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seine kirchenfeindlichen Maßnahmen viel Unfrieden
hervor; mit der gleichen Strenge und Willkür
verfuhr er bei der Durchsetzung seiner teilweise
verkehrten wirtschaftlichen Pläne. Ruhiger und
für Ackerbau, Schiffahrt und Industrie frucht-
barer verliefen die ersten Jahrzehnte der Regierung
Marias I. (1777/1816).
Da Portugal seinen gegen England gerichteten
Plänen nur teilweise und widerstrebend Folge
leistete, schloß Napoleon Okt. 1807 einen Vertrag
mit Spanien, der Portugal aufteilte, und ließ es
durch Junot besetzen; die königliche Familie floh
nach Brasilien. Durch die Hilfe Englands (Wel-
lington) wurden die Franzosen schon 1808 zur
Räumung Portugals gezwungen, das sich fortan
unter englischem Oberbefehl bis zum ersten Pariser
Frieden 1814 am Krieg gegen das Kaiserreich betei-
ligte. Der Hof blieb auch nach dem Frieden in Bra-
silien und bevorzugte dessen Interessen vor denen
des Mutterlands. Noch widerwilliger ertrug man
die harte Regierung des Lords Beresford, der
tatsächlich mit seinen englischen Offizieren in Por-
tugal gebot und rücksichtslos die Handelsinteressen
Englands verfolgte. Die Ideen der Revolution
hatten auch in Portugal Eingang gefunden, und
man hoffte Besserung von einer konstitutionellen
Verfassung. Am 24. Aug. 1820 brach in Oporto
ein Aufstand aus und verbreitete sich rasch über
das ganze Land. Es trat eine provisorische Re-
gierung zusammen, die Beresford verbannte, den
König zur Rückkehr und zu konstitutioneller Re-
gierung aufforderte. Johann folgte dem Ruf
1821, und 23. Sept. 1822 kam die neue, der
radikalen spanischen von 1812 nachgebildete Ver-
fassung zustande. Schon vorher hatte sich Bra-
silien unabhängig erklärt, was Portugal 1825
anerkannte. Gegen das fast jakobinische Regiment
der Kammer erhob sich bald eine Reaktion, die den
Absolutismus wiederherstellen wollte und am Hof
vom jüngeren Sohn des Königs, dem Infanten
Miguel, unterstützt wurde. Er bemächtigte sich
1824 der Regentschaft und ließ durch die wieder
zusammenberufenen alten Cortes die Verfassung
abschaffen. Eine neue Krise brachte der Tod Jo-
hanns VI. 10. März 1826. Sein älterer Sohn
Pedro, bisher Kaiser von Brasilien, der nun die
Wahl zwischen der brasilischen und portugiesischen
Krone hatte, entschied sich für die letztere, gab
29. April 1826 wieder eine konstitutionelle Ver-
sassung und dankte darauf zugunsten seiner sieben-
jährigen Tochter Maria II. da Gloria (1826/53)
ab. Da sein Recht zur Einführung der weiblichen
Erbfolge sehr fraglich war, verlobte er sie mit
ihrem 44jährigen Oheim Miguel und bestellte ihn
zum Regenten. Miguel, der bei Pedros Thron-
besteigung außer Landes gegangen war, erkannte
seine Regierungsakte an und übernahm 1828 die
Regentschaft, behielt sich jedoch den Anspruch auf
die Krone bis zur Entscheidung der alten Cortes
vor. Diese erklärten die Thronbesteigung Pedros
und damit auch seine Erbfolgeordnung und die
Staatslexikon. IV. 3. u. 4. Aufl.
Portugal.
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Verfassung für ungültig, worauf Miguel den
Königstitel annahm. Maria, die von Brasilien
her unterwegs war, begab sich nach England. Die
liberalen Mächte behandelten Miguel als Thron-
räuber und Tyrannen, und mit französischer und
englischer Hilfe gelang es Pedro 1834, seiner
Tochter die Krone zurückzuerobern; Miguel mußte
abdanken und das Land verlassen.
Damit war der Absolutismus endgültig besei-
tigt und, freilich auch nicht zum Segen für das
Land, das aus der Fremde importierte konstitutio-
nell-parlamentarische Regierungssystem gesichert,
das zahllose Ministerwechsel und öftere Staats-
streiche mit sich brachte. Pedro übernahm für
seine Tochter die Regentschaft und stellte die Ver-
fassung von 1826 wieder her, starb aber schon
am 24. Sept. 1834. Nun übernahm Maria II.
selbst die Regierung. Nach außen hin war Portu-
gal unter ihrer Regierung kommerziell und politisch
ein Vassallenstaat Englands; im Innern bekämpften
sich zwei Parteien, von denen die eine der mehr
aristokratischen Verfassung von 1826 anhing (Pe-
dristen oder Karlisten, auch Konservative), die
andere die mehr demokratische Konstitution vom
Sept. 1822 vertrat (Septembristen oder Radi-
kale). Keine von beiden verschmähte, um zur
Macht zu gelangen, kleine Revolutionen. So
wurde durch die septembristische Revolution von
1836 die Verfassung von 1822 wieder eingeführt,
aber 1838 revidiert und 1842 wieder durch die
von 1826 ersetzt. Das Jahr 1852 brachte dann
eine gewisse Aussöhnung der Parteien, indem die
Konstitution von 1826 durch die Additionalakte
vom 5. Juli 1852 im Sinn der Septembristen
modifiziert wurde. Als 15. Nov. 1853 die Königin
starb, übernahm für ihren unmündigen Sohn
Pedro V. der Vater, Ferdinand von Sachsen-
Coburg, bis 1855 die Regentschaft. Die Schwie-
rigkeit, in die trotz der Einziehung des Eigen-
tums der sämtlichen 1834 aufgehobenen Männer-
klöster arg zerrütteten Finanzen Ordnung zu
bringen, veranlaßte einen häufigen Wechsel der
Ministerien.
Da Pedro schon 1861 starb, folgte sein Bruder
Luis I. auf dem Thron. Auch unter ihm dauerte
der rasche Wechsel der Ministerien fort. Nach
außen hin waren sie alle bestrebt, friedliche Be-
ziehungen zu den europäischen Mächten zu unter-
halten. Nur mit dem Apostolischen Stuhl dauerte
die seit dem Sturz Dom Micguels eingetretene
Spannung fort. Das wiederholt von Spanien
aus propagierte Projekt einer „iberischen Union“,
der Vereinigung Spaniens und Portugals in eine
Monarchie, fand bei den Portugiesen keinen An-
klang, und dieser Gesinnung des Volks Rechnung
tragend, lehnten sowohl Dom Luis I. als sein
Vater, Titularkönig Ferdinand die ihnen 1868
angebotene spanische Krone ab. Eifrig war die
Regierung bestrebt, Portugals Handel zu fördern
und den Kolonialbesitz zu sichern. Ersterem Zweck
diente der Schiffahrts= und Handelsvertrag mit
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