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Privatbriefbeförderungsanstalten ins Leben, im
ganzen 84. Im allgemeinen Verkehrsinteresse war
es geboten, diesen Zustand zu beseitigen. Durch
das vorerwähnte Gesetz ist der Postzwang auch
auf Ortsbriefe ausgedehnt und der organisierte
gewerbsmäßige Privatpostbetrieb auch im Ort
selbst verboten. Unter dieses Verbot fällt auch der
Betrieb von Anstalten zur gewerbsmäßigen
Einsammlung, Beförderung oder Verteilung von
unverschlossenen, mit der Aufschrift bestimmter
Empfänger versehenen Briefpostgegenstände.
Nach Art. 48 der Reichsverfassung soll sich die
Gesetzgebung des Reichs nicht auf die Gegenstände
erstrecken, „deren Reglung nach den in der nord-
deutschen Postverwaltung maßgebend gewesenen
Grundsätzen der reglementarischen Festsetzung
oder administrativen Anordnung überlassen ist“.
Der 8§ 50 des Postgesetzes bestimmt im Anschluß
hieran, daß durch ein vom Reichskanzler zu er-
lassendes Reglement (Postordnung) die weiteren
bei Benutzung der Postanstalt zu beobachtenden
Vorschriften getroffen werden sollen. Das ist zu-
letzt durch die Postordnung vom 20. März 1900
geschehen. Sie zerfällt in zwei Bestandteile, näm-
lich 1) Vorschriften über das Rechtsverhältnis
zwischen der Post und dem Absender oder dem
Reisenden bei Benutzung der Posten und 2) An-
ordnungen über Aufrechterhaltung der Ordnung,
der Sicherheit und des Anstands auf den Posten.
Die Vorschriften unter 1 sind als Vertrags-
bestimmungen aufzufassen, die Vorschriften zu 2
sind dagegen wirkliche Rechtsnormen.
Auf dem Gebiet des Tarifwesens hat die
Neuzeit eine vollständige Umwälzung gebracht.
In früheren Zeiten fehlte dem Tarifwesen jedes
seste System, der innere Zusammenhang. Wie
das Postwesen zersplittert war, so herrschte auch
größte Vielseitigkeit der Taxen im innern Verkehr
der Staaten und erst recht im internationalen
Verkehr. In der Regel kamen so viele Portosätze
zur Erhebung, als Postgebiete berührt wurden,
wobei für die zwischen den Grenzpostanstalten
liegenden Strecken meistens noch ein Porto-
zuschlag erhoben wurde. Die Taxen waren nach
den verschiedensten Gesichtspunkten, nach Entfer-
nungs= und Gewichtsstufen zu berechnen. Hierzu.
kamen die Verschiedenheiten der Entfernungsein-
heiten, der Meilenmaße, der Münzen und Ge-
wichte. Die Zahl der früheren Brieftaxen für den
innern deutschen Verkehr wird auf 2000 geschätzt.
Nur nach und nach traten verbessernde Anderungen
ein. Man fing an, das Porto nach Entfernungen,
nach der Beförderungsstrecke zu berechnen; es
wurde das Gewicht zugrunde gelegt, in manchen
Staaten war auch der Inhalt mitbestimmend.
Einen wesentlichen Einfluß auf die Höhe der
Taxen übten die Zeitverhältnisse an und für sich
aus. Eine radikale Anderung brachte 1837 eine
Schrift des Engländers Rowland Hill, betitelt
Post Office Reform, its importance and
practicability. Er schlug für England eine Ein-
Post usw.
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heitstaxe von 1 Penny für Briefe im Gewicht bis
½ Unze ohne Unterschied der Entfernung vor.
Es sollte vorausbezahlt und durch Stempelmarke
verrechnet werden. Das Einheitsporto trat tat-
sächlich 1840 in Kraft. Diesem Vorschlag lag
der richtige Gedanke zugrunde, daß für den
Briefverkehr viel weniger die Entfernung in Be-
tracht kommt als vielmehr die Arbeiten, welche
durch die Annahme und die Bestellung herbei-
geführt werden. Die Vorausbezahlung und Ver-
rechnung des Portos mußte eine wesentliche Er-
leichterung des Betriebs zur Folge haben. Row-
land Hill glaubte, daß der Einnahmeausfall durch
die zu erwartende Steigerung des Briefverkehrs
gedeckt werde, daß er aber gewiß durch erhöhte
Einnahmen aus andern Verwaltungszweigen in-
folge Anspornung der Produktivkraft des Landes
ausgeglichen werde. Drei Jahrzehnte blieb die
Einnahme gegen frühere Erträgnisse zurück. Aber
das Einheitssystem wurde beibehalten, und auch
die übrigen Kulturstaaten führten es nach und
nach ein. Die als Mittel zur Verrechnung vor-
geschlagene Freimarke hat inzwischen die ganze
Erde erobert. Im internationalen Verkehr machte
der Umstand Schwierigkeiten, daß jeder an der
Beförderung beteiligte Staat auch seinen Anteil
am Porto beanspruchte. Dies wird noch weiter
unten (Weltpost) erörtert. Die Annahme der
Hillschen Portoreform bedeutete nichts anderes
als ein Aufgeben des früheren allgemein geltenden
Grundsatzes, daß die Post nichts anderes sei als
ein auf möglichst hohe Reinerträge gerichteter und
zu diesem Zweck monopolisierter gewerblicher
Großbetrieb des Staats; die Post hatte den rein
fiskalischen Charakter abgelegt. Anderseits machte
sich die Ansicht geltend, daß die Post als hervor-
ragendes Verkehrsinstitut überhaupt keine Über-
schüsse abwerfen dürfe. Beide Ansichten, man
kann sie wohl kurz als „Gebührenprinzip“ und
„gewerbliches Prinzip“ bezeichnen, sind falsch.
Die richtige Tarifpolitik berücksichtigt beide Seiten.
Vockebezeichnet in seinen „Grundzügen der Finanz-
wissenschaft“ als Ziel der Gebührenbemessung, daß
die Betriebskosten vollständig zu decken sowie das
angelegte Kapital zu verzinsen und zu amorti-
sieren seien. Es kann aber nicht verlangt werden,
daß dieses von vornherein sichergestellt ist. Auch
wird es nicht zu umgehen sein, daß überall da ein
Zuschuß zu billigen ist, wo wichtige Kulturauf-
gaben durchzuführen sind. Dieser Grundsatz ist
von der deutschen Post= und Telegraphenverwal-
tung namentlich bei Anlagen neuer Postanstalten,
bei Verbesserung der Landposteinrichtungen beachtet
worden. Eine richtige Tarifpolitik wird ferner
nicht verlangen, daß jeder Dienstzweig rentabel sei,
sondern daß bei den Tarifbestimmungen der Ge-
samtorganismus in Betracht kommt. In Deutsch-
land ist die Briefpost zweifellos der rentabelste
Teil, der hohe Überschüsse abwirft. Anderseits
gibt es große Zweige, die Zuschuß fordern. Man
kann hierhin das Telegraphenwesen rechnen, wo-