Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

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lichst bald dem Reichstag einen Gesetzentwurf betr. 
Kartelle, Trusts und ähnliche Vereinigungen vor- 
zulegen. Als Zielpunkte der Reglung werden zur 
Erwägung empfohlen: 
1. Errichtung eines Reichskartellamts, 
sei es als besonderer Abteilung im Reichsamt des 
Innern, sei es als eignen Amtes nach Vorbild 
des Aussichtsamtes für Privatversicherung; 
2. Festsetzung von Mindestvorschriften 
bezüglich der Satzungen, insbesondere betr. die 
Zulassung von Schiedsgerichten; 
3. Verpflichtung zur Anzeige der Errichtung 
und zur Einreichung der Satzungen beim Kartell- 
amt; Führung eines Kartellregisters; 
4. Aufsicht des Kartellamtes über die 
Geschäftsführung mit dem Rechte der Entsendung 
eines Kommissars zu den Beratungen; Aus- 
kunftspflicht der Kartelle; 
5. Regelmäßige Veröffentlichungen des Kar- 
tellamtes.“ 
Mit dieser Resolution wurde noch ein Zusatz- 
antrag von Dr Wagner (kons.) angenommen betr. 
Festsetzung von Maßnahmen gegen diejenigen 
Kartelle, welche den Anordnungen des Kartell- 
amtes nicht Folge leisten. Der Kern der Zentrums- 
resolution ist Punkt 4 betr. die Aussicht des 
Kartellamtes. Hierzu führte Abg. Dr Mayer 
(Reichstagssitzung vom 5. März 1908) unter 
anderem aus: 
„Diese Aussicht soll keine bevormundende, sondern 
eine mehr passive, mehr informatorische sein. Großen 
Wert legen wir auch auf die Bestimmung, daß das 
Kartellamt berechtigt sein soll, Kommissare zu 
den Beratungen der Kartellorgane zu entsenden. 
Mit dieser Delegation von Kommissaren hat man 
bei der Privatversicherung meines Wissens günstige 
Erfahrungen gemacht. In Deutschland wird ja 
jetzt schon hin und wieder die Konzession größerer 
Betriebe, wo dies gesetzlich möglich ist, von der Be- 
dingung abhängig gemacht, daß ein Regierungs- 
vertreter in dem Aufsichtsrat, dem Grubenvor- 
stand usw. des betr. Unternehmens als vollberech- 
tigtes Mitglied Sitzund Stimme habe.. Wenn 
es sich auch nur um eine beratende Mitwirkung 
dieser Herren handelt, so ist doch jedem der Be- 
teiligten jederzeit klar, daß hinter diesem Kom- 
missar die Staatsgewalt und hinter der Staats- 
gewalt ihre wirtschaftspolitischen Machtmittel 
stehen. Ich glaube, daß die bloße Erhebung von 
Einwendungen seitens eines solchen Regierungs- 
kommissars schon in vielen, ja in den meisten 
Fällen dazu führen wird, daß Maßnahmen nicht 
getroffen werden, wie sie jetzt von der Allgemein- 
heit so vielfach beklagt werden.. Das Kartell- 
amt soll kein Antikartellamt sein, es soll nur befugt 
sein, bei Kartellübergriffen sich volle Klarheit über 
das Geschäftsgebaren der betreffenden Kartelle zu 
verschaffen, um dann im Interesse der Allgemein- 
heit erwägen und vorschlagen zu können, ob und 
welche Maßnahmen angebracht und erforderlich 
scheinen."“ 
Der Resolution ist (bis Mitte 1909) von den 
verbündeten Regierungen nicht Folge gegeben 
worden. Der Regierungsvertreter, Staatssekretär 
Kathedersozialismus. 
  
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v. Bethmann-Hollweg, machte in der Reichstags- 
sitzung vom 6. März 1908 Bedenken geltend 
wegen der Schwierigkeit „einer schematischen 
Reglung der Angelegenheit“, gab aber zu, daß 
eine gewisse Staatsaufsicht über die Kartelle ab- 
solut notwendig sei, und betonte, daß die Reichs- 
verwaltung „den Ernst der Sachlage durchaus 
anerkennt und den dringenden Wunsch hat, wenn 
die Kartelle über das zulässige Maß hinausgehen 
sollten, einen Riegel vorschieben zu können“. Da 
eine Mehrheit des Reichstages sich auf den Boden 
der in der Zentrumsresolution niedergelegten For- 
derungen gestellt hat, so kann man wohl an- 
nehmen, daß die Bestrebungen, in dieser Richtung 
zu einer gesetzlichen Reglung des Kartellwesens zu 
gelangen, jedenfalls — hoffentlich nicht ohne bal- 
digen Erfolg — weiter verfolgt werden. 
Faßt man das Urteil über die Kartelle zu- 
sammen, so kann man wohl folgendes sagen: 
Die Kartelle haben ursprünglich die Aufgabe, 
unter Ausschaltung oder möglichster Einschränkung 
der zügellosen Konkurrenz die Produktion plan- 
voller und gleichmäßiger zu gestalten. Sofern sie 
sich bei Verfolgung dieses Strebens in den rich- 
tigen Grenzen halten, kann man ihre Wirksamkeit 
als berechtigt und dem Gesamtwohl dienlich be- 
trachten. Zu verurteilen ist dagegen eine Kartell- 
politik, welche unter Außerachtlassung der Inter- 
essen der Allgemeinheit auf eine rücksichtslose 
Steigerung des Unternehmergewinnes abzielt und 
dabei besonders die Interessen der weiterverarbei- 
tenden Industrien, der Verbraucher überhaupt 
und der in den kartellierten Betrieben tätigen 
Arbeiter schwer schädigt. Gegenüber solchen, in 
zahlreichen Einzelfällen zutage getretenen Über- 
griffen und Auswüchsen des Kartellwesens muß 
unbedingt der Staat mit entsprechenden gesetz- 
lichen bzw. wirtschaftspolitischen Maßnahmen ein- 
chreiten. 
Literatur. Kleinwächter, Die K. (1883); Stein- 
mann-Bucher, Wesen u. Bedentung der gewerb- 
lichen K., in Jahrbuch für Gesetzgebung u. Ver- 
waltung 1891; Liefmann, Die Unternehmerver- 
bände (1897); Pohle, Die K. der gewerblichen 
Unternehmer (1898); Schäffle, Zum K. wesen u. 
zur K politik, in Zeitschrift für gesamte Staats- 
wissenschaft 1898; Grunzel, über K. (1902); 
Baumgarten u. Meszleny, K. u. Trusts (1906); 
Schriften des Vereins für Sozialpolitik, Bd 60: 
über wirtschaftliche K. in Deutschland u. im Aus- 
land (1894); Bd 61: Verhandlungen der Wiener 
Generalversammlung (1894) über die K. (1895); 
Bd 116: Verhandlungen der Mannheimer General- 
versammlung (1905) über das Verhältnis der K. 
zum Staat (Referate von G. Schmoller u. E. Kir- 
dorf, 1906); Denkschrift über das K.wesen (4 Tle: 
Drucksachen des deutschen Reichstages 1905/06 
Nr 4 u. 351, 1907 Nr 255, 1907/09 Nr 1019); 
Kontradiktorische Verhandlungen über deutsche K. 
(5 Bde); Kartell-Rundschau, Zeitschr. für K.wesen 
u. verwandte Gebiete, hrsg. von S. Tschierschky 
(seit 1903). O. Thissen.) 
Kathedersozialismus s. Sozialpolitik.
	        
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