Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

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diese tritt erst dadurch ein, daß die Vereinbarung 
von Staat und Kirche vertragsmäßig zum staat- 
lichen und kirchlichen Gesetz erhoben wird. Für 
die Vereinbarung selbst ist eine bestimmte Form 
nicht notwendig; es genügt, daß sie, wenn auch 
nur in Protokollen, schriftlich fixiert worden ist. 
In der Publikation als Kirchen= und als Staats- 
gesetz ist ein Hinweis auf die getroffene Verein- 
barung nicht erforderlich. Je nach der Art der 
beiderseitigen Publikation des Vertragsinhalts als 
Kirchen- und als Staatsgesetz unterscheidet man 
verschiedene Formen der Konkordate. Entweder 
wird das Übereinkommen in zwei äußerlich von- 
einander unabhängigen Gesetzen, einem staatlichen 
mit den staatlichen, einem kirchlichen mit den kirch- 
lichen Zugeständnissen publiziert (so das Wormser 
Konkordat von 1122: als Privilegium Calixzti 
Papae II und als Praeceptum Henrici V Im-- 
peratoris Walter, Fontes iur. eccles. antiqui 
et hodierni (1862) 73 ff; Mirbt, Quellen zur 
Geschichte des Papsttums (21901) Nr 2051, eben- 
so das sardinische Konkordat von 1727). Oder es 
wird das Übereinkommen in Form einer von den 
beiderseitigen Bevollmächtigten unterzeichneten, 
vom Papst und dem Staatsoberhaupt ratifizierten 
Vertragsurkunde publiziert (so das Wiener Kon- 
kordat von 1448 [Walter a. a. O. 100; Mirbt 
a. a. O. Nr 261. das französische Konkordat von 
1801 und die andern, vorzugsweise Konkordat ge- 
nannten Vereinbarungen des 19. Jahrh.). End- 
lich aber wird die Vereinbarung auch publiziert in 
Form einer päpstlichen Bulle, deren Text mit der 
Staatsgewalt vereinbart war und dievondieser auch 
als staatlich verbindlich erkannt wird (so die Zir- 
kumskriptionsbullen des beginnenden 19. Jahrh.). 
(Über den Konkordatscharakter der Zirkumskrip- 
tionsbullen vgl. Lämmer, Institutionen des kathol. 
Kirchenrechts I21892. 57 A. 5; Scherer, Hand- 
Konkordate. 
  
buch des Kirchenrechts I 1 1886), 154 A.7; Lite- 
ratur bei Hübler, Kirchenrechtsquellen (*1902)36.) 
2. Uber Natur und bindende Kraft der 
Konkordate ist viel gestritten worden; sehr oft hat 
die wissenschaftliche Neutralität bei diesem Streite 
gefehlt. In nicht wenigen Fällen war man ledig- 
lich bestrebt, für eine bestimmte, von vornherein 
feststehende kirchenpolitische Stellungnahme (Ver- 
werfung eines bestimmten Konkordates oder Ab- 
lehnung von Konkordatsabschlüssen überhaupt) 
einen juristischen Titel zu finden; nicht selten ist 
die Sache mit Absicht verwirrt worden. Es handelt 
sich bei dem Streit über die Natur der Konkordate 
wesentlich um die Frage: Welcher Art ist die 
gegenseitige Bindung, die sich aus dem Abschluß 
eines Konkordates für Staat und Kirche ergibt? 
Entsteht überhaupt eine wechselseitige Verpflich- 
tung für beide Teile, die abgeschlossene Verein- 
barung zu halten? Insbesondere: Entsteht durch 
Abschluß eines Konkordates eine vertragsmäßige 
rechtliche Bindung beider Teile oder nicht? 
Die Ansichten stehen sich gegenüber. Die sog. 
Vertragstheorie nimmt die Konkordate als das, 
  
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als was sie schon nach der ganzen Art ihres Zu- 
standekommens sich geben: als Verträge, und an- 
erkennt eine wechselseitige rechtliche Bindung von 
Staat und Kirche. Eine gewisse kirchliche Rich- 
tung bestreitet die Möglichkeit einer rechtlichen 
Bindung des Papstes in der Ausübung seiner 
kirchlichen Kompetenz und erklärt die in einem 
Konkordate gemachten kirchlichen Zugeständnisse 
als päpstliche Privilegien (Privilegientheorie). 
Eine extrem staatliche Richtung bestreitet die Mög- 
lichkeit einer vertragsmäßigen rechtlichen Bindung 
des Staates gegenüber der Kirche und erkennt eine 
rechtliche Bindung des Staates bloß insoweit an, 
als er selbst durch seine eigne souveräne Gesetz- 
gebung sie sich auferlegt (Legaltheorie). Aber 
weder die Legaltheorie noch die Privilegientheorie 
wollen mit der Leugnung der rechtlichen Bindung 
edwede aus dem Konkordat sich ergebende gegen- 
eitige Bindung ablehnen. Nur ein ganz extremer 
Flügel der Legalisten versucht auch dieses; die 
Konkordate seien nur „der Ausdruck der Identität 
der Ansichten“ (Sarwey, Über die rechtliche Natur 
der Konkordate, in Doves Zeitschr. für Kirchenrecht 
II 1862] 438). Sonst aber anerkennt die Legal- 
theorie gerade in ihren hervorragendsten neueren 
Vertretern doch eine aus der Vereinbarung sich 
ergebende moralische Verpflichtung des Staates. 
So sagt Hinschius (Die Stellung der deutschen 
Staatsregierungen gegenüber den Beschlüssen des 
Vatikanischen Konzils (/1871) 28), daß die Inne- 
haltung der Vereinbarungen zwischen Staat und 
Kurie mit der Annahme, die Konkordate seien keine 
rechtlich verbindenden Verträge, nicht ausgeschlossen 
werde; „vielmehr erfordere Treue und Glauben 
dieselbe ebenso, wie es der Anstand und die gute 
Sitte verlangen, daß von den Privatpersonen ge- 
wisse, vom Zivilrecht für unklagbar und nichtig 
erklärte Verträge gehalten werden“. Es sei keine 
rechtliche, wohl aber eine Frage der Staatsmoral 
und der Politik, ob ein Staat sich weiterhin durch 
ein Konkordat für gebunden halte. Stutz (Kirchen- 
recht, in v. Holtzendorff-Kohler, Enzyklopädie der 
Rechtswissenschaft II I„/1904] 907/908, § 56) 
verwirft die Ansicht, die der Kirche gemachten Zu- 
geständnisse seien frei widerrufliche staatliche Ver- 
leihungen, und anerkennt eine „materielle Bindung 
moralischer Natur“, wenn sie auch selbstverständlich 
durch das Prinzip der Selbsterhaltung beschränkt 
sei. Auch die Anhänger der Privilegientheorie, 
mögen sie nun die kirchlichen Zugeständnisse der 
Konkordate ganz oder doch zum Teil für päpstliche 
Privilegien erklären, anerkennen eine moralische 
Verpflichtung der Päpste, diese Privilegien auf- 
recht zu erhalten. Die Päpste seien zwar nicht 
rechtlich, aber sittlich gebunden. Kein Papst könne 
erlaubterweise die von seinem Vorgänger im Kon- 
kordate gemachten Zugeständnisse ohne schwer- 
wiegende Gründe, etwa nach reiner Willkür (arbi- 
trarie) zurückziehen. Es gelte auch hier das Wort: 
verbum pontificium non sit temere violan- 
dum (Wernz, Lus decretalium 1 (719051 249; 
  
d#. 
 
	        
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