Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

225 
seine kirchenfeindlichen Maßnahmen viel Unfrieden 
hervor; mit der gleichen Strenge und Willkür 
verfuhr er bei der Durchsetzung seiner teilweise 
verkehrten wirtschaftlichen Pläne. Ruhiger und 
für Ackerbau, Schiffahrt und Industrie frucht- 
barer verliefen die ersten Jahrzehnte der Regierung 
Marias I. (1777/1816). 
Da Portugal seinen gegen England gerichteten 
Plänen nur teilweise und widerstrebend Folge 
leistete, schloß Napoleon Okt. 1807 einen Vertrag 
mit Spanien, der Portugal aufteilte, und ließ es 
durch Junot besetzen; die königliche Familie floh 
nach Brasilien. Durch die Hilfe Englands (Wel- 
lington) wurden die Franzosen schon 1808 zur 
Räumung Portugals gezwungen, das sich fortan 
unter englischem Oberbefehl bis zum ersten Pariser 
Frieden 1814 am Krieg gegen das Kaiserreich betei- 
ligte. Der Hof blieb auch nach dem Frieden in Bra- 
silien und bevorzugte dessen Interessen vor denen 
des Mutterlands. Noch widerwilliger ertrug man 
die harte Regierung des Lords Beresford, der 
tatsächlich mit seinen englischen Offizieren in Por- 
tugal gebot und rücksichtslos die Handelsinteressen 
Englands verfolgte. Die Ideen der Revolution 
hatten auch in Portugal Eingang gefunden, und 
man hoffte Besserung von einer konstitutionellen 
Verfassung. Am 24. Aug. 1820 brach in Oporto 
ein Aufstand aus und verbreitete sich rasch über 
das ganze Land. Es trat eine provisorische Re- 
gierung zusammen, die Beresford verbannte, den 
König zur Rückkehr und zu konstitutioneller Re- 
gierung aufforderte. Johann folgte dem Ruf 
1821, und 23. Sept. 1822 kam die neue, der 
radikalen spanischen von 1812 nachgebildete Ver- 
fassung zustande. Schon vorher hatte sich Bra- 
silien unabhängig erklärt, was Portugal 1825 
anerkannte. Gegen das fast jakobinische Regiment 
der Kammer erhob sich bald eine Reaktion, die den 
Absolutismus wiederherstellen wollte und am Hof 
vom jüngeren Sohn des Königs, dem Infanten 
Miguel, unterstützt wurde. Er bemächtigte sich 
1824 der Regentschaft und ließ durch die wieder 
zusammenberufenen alten Cortes die Verfassung 
abschaffen. Eine neue Krise brachte der Tod Jo- 
hanns VI. 10. März 1826. Sein älterer Sohn 
Pedro, bisher Kaiser von Brasilien, der nun die 
Wahl zwischen der brasilischen und portugiesischen 
Krone hatte, entschied sich für die letztere, gab 
29. April 1826 wieder eine konstitutionelle Ver- 
sassung und dankte darauf zugunsten seiner sieben- 
jährigen Tochter Maria II. da Gloria (1826/53) 
ab. Da sein Recht zur Einführung der weiblichen 
Erbfolge sehr fraglich war, verlobte er sie mit 
ihrem 44jährigen Oheim Miguel und bestellte ihn 
zum Regenten. Miguel, der bei Pedros Thron- 
besteigung außer Landes gegangen war, erkannte 
seine Regierungsakte an und übernahm 1828 die 
Regentschaft, behielt sich jedoch den Anspruch auf 
die Krone bis zur Entscheidung der alten Cortes 
vor. Diese erklärten die Thronbesteigung Pedros 
und damit auch seine Erbfolgeordnung und die 
Staatslexikon. IV. 3. u. 4. Aufl. 
Portugal. 
  
226 
Verfassung für ungültig, worauf Miguel den 
Königstitel annahm. Maria, die von Brasilien 
her unterwegs war, begab sich nach England. Die 
liberalen Mächte behandelten Miguel als Thron- 
räuber und Tyrannen, und mit französischer und 
englischer Hilfe gelang es Pedro 1834, seiner 
Tochter die Krone zurückzuerobern; Miguel mußte 
abdanken und das Land verlassen. 
Damit war der Absolutismus endgültig besei- 
tigt und, freilich auch nicht zum Segen für das 
Land, das aus der Fremde importierte konstitutio- 
nell-parlamentarische Regierungssystem gesichert, 
das zahllose Ministerwechsel und öftere Staats- 
streiche mit sich brachte. Pedro übernahm für 
seine Tochter die Regentschaft und stellte die Ver- 
fassung von 1826 wieder her, starb aber schon 
am 24. Sept. 1834. Nun übernahm Maria II. 
selbst die Regierung. Nach außen hin war Portu- 
gal unter ihrer Regierung kommerziell und politisch 
ein Vassallenstaat Englands; im Innern bekämpften 
sich zwei Parteien, von denen die eine der mehr 
aristokratischen Verfassung von 1826 anhing (Pe- 
dristen oder Karlisten, auch Konservative), die 
andere die mehr demokratische Konstitution vom 
Sept. 1822 vertrat (Septembristen oder Radi- 
kale). Keine von beiden verschmähte, um zur 
Macht zu gelangen, kleine Revolutionen. So 
wurde durch die septembristische Revolution von 
1836 die Verfassung von 1822 wieder eingeführt, 
aber 1838 revidiert und 1842 wieder durch die 
von 1826 ersetzt. Das Jahr 1852 brachte dann 
eine gewisse Aussöhnung der Parteien, indem die 
Konstitution von 1826 durch die Additionalakte 
vom 5. Juli 1852 im Sinn der Septembristen 
modifiziert wurde. Als 15. Nov. 1853 die Königin 
starb, übernahm für ihren unmündigen Sohn 
Pedro V. der Vater, Ferdinand von Sachsen- 
Coburg, bis 1855 die Regentschaft. Die Schwie- 
rigkeit, in die trotz der Einziehung des Eigen- 
tums der sämtlichen 1834 aufgehobenen Männer- 
klöster arg zerrütteten Finanzen Ordnung zu 
bringen, veranlaßte einen häufigen Wechsel der 
Ministerien. 
Da Pedro schon 1861 starb, folgte sein Bruder 
Luis I. auf dem Thron. Auch unter ihm dauerte 
der rasche Wechsel der Ministerien fort. Nach 
außen hin waren sie alle bestrebt, friedliche Be- 
ziehungen zu den europäischen Mächten zu unter- 
halten. Nur mit dem Apostolischen Stuhl dauerte 
die seit dem Sturz Dom Micguels eingetretene 
Spannung fort. Das wiederholt von Spanien 
aus propagierte Projekt einer „iberischen Union“, 
der Vereinigung Spaniens und Portugals in eine 
Monarchie, fand bei den Portugiesen keinen An- 
klang, und dieser Gesinnung des Volks Rechnung 
tragend, lehnten sowohl Dom Luis I. als sein 
Vater, Titularkönig Ferdinand die ihnen 1868 
angebotene spanische Krone ab. Eifrig war die 
Regierung bestrebt, Portugals Handel zu fördern 
und den Kolonialbesitz zu sichern. Ersterem Zweck 
diente der Schiffahrts= und Handelsvertrag mit 
8
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.