Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

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schläge stehen seit Jahren im Vordergrund der 
politischen Diskussion. 
Endlich ist noch ein Wort über diejenigen Auf- 
gaben zu sagen, welche aus der Stellung des 
Staats dem Handel gegenüber entspringen. Von 
vornherein leuchtet dabei ein, daß eine einseitige 
Handelspolitik, welche sich nicht gleichzeitig von 
agrar= und gewerbepolitischen Erwägungen mit- 
bestimmen lassen wollte, der Pflicht des Staats, 
die allgemeine Wohlfahrt zu fördern, nicht ent- 
sprechen würde. Das Interesse des Handels geht 
auf möglichste Beseitigung aller Einrichtungen und 
Bestimmungen, welche die freie Entfaltung zu 
hemmen, und ebenso auf Beförderung alles dessen, 
was Umfang, Leichtigkeit und Raschheit des Güter- 
austauschs zu steigern imstande ist. Nun sind die 
mancherlei Schranken im Innern, welche in frühe- 
ren Zeiten teils fiskalische Absichten teils die lokale 
Abgrenzung der einzelnen Märkte hatten errichten 
lassen, in der Gegenwart wohl allerwärts nieder- 
gelegt; die Frage aber ist, ob auch zwischen Staat 
und Staat volle Verkehrsfreiheit herrschen, oder 
ob das Interesse der einheimischen Produktion als 
ein höheres und besser berechtigtes gelten solle. 
Freihandel und Schutzzoll sind die Pole, um 
welche sich die äußere Handelspolitik dreht. Er- 
scheint die Handelsfreiheit vom Standpunkt einer 
abstrakten, nur nach logischen Kategorien vor- 
wärtsschreitenden Betrachtung als das allein Na- 
turgemäße, so würde doch bei der Ungleichheit der 
Produktionsbedingungen ein uneingeschränkter 
Konkurrenzkampf notwendigerweise zum völligen 
Niedergang der minder begünstigten Produktions-- 
gebiete hinführen. So kann der Schutzzoll als 
nationale Notwehr erscheinen, er kann sich in 
andern Fällen als Übergangsstadium und Er- 
Politik. 
  
ziehungsmittel empfehlen, wobei nur Fürsorge 
getroffen werden muß, nicht solche Industrien 
künstlich großzuziehen, die in den natürlichen Be- 
dingungen des Landes keinen Halt haben. Auch 
hier ist es nicht nötig, näher auf einzelnes ein- 
zugehen; das Gesagte genügt, um Wichtigkeit und 
Bedeutung der Probleme anzudeuten. welche auf 
diesem Gebiet der Staatskunst wie der theoretischen 
Politik erwachsen. 
Aber nicht nur Freihandel oder Schutzzoll, son- 
dern nicht minder die Gestaltung des Verkehrs- 
wesens ist von tiefgreifendem Einfluß auf die 
Entwicklung des Handels und mittelbar auf die der 
landwirtschaftlichen und gewerblichen Produktion, 
ja es können unter Umständen Maßregeln der Ver- 
kehrspolitik von größerer Wirkung sein als die 
Einführung oder Beseitigung von Zollschranken. 
Die Hauptfrage, vor welche sich hier die Staaten 
in der Neuzeit gestellt sehen, ist die, ob Bau und 
Betrieb von Eisenbahnen, Telegraphenlinien usw. 
privaten Erwerbsgesellschaften zu überlassen oder 
  
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das nächste Interesse von Handel, Gewerbe und 
Ackerbau in Betracht, sondern auch der Einfluß, 
welchen mächtige Assoziationen möglicherweise auf 
das gesamte Leben eines Staats ausüben können. 
Dies führt sodann auf die allgemeine Frage, welche 
Stellung der Staat zu den modernen Geldmächten, 
den kapitalistischen Vereinigungen, Banken, Kredit- 
instituten usw. einzunehmen habe. Auch hier ist 
die rechtliche Reglung der Natur der Sache nach 
durch Erwägungen der Zweckmäßigkeit und der 
allgemeinen Wohlfahrt mitbestimmt, so daß eine 
verschiedenartige Stellungnahme möglich ist und 
sich zwischen den Extremen vollständiger Verstaat- 
lichung des Bank= und Kreditwesens und der ebenso 
vollständigen Uberlassung desselben an private 
Unternehmer mannigfache Abstufungen ergeben 
können. Ein Gleiches gilt endlich von den ver- 
schiedenen Zweigen des Versicherungswesens, wäh- 
rend bei der Stellung des Staats zu den Syndi- 
katen, Kartellen und Trusts noch andere Gesichts- 
punkte in Betracht kommen. 
Im vorangehenden ist ein Überblick über die 
mancherlei Probleme der Wirtschaftspolitik ver- 
sucht worden, um daran die aufgestellte Definition 
der Politik zu illustrieren. Spricht man daneben 
von Sozialpolitik, so könnte man den Unter- 
schied darin finden, daß dort der Nachdruck auf 
die Wirtschaft als solche, hier auf die in ihr sich 
betätigenden Menschen falle. Zutreffender aber 
dürfte es sein, in der Sozialpolitik das größere 
Ganze zu erblicken, von welchem die Wirtschafts- 
politik einen Teil bildet. Bei dem Namen der 
„Gesellschaft“ pflegt man an die Interessen und 
Beschäftigungen zu denken, welche den eigentlichen 
Inhalt des Lebens ausmachen und die einzelnen 
zu größeren oder kleineren, festeren oder loseren 
Vereinigungen, Gruppen, Kreisen, Ständen inner- 
halb des Staats zusammenzuführen. Den aus- 
einander gehenden, vielfach einander widerstreiten- 
den Bestrebungen gegenüber wahrt der Staat den 
Zusammenhalt des Ganzen. Die Aufgabe der 
Sozialpolitik läßt sich demgemäß ganz allgemein 
dahin bestimmen, daß sie in der „Leitung, För- 
derung und Ausgleichung der verschiedenen Gesell- 
schaftskreise im Interesse der staatlichen Gemein- 
schaft“ bestehe. Daraus ergibt sich zugleich, daß 
es eine wissenschaftlich nicht zu rechtfertigende Ver- 
engung des Begriffs ist, wenn man unter Sozial- 
politik lediglich die auf Hebung der Lage der 
arbeitenden Klassen gerichteten Bestrebungen ver- 
steht. Dagegen greift das Armenwesen mehrfach 
in die Sozialpolitik hinein. Daß einem jeden das 
zum Leben schlechterdings Erforderliche gegeben 
werde, sofern er außerstande ist, sich selbst zu er- 
halten, ist eine Forderung des natürlichen Rechts. 
Wie jedoch dieser Forderung Rechnung zu tragen, 
welchen Organen die Armenpflege zu übergeben 
vom Staat selbst in die Hand zu nehmen seien. ist, welche Kautelen gegen mögliche Mißbräuche zu 
Wenn die Entscheidung selbstverständlich nur unter errichten sind, ist von mancherlei Erwägungen 
dem Gesichtspunkt des allgemeinen Nutzens ge= abhängig und kann in verschiedenem Sinn beant- 
troffen werden kann, so kommt hierbei nicht nur wortet werden. Die vornehmste Aufgabe nach
	        
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