Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

9 Patentrecht. 
treibenden sind hier also durch die Gefahr der 
zivilrechtlichen Haftung und der strafgerichtlichen 
Verfolgung genötigt, hinsichtlich der ihnen hinder- 
lichen Patente selbst die Prüfung der Gültigkeit 
der Patente vorzunehmen. Wollen oder können 
sie dies nicht, oder sind sie nicht gewillt, sich auf 
Prozesse einzulassen und die niemals sicher vor- 
auszubestimmende Entscheidung der Gerichte ab- 
zuwarten, so bleibt ihnen nichts übrig, als Ab- 
findungssummen zu zahlen, lediglich um im freien 
Betrieb ihres bisherigen Gewerbes zu bleiben. 
Da nach diesem Verfahren in der Regel derjenige 
im Patentbesitz geschützt wird, der die Erfindung 
zuerst angemeldet hat, und jede Anfechtung des 
erteilten Patents aus dem Grunde, daß der An- 
meldende nicht der wahre Erfinder sei, aus- 
geschlossen ist, so ist die Möglichkeit geschaffen, 
den letzteren seines Rechts auf das Patent zu be- 
rauben; in solchen Fällen bleibt diesem lediglich 
der Weg der Klage auf Entschädigung gegen den 
unbefugten Anmelder. Neben der Massenhaftig- 
keit der nach diesem Verfahren ermöglichten wert- 
losen, häufig nur zum Zweck schwindelhafter 
Spekulation entnommenen Patente müssen diese 
Mißstände hemmend auf den gewerblichen Ver- 
kehr einwirken und erklären nicht bloß hinlänglich 
die Reaktion gegen dieses auch jetzt noch, wenn- 
gleich nicht in strengster Form, weit verbreitete 
System, sondern auch in gewissem Grad die 
Abneigung gegen das Patentwesen überhaupt 
(ogl. oben unter 3). Nach dem Vorprüfungs- 
system unterzieht eine mit der Beurteilung von 
Patentgesuchen fortdauernd betraute technische 
Fachbehörde die angemeldete Erfindung vor Er- 
teilung des Patents einer sachlichen Prüfung in 
Bezug auf Neuheit der Erfindung, mitunter auch 
auf die Legitimation des Anmeldenden und ent- 
scheidet sodann meistens unter Ausschluß des 
Rechtswegs über Erteilung oder Versagung des 
beanspruchten Patents. Diese keineswegs leichte 
Prüfung schließt, wie die Erfahrung lehrt, nicht 
aus, daß entweder Patente für Erfindungen er- 
teilt werden, welche nicht neu sind, oder daß neuen, 
wichtigen Erfindungen von hoher Bedeutung wegen 
vermeintlichen Mangels der Neuheit das Patent 
versagt wird. Die Mängel vollständig zu besei- 
tigen, liegt außer dem Bereich menschlicher Fähig- 
keiten. Sie zu mildern, hat man zu verschiedenen 
Mitteln gegriffen. Neben einer schärferen Be- 
grenzung der die Patentfähigkeit bedingenden 
Voraussetzungen hat man gegen abweisende Be- 
scheide der Patentbehörde einen Instanzenzug 
bzw. den Rechtsweg eröffnet. Vornehmlich aber 
dient diesem Zweck das Aufgebotsverfahren. 
Nach diesem System werden die Anmeldungen, 
nachdem sie aufhre formelle Richtigkeit geprüft sind, 
öffentlich bekannt gemacht und nebst den Beschreibun- 
gen, Zeichnungen u. dgl. zur Einsicht offengelegt, 
so daß den interessierten Gewerbetreibenden Ge- 
legenheit geboten ist, Einwendungen gegen die 
Patenterteilung vorzubringen. Dadurch wird der 
  
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Patentbehörde unmittelbar die Unterstützung der 
beteiligten sachkundigen Kreise in Beschaffung des 
Materials zur Beurteilung der Patentgesuche 
zugeführt. Dieses System ist meistens mit dem 
Vorprüfungsverfahren verbunden. In dieser Ver- 
bindung, welche eine strenge, aber nach Möglich- 
keit gerechte Prüfung der Patentgesuche gewähr- 
leistet, dürfte einerseits einer Uberschwemmung des 
gewerblichen Lebensmitnutzlosen oder gar schwindel- 
haften Patenten, anderseits einer Schädigung be- 
rechtigter Interessen der an dem Schutze der Er- 
findungen zunächst Beteiligten am besten vor- 
gebeugt sein. Die Möglichkeit, daß in dem einen 
oder andern Fall unter der strengen Prüfung auch 
einem an sich berechtigten Antrag der Patentschutz 
versagt werden möchte, kann gegenüber dem an- 
erkannten Grundsatz, daß auch für die Reglung 
des Schutzes der Erfindungen die allgemeinen Ver- 
kehrsinteressen, mit denen das Interesse des Er- 
finders keineswegs immer zusammenfällt, in erster 
sübe stehen, nicht ausschlaggebend ins Gewicht 
allen. 
Für die Wahrung der auf dem Gebiet des 
Patentrechts liegenden Interessen, insbesondere 
für die Erlangung von Patenten, kommen als 
Vertreter und Beistände der Beteiligten haupt- 
sächlich die Patentanwälte (s. unter V) in 
Betracht. 
II. Die deufsche Patentgesetzgebung: 
1. Patentamt. Für die Bearbeitung der Pa- 
tentangelegenheiten ist eine besondere Reichsbehörde, 
das dem Reichsamt des Innern unterstehende 
Patentamt, eingerichtet. Dasselbe hat seinen Sitz 
in Berlin und besteht aus einem Präsidenten, aus 
Mitgliedern, welche die Befähigung zum Richter- 
amt oder zum höheren Verwaltungsdienst besitzen 
(rechtskundigen Mitgliedern), und aus Mitgliedern, 
welche in einem Zweig der Technik sachverständig 
sind (technischen Mitgliedern). Die Mitglieder 
werden, und zwar der Präsident auf Vorschlag des 
Bundesrats, vom Kaiser ernannt. Die Berufung 
der rechtskundigen Mitglieder erfolgt, wenn sie im 
Reichs= oder Staatsdienst ein Amt bekleiden, auf 
die Dauer dieses Amts, andernfalls auf Lebens- 
zeit. Die Berufung der technischen Mitglieder 
erfolgt entweder auf Lebenszeit oder auf fünf 
Jahre. Nach dem Etat für 1909 bestand das 
Patentamt aus einem Präsidenten, 6 Direktoren, 
15 Abteilungsvorsitzenden, 28 Mitgliedern der 
Beschwerdeabteilungen, 28 nicht ständigen und 
137 Mitgliedern im Hauptamt, außerdem 90 
technischen Hilfsarbeitern, 213 Bureaubeamten, 
154 Kanzleibeamten und 107 Unterbeamten. 
Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, daß dem 
Patentamt neben den Patentsachen auch noch die 
Verwaltung des Gebrauchsmuster= und des Waren- 
zeichenwesens übertragen ist. In dem Patentamt 
sind Abteilungen für die Patentanmeldungen (An- 
meldeabteilungen), eine Abteilung für die Anträge 
auf Erklärung der Nichtigkeit oder auf Zurück- 
nahme von Patenten (Nichtigkeitsabteilung) und
	        
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