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redlich zu scheinen, ist sehr nützlich. Man muß
sein Gemüt so bilden, daß man, wenn es not-
wendig ist, auch das Gegenteil davon vorbringen
kann. Ein Fürst muß sich daher wohl hüten, daß
nie ein Wort aus seinem Munde gehe, das nicht
von den obengenannten fünf Tugenden zeugt.
Alles, was von ihm herkommt, muß Mitleid,
Treue, Menschlichkeit, Redlichkeit, Frömmigkeit
atmen. Nichts aber ist notwendiger als der Schein
der letztgenannten Tugend. Denn die Menschen
urteilen im ganzen mehr nach den Augen als nach
dem Gefühl. Der Fürst suche nur sein Leben und
seine Gewalt zu sichern. Die Mittel werden immer
für ehrenvoll gelten und von jedermann gelobt
werden; denn der große Haufe hält es stets mit
dem Schein und mit dem Ausgang. Der Fürst
soll weder das Vermögen noch die Weiber seiner
Untertanen antasten, sich bemühen, immer mutig
und würdig zu erscheinen. Zwei Dinge hat er vor
allen andern zu fürchten: von außen durch fremde
Feinde und von innen durch Verschwörungen an-
gegriffen zu werden."“
Machiavelli stellt hier die völlige Trennung der
Politik von den ewigen Satzungen des Christen-
tums in gedrängter und klarer Sprache als die
Vollendung, das Ideal der neuen Staatskunst
seiner Zeit hin. Er fußt dabei bis auf die ein-
zelnen Bilder und Tendenzen auf der heidnischen
Korruption. Der Rat an die Fürsten, halb Mensch
halb Tier, bald Fuchs bald Löwe zu sein, stammt
aus Plutarch (Pastor, Gesch. d. Päpste III/8 118),
ebenso die tiefste Verachtung des Volkes; in der
Welt ist nichts als urteilsloser, nur nach dem Schein
oder dem Erfolg urteilender Pöbel. Selbst die un-
beschreiblichen Grausamkeiten seiner Zeitgenossen
verteidigt er im Hinblick auf das römische Alter-
tum. Cesare Borgia hat wohl seine Bundes-
genossen ermordet, aber doch nie Städte zerstört;
auch dies empfiehlt (c. 5) der Florentiner: „Wer
der Herr einer Stadt wird, welche daran gewohnt
ist, frei zu leben, und sie nicht zerstört, der möge
darauf gefaßt sein, von ihr abgetan zu werden."
Im Schlußkapitel (26) fordert Machiavelli die
Medici auf. „Italien von den Barbaren zu
befreien“; er lockt dazu (Lorenzo de' Medici?):
„Wir sehen Italien angesichts der barbarischen
Frevel und Grausamkeiten ganz willig und bereit,
einer Fahne zu folgen; wenn nur einer wäre, der
sie ergriffe.“ Und doch hatte derselbe Verfasser in
einem Privatbriefe (1513 oder 1514) geschrieben:
„Was die Vereinigung der Italiener angeht, so
macht ihr mich lachen; zuerst weil hier nie eine
Einigkeit für etwas Gutes zustande kommt, und
wenn sich selbst die Häupter einigen, so reicht dies
nicht aus, weil wir keine Soldaten haben, die
einen Pfennig wert sind, die Spanier ausge-
nommen; weil die Glieder nie mit den Häuptern
einig sind.“ Solche Phantasien als Patriotismus
Unkundigen feilbieten zugunsten eines Mannes,
dessen Politik nichts ist als das Ergebnis persön-
licher Mißgeschicke und skrupelloser Mißachtung
Machiobelli.
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der Moral, altklassischer Ideale, des Strebens nach
Fürstengunst zur Befriedigung niedriger Inter-
essen, verletzt allen Anstand. Machiavelli war le-
diglich ein Anbeter des Absolutismus und seiner
Verwirklichung durch die Handstreiche der Gewalt.
Die Entschuldigung, es handle sich bei Machiavelli
nur um Ausnahmefälle, nicht um prinzipielle
Politik, ist in sich hinfällig. Sein ganzes Schrift-
tum dient absolutistischen Tendenzen.
In der Arte della guerra sette libri emp-
siehlt er die Reform und Ausbildung des italieni-
schen Milizwesens nach dem Vorbild der Römer;
in den Istorie fiorentine von 1214 bis 1492
(Florenz 1532; deutsch von Reumont, 2 Bde,
1846/55), einem der meist bewunderten Werke
der italienischen Prosa, behandelt er, obwohl selbst
der Partei der Popolare (der Volkspartei der alten
Republikaner, welche de' Medici stürzten) nahe-
stehend, die Mediceer so milde, daß er den Un-
willen seiner Freunde erregte; in den Discorsi
sopra la prima decadi di Tito Livio (Rom
1532; deutsch von Grützmacher, 187 1) preist er
die römische Staatsverfassung als die vorzüglichste.
In Ergänzung und Erklärung des Principe zeigt
Machiavelli hier, durch welche Staatsnormen ein
Fürst stark und mächtig werde. „Wo“, so heißt
es dort (III, c. 41), „es sich um die Rettung des
Vaterlandes handelt, darf kein Bedenken, ob ge-
recht oder ungerecht, mild oder grausam, löblich
oder schimpflich, ins Spiel kommen.“ Neben der
Entschuldigung des Brudermordes durch Romulus
(I, c. 9), neben Beispielen des krassesten Aber-
glaubens (I, c. 61) tritt auch hier der bis zur
Entschuldigung der verbrecherischsten Mittel grei-
fende Priesterhaß zutage (I, c. 27). Wo Machia-
velli die Notwendigkeit der Religion für den Staat
erwähnt, gilt ihm diese lediglich als frommer
Trug für Ungebildete, als politisches Mittel ihrer
Leitung. Das Verständnis für das Wesen und
die Bedeutung der Religion scheint bei ihm er-
loschen: das Christentum mache feige, das Heiden-
tum groß und stark (II, c. 2). Gegen die Ansicht,
daß „das Gedeihen der italienischen Nation von
der römischen Kirche abhänge“, wendet er sich mit
dem Hinweis auf das Beispiel des römischen Hofes,
der alle Frömmigkeit und alle Religion ver-
loren und allein an der Uneinigkeit und Schwäche
Italiens schuld sei (I, c. 12), was im Munde Ma-
chiavellis, der das Christentum für staatsgefährlich
erklärt, geradezu wahrheitswidrig klingt. Daß ein
Mann, der im Leben und Denken ein so abstoßen-
des Gemisch von Zyniker und Epikureer (Reu-
mont) war und zuletzt von seinen Landsleuten als
eine Verbrechernatur angesehen wurde, dennoch
auf seinem Totenbett den Beistand des Priesters
(22. Juni 1527) suchte, ist ein Zeichen, wie tief
auch in den unseligsten Gestalten der falschen Re-
naissance noch das Christentum wurzelte. „Die
Ursache des allgemeinen Hasses“, sagt Varchi (bei
Pastor a. a. O. III 123), „der auf Machiavelli
lastete, war die Ausgelassenheit seiner Rede, sein