207
Sittengesetzes zu verhüten und jede Forderung
desselben durch seine Zwangsmittel zu unterstützen,
gehört in einen andern Zusammenhang (vgl. d.
Artt. Freiheit, Sittenpolizei, Recht).
Literatur. Mohl, Enzyklopädie der Staats-
wissenschaften (21872; neue Aufl. 1881; daselbst
eine systematische Übersicht der älteren Literatur);
Bluntschli, Lehre vom modernen Staat III (51876);
ders., Art. „P.“ im Staatswörterbuch; Holtzen-
dorff, Prinzipien der P. (21879); Francis Lieber,
Manual of Political Ethics (Lond. 1838, neue
Aufl. 1876); Buchez, Traité de politique (2 BDde,
Par. 1866); Walter, Sozialpolitik u. Moral
(1899); Roscher, P., geschichtl. Naturlehre der
Monarchie, Aristokratie u. Demokratie (°1908);
Treitschke, P., Vorlesungen (2 Bde, 21899/1900);
Schollenberger, P. in systematischer Darstellung
(1903). (v. Hertling.)
olitische Sronomie s. Volkswirtschafts-
ehre.
Politische Parteien s. Parteien, poli-
tische.
Politisches Gleichgewicht s. Gleich-
gewicht, politisches.
Polizei. (I. Begriff. II. Behörden: Orts-,
Landespolizei, Minister, gutsherrliche, gerichtliche,
geheime Polizei. III. Wirksamkeit. 1. Nach dem
Gegenstand: Staat, Person, Verhältnis der Per-
son zu den Gütern; 2. nach Form und Zweck:
präventive und repressive Polizei, Eingrenzung,
Ausweisung, Beschlagnahme, Polizeiaufsicht; dis-
positive und exekurive Polizei, Zwangsmittel der
exekutiven Polizei; judikative und legislative Po-
lizei, Straffeststellungs= und Strafverordnungs-
recht. IV. Rechtsmittel: Beschwerde, Verwaltungs-
streitverfahren, Zivilklage.)
I. Begriff. Das Wort stammt vom griechi-
schen rorela, hat aber eine andere Bedeutung
als dieses. Iloh##r#elbedeutet Bürgerrecht, Teil-
nahme an der Staatsverwaltung, Staatsver-
fassung, Staat überhaupt, während die Polizei
einen Zweig der innern Staatsverwaltung bildet,
über dessen nähere Begriffsbestimmung die An-
sichten sehr auseinandergehen. Einige Definitionen
betreffen nur die eine oder die andere besonders
hervorstechende Wirksamkeit der Polizei, andere
gehen wieder zu weit und ziehen die gesamte innere
Verwaltung im Gegensatz zur Rechtspflege in ihren
Bereich. Da in der Tat die Polizei auf allen Ge-
bieten staatlichen Wirkens mehr oder minder ein-
greift, so ist die scharfe Abgrenzung derselben
schwierig. Das preußische Allgemeine Landrecht
sagt: „Die nötigen Anstalten zur Erhaltung der
öffentlichen Ruhe, Sicherheit und Ordnung und
zur Abwendung der dem Publiko oder einzelnen
Mitgliedern desselben bevorstehenden Gefahren
zu treffen, ist das Amt der Polizei“, eine Erklä-
rung, welche die sog. Sicherheitspolizei zu sehr
in den Vordergrund stellt. Die der Polizei eigen-
tümliche Aufgabe tritt überall da in die Erschei-
nung, wo es sich um die Feststellung und die Aus-
gleichung der im Interesse des öffentlichen Wohls
zu erhebenden Anforderungen gegenüber entgegen-
Politische Okonomie — Polizei.
208
stehenden natürlichen Hindernissen oder mensch-
lichen Bestrebungen handelt. Das Wort bezeichnet
sowohl die Behörden, die zu dieser Wirksamkeit
berufen sind, als auch die letztere selbst.
II. Behörden. Die unterste Stufe der Po-
lizeibehörden bildet die Orts polizei, deren Wirk-
samkeit sich auf bestimmte Ortlichkeiten beschränkt.
Sie wird in der Regel durch die Gemeindebehörde
wahrgenommen, durch Orts-, Gemeindevorsteher,
Amtmänner, Beigeordnete, Bürgermeister usw.
Die Amtsvorsteher, welche in den östlichen Pro-
vinzen Preußens mit Ausnahme von Posen und
Schleswig-Holstein die Ortspolizei ausüben,
nehmen eine Mittelstellung ein zwischen Staats-
und Gemeindebeamten. Der Staat hat sich vor-
behalten, die Ortspolizei durch staatliche Organe
zu verwalten, sowohl auf dem Land, wie z. B. in
der preußischen Provinz Posen durch die Distrikts-
kommissare, als auch besonders in größeren
Städten durch Polizeidirektoren oder Polizei-
präsidenten. Im allgemeinen herrscht die Auf-
fassung vor, daß auch die Gemeindebeamten die
ortspolizeiliche Tätigkeit nicht kraft eignen Rechts,
sondern im Auftrag des Staats ausüben sie sind
daher in polizeilichen Angelegenheiten, unbeschadet
der sonstigen Selbstverwaltung der Gemeinden,
den Staatsbehörden unterstellt. In einigen
Staaten, am entschiedensten in Württemberg und
Weimar, tritt die Auffassung zutage, daß die Po-
lizeigewalt der Gemeinde als solcher zusteht, die
Ausübung also im Namen der Gemeinde erfolgt.
Über der Ortspolizei wird die Polizei für einen
größeren Teil des Staatsgebiets durch staatliche
Behörden ausgeübt, die unter sich verschiedenartig
gegliedert sind und im Gegensatz zu jener auch
Landespolizeibehörden genannt werden. Dahin
gehören in Preußen die königlichen Regierungen
(Abteilung des Innern), jetzt die Regierungs-
präsidenten, in Bayern die Kreisregierungen und
Bezirksämter, in Sachsen die Kreis= und Amts-
hauptmannschaften, in Württemberg die Kreis-
regierungen und Oberämter, in Baden die Be-
zirksämter, in Hessen die Provinzialdirektionen
und Kreisämter, in Osterreich die Bezirkshaupt-
mannschaften. Dieselben sind zugleich vorgesetzte
Dienstbehörden der Ortspolizei und gemeinhin
berechtigt, der letzteren Anweisungen zu erteilen,
ihre Maßregeln außer Kraft zu setzen, ihre Tätig-
keit zu beaufsichtigen. Außerdem sind der Landes-
polizei bestimmte Geschäfte, die eine besondere Be-
deutung haben, über das Gebiet einzelner Ortlich-
keiten hinübergreifen oder größere technische Kennt-
nisse voraussetzen, z. B. gewisse gewerbliche Kon-
zessionen, vorbehalten. Orts= wie Landespolizei-
behörden sind in ihren Maßregeln durch die neuere
Gesetzgebung vielfach an die Zustimmung von
Selbstverwaltungskörpern gebunden.
Die oberste Polizeigewalt beruht bei dem Mi-
nister, teils bei dem Minister des Innern teils
bei den Ressortministern; besondere Polizeiminister
gibt es durchweg nicht mehr. In Osterreich stehen