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dieser Richtung hin aber ist, zu verhüten, daß Ele-
mente, welche eingegliedert in bestimmte Erwerbs-
und Berufskreise sich als nützliche Mitglieder der
Gesellschaft erweisen würden, ausgeschieden aus
denselben als träge oder gefährliche Masse der staat-
lichen Fürsorge in Form der öffentlichen Armen-
pflege anheimfallen.
Daß der Wohlfahrtszweck des Staats auch die
Wahrnehmung geistiger Interessen einschließt, ist
oben bemerkt worden. Man könnte demgemäß von
einer Bildungspolitik reden, doch ist das Wort
nicht gebräuchlich, eher spricht man von Schul-
und Unterrichtspolitik. Die Hauptfrage
ist wiederum: Soll der Staat sich im Bereich des
Bildungswesens mit der Oberaufsicht begnügen,
Erziehung aber und Unterricht, niedere und höhere
Schulen der Wirksamkeit des Hauses und der Be-
tätigung freier Assoziationen überlassen, oder soll
er dies alles mehr oder weniger selbst in die Hand
nehmen? Wo man diesen letzteren Weg beschritten
hat, geschah dies in der Regel im Kampf mit der
Kirche, deren Organe in früheren Jahrhunderten
die Träger der Bildung und die Lehrer aller Volks-
stände gewesen waren, ja es ist die eigentliche Be-
deutung des gesetzlichen Schulzwangs und des
staatlichen Unterrichtsmonopols nicht selten gerade
darin erkannt worden, daß sie die wichtigsten
Stützen der staatlichen Kirchenpolitik seien.
Dies führt auf die Stellung, welche überhaupt
der Staat der Kirche gegenüber einnimmt. Auch
hier sollen indessen keine Grundsätze aufgestellt, es
soll lediglich der Kirchenpolitik ihre Stelle im Ge-
samtumfang der politischen Aufgaben angewiesen
werden. Einleuchtend aber ist dieses: wer in der
Kirche eine rein menschliche Anstalt erblickt, wird
die Stellung des Staats ihr gegenüber nicht anders
auffassen als gegenüber den sonstigen, innerhalb
des Staats sich findenden gesellschaftlichen Ver-
einigungen, er wird nur je nach seinem sonstigen
politischen Standpunkt entweder der religions-
genossenschaftlichen Autonomie oder der Ausdeh-
nung staatlicher Kompetenz das Wort reden. Ganz
anders gestaltet sich dagegen das Verhältnis da,
wo man in der Kirche die von Christus gestiftete,
mit eignem Recht ausgestattete Heilsanstalt er-
blickt. Nur genügt es auch hier nicht, die richtige
Formel für das Verhältnis von Kirche und Staat
gefunden zu haben, das Leben bringt unausgesetzt
Berührungen zwischen beiden Gewalten, bei denen
es jetzt auf reinliche Scheidung zwischen Geistlichem
und Weltlichem, jetzt auf harmonisches Zusammen-
gehen ankommt und für politische Erwägungen
Raum übrig bleibt.
3. Verhältnis der Politik zur Moral.
Geht man davon aus, daß der Staat als solcher
in der sittlichen Ordnung begründet ist, so leuchtet
sofort ein, daß ein Widerspruch zwischen den
Zwecken und Aufgaben des staatlichen Lebens und
dem Sittengesetz in Wahrheit nicht bestehen kann.
Der Staatist notwendig zur Aufrechterhaltung und
Weiterentwicklung des Rechts, das Recht aber
Politik.
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wurzelt in der Ethik und hat von daher seine
innerlich bindende Kraft. Die tatsächliche Ent-
wicklung der Menschheit hat zur Ausbildung einer
Vielheit von Staaten geführt, von denen ein jeder
ein einheitliches Ganzes darstellt, welches durch
die gemeinsame staatliche Autorität und die ge-
meinsamen Gesetze zusammengehalten und in seiner
Einheit durch die nationale Zusammengehörigkeit
und die geschichtliche Ausgestaltung verstärkt wird.
Für den einzelnen Staat ergibt sich hieraus neben
dem Rechtszweck der Wohlfahrtszweck, aber auch
dieser ist in die sittliche Ordnung eingeschlossen.
Es folgt aus der Weltstellung des Menschen, daß
er seine körperlichen und geistigen Fähigkeiten be-
täligen, daß er sich die Natur unterwerfen, daß
er im Verein mit seinesgleichen durch Zusammen-
legung der Kräfte und Arbeitsteilung an dem
Werk der Kultur mitarbeiten soll. In den ein-
zelnen geschichtlichen Menschheitskomplexen tritt
alsdann die staatliche Autorität dafür ein, daß die
nach verschiedenen Richtungen auseinandergehen-
den Interessen der einzelnen sich dem Wohl des
Ganzen fügen und Kulturaufgaben, welche die
Leistungsfähigkeit der einzelnen übersteigen, im
Interesse des Ganzen durch die Kräfte der Gesamt-
heit verwirklicht werden. Erscheint so der konkrete
Einzelstaat als eine Voraussetzung dafür, daß
innerhalb eines Menschheitskomplexes die Rechts-
ordnung gewahrt und die gemeine Wohlfahrt ge-
fördert werde, so ist damit auch der selbständige
Bestand dieses Einzelstaats, insofern durch ihn
jene Zwecke realisiert werden, durch die sittliche
w#dnung gestützt und seine Aufrechterhaltung ge-
fordert.
Daß trotzdem praktische Politik und Moral oft
genug sich in feindlichem Gegensatz fanden, ist be-
kannt. Mit dem Namen Machiavellis pflegen wir
die Auffassung zu verknüpfen, welche die Politik
souverän in ihrem Gebiet erklärt und eine Berück-
sichtigung der moralischen Vorschriften nur inso-
weit gelten läßt, als unter Umständen Vertrags-
treue, Achtung vor fremden Rechten und Ver-
meidung von Lastern besser zu den gewünschten
Zielen hinführen als ein gegenteiliges Verhalten.
In der Regel stammt diese Auffassung aus einer
einseitigen Uberspannung des zuvor an letzter
Stelle berührten Moments. Das pflichtmäßige
Streben, den Bestand des Staats zu erhalten,
wird in das leidenschaftliche Verlangen verkehrt,
die Macht desselben auf Kosten anderer zu steigern.
Wenn es in früheren Jahrhunderten am häufigsten
die Fürsten waren, welche unbekümmert um das
Wohl und Wehe der eignen Untertanen bei einer
solchen Politik der Machterweiterung nur ihrem
eignen Ehrgeiz und ihrer Habsucht frönten, so
weiß die Geschichte der alten und der neuen Zeit
doch auch von zahlreichen Fällen, in denen republi-
kanische Gemeinwesen ihre Machtsphäre rücksichts-
los und mittels Vergewaltigung schwächerer Nach-
barn auszudehnen bestrebt waren. In der Gegen-
wart ist einer Politik, welche das Interesse des