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so sorgfältig zu beachten, daß er den Handel der
Neutralen nicht über die Grenzen des positiven
oder vertragsmäßigen Rechts hinaus beeinträchtigt.
Voraussetzung des Durchsuchungsrechts ist ein
Krieg (es genügt ein Bürgerkrieg) und die Fahrt
eines Handelsschiffes außerhalb der Küstengewässer
eines neutralen Staats. Die lediglich der Küsten-
fischerei oder der kleinen Lokalschiffahrt dienenden
Fahrzeuge sind von der Durchsuchung befreit, so-
fern sie nicht an den Feindseligkeiten teilnehmen.
Das gilt auch von allen mit religiösen, wissen-
schaftlichen oder menschenfreundlichen Aufsgaben
betrauten Schiffen.
Die Durchsuchung ist auch im Gebiet des Bun-
desgenossen zulässig; doch ist bestritten, ob nur
im Fall der ausdrücklich oder stillschweigend
erteilten Genehmigung oder auch ohne solche;
jedenfalls ist der Bundesgenosse befugt, sein Ge-
biet auszuschließen. In den dem Kriegsschauplatz
ferngelegenen Meeren ist das Durchsuchungsrecht
gegen neutrale Schiffe nur so weit auszuüben, als
der Verdacht einer Neutralitätspflichtverletzung
wirklich begründet ist und die Annahme vorliegt,
daß die Visitation die Beschlagnahme des visitierten
Schiffes zur Folge haben könne. In den Terri-
torialgewässern steht die Durchsuchung der Hafen-
polizei und den Zollbehörden zu. Die im exemten
Gebiet gemachten Prisen sind, jedoch nur auf Re-
klamation des neutralen Staats, herauszugeben.
Streitig ist, ob das Visitationsrecht während eines
Waffenstillstands ausgeübt werden darf, wenn in
der Vereinbarung über den Waffenstillstand nichts
bestimmt ist. Die Frage wird bejaht von Perels § 7
(Das internationale öffentliche Seerecht 292), ver-
neint von de Negrin (Tratado elemental de
derecho internacional maritimo § 282) und
Hautefeuille (De droits et de devoirs des
nations neutres en temps de guerre maritime
IV44). — Den Kriegsschiffen der Neutralen steht
das Durchsuchungsrecht nicht zu, nicht einmal
gegenüber Kapern der Kriegführenden. Doch
nimmt England dieses Recht für seine Kriegsschiffe
Kapern gegenüber in Anspruch, welche im Begriff
sind, ein englisches Kauffahrteischiff aufzubringen.
Es ist selbstverständlich, daß gegenüber solchen
Kapern, welche sich der Piraterie verdächtig machen,
den HKriegsschiffen aller Nationen das Durch-
suchungsrecht zusteht. — Nur Handelsschiffe sind
der Durchsuchung unterworfen, nicht auch Kriegs-
schiffe und andere Staatsschiffe der Neutralen.
Die Briefpostsendungen sind unverletzlich, mögen
sie amtlicher oder privater Natur sein. Daher
müssen sie bei der Beschlagnahme eines neutralen
oder feindlichen Schiffes nach dem Haager Ab-
kommen von dem Beschlagnehmenden unverzüglich
weiterbefördert werden. Die Postdampfer der
Neutralen unterliegen der Durchsuchung. Sie soll
aber nur im Notfall unter möglichster Schonung
und Beschleunigung vorgenommen werden.
Das Verfahren bei der Durchsuchung zer-
fällt in die Anhaltung (droit Tarrét), die
Durchsuchungsrecht.
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Prüfung der Papiere (droit de visite) und die
Durchsuchung (droit de recherche). Das An-
halten des neutralen Schiffs und die Durchsicht
seiner Papiere können nach der Erklärung des
Staatssekretärs v. Bülow im deutschen Reichstag
vom 19. Jan. 1900 jederzeit vorgenommen wer-
den. Das Anhalten geschieht in folgender Weise:
Der Kreuzer nähert sich dem zu durchsuchenden
Schiff und gibt durch einen Kanonenschuß das
Signal zum Beidrehen oder Stoppen. Dieser
Schuß muß unter der Nationalflagge abgegeben
werden; zur Nachtzeit ist über die Flagge eine
Laterne zu setzen. Die Entfernung, aus welcher
das Signal zu geben und welche von dem Kreuzer
einzuhalten ist, ist festgesetzt: bald auf Kanonen=
schußweite, bald nicht näher als auf Kanonen-
schußweite, bald außerhalb solcher, bald auf halbe
Kanonenschußweite; bald ist sie, und so namentlich
in den neueren Verträgen, von den Umständen
des Einzelfalls, z. B. von den nautischen und
Witterungsverhältnissen, dem Grad des Verdachts,
abhängig gemacht. Das letztere ist das allein
Sachgemäße. Leistet das angehaltene Schiff dem
Signal nicht Folge, oder sucht es zu entfliehen,
so ist auf dasselbe scharf zu schießen; leistet es auch
einem in die Takelage abgegebenen scharfen
Schuß nicht Folge, so ist jede zu dem Zweck der
Anhaltung erforderliche Gewaltmaßregel zulässig.
Leistet dabei das Schiff gewaltsamen Widerstand,
so ist es schon aus diesem Grund, da es sich einer
feindseligen Handlung schuldig macht, gute Prise
(preußisches Prisenreglement vom 20. Juni 1864
Nr 3 und § 4 Nr 2; deutsch-ägyptischer
Handelsvertrag vom 19. Juli 1892). Flieht das
Schiff nur, ohne sich zu widersetzen, so ist es als
verdächtig aufzubringen; ein Grund für dessen
Kondemnierung kann in der Flucht an sich nicht
gefunden werden. Ob in Fällen des Widerstands
neben dem Schiff auch die Ladung zu konfiszieren
sei, sei es unter allen Umständen, sei es nur in
dem Fall, daß der Reeder oder Kapitän gleich-
zeitig Ladungseigentümer ist, wird bestritten. Die
englische Praxis ist für die Konfiskation, aber
offenbar mit Unrecht; denn für die Konfiskation
der Ladung kann nur deren Inhalt oder Be-
stimmung maßgebend sein. Unbestritten hat der
Widerstand eines feindlichen Schiffes, als ein
durchaus berechtigter Akt, nicht die Konfiskation
der an Bord eines solchen befindlichen neutralen
Ladung zur Folge.
Dem Anhalten des Schiffes folgt die Prü-
fung seiner Papiere. Dieselbe findet entweder
an Bord des Kreuzers oder an Bord des an-
gehaltenen Schiffes statt. Osterreich und Däne-
mark verlangen, daß der Schiffer mit den Schiffs-
papieren an Bord des Kreuzers zu kommen habe;
Frankreich, Italien, Rußland und das Deutsche
Reich lassen die Prüfung der Papiere an Bord
des zu visitierenden Schiffes vor sich gehen. Diese
letztere Vorschrift verdient den Vorzug, weil durch
die Fahrt des Schiffers nach dem Kreuzer die