst-
verwaltungskörpern oder staatlichen Behörden
als bei Streitigkeiten zwischen diesen letzteren.
Dadurch ist im allgemeinen die Beschwerde an die
vorgesetzte Dienstbehörde, welche ebenfalls neu
geregelt worden ist, beschränkt worden auf das ihr
naturgemäß zukommende Gebiet, wenn nämlich
nur die Verletzung eines Interesses ohne gleich-
zeitige Verletzung eines Rechts behauptet werden
kann. — Im einzelnen bestimmt das preußische
Gesetz über die allgemeine Landesverwaltung vom
30. Juli 1883 über die Beschwerde folgendes:
Gegen polizeiliche Verfügungen der Orts-
und Kreispolizeibehörden (welche stets Einzel-
beamte sind, Amts-, Guts= und Gemeindevor-
steher, Bürgermeister, Landräte, Polizeipräsi-
denten) findet zunächst ganz allgemein die Be-
schwerde statt, und zwar sowohl bei Rechts= wie
bei Interessenverletzungen. Diese Beschwerde geht
entweder an den Landrat und gegen dessen Be-
scheid an den Regierungspräsidenten oder an den
Regierungspräsidenten. und dann an den Ober-
präsidenten, oder (in Berlin) sofort an den Ober-
präsidenten. Gegen polizeiliche Verfügungen des
Regierungspräsidenten findet die Beschwerde an
den Oberpräsidenten statt. Fühlt sich der durch
einen in letzter Instanz ergangenen Bescheid ab-
gewiesene Beschwerdeführer alsdann noch in seinem
Recht verletzt, so hat er als weiteres Rechtsmittel
die Klage an das Oberverwaltungsgericht. Statt
dieser Beschwerde kann aber der Beschwerte, falls