Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

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geachtet aller Schwierigkeiten konnte der Kongreß 
die Verhandlungen schon am 9. Okt. 1874 durch 
Unterzeichnung des allgemeinen Postvereinsver- 
trags zum formellen Abschluß bringen. 
Seinem Inhalt nach zerfällt der Berner Ver- 
trag in zwei Abschnitte. In dem ersten sind die 
Grundsätze festgestellt, nach welchen der Aus- 
tausch von Korrespondenzgegenständen, d. h. Brie- 
fen, Postkarten, Drucksachen, Warenproben und 
Geschäftspapieren, unter den Vereinsländern er- 
folgen sollte. Der zweite Abschnitt enthält die 
Verfassung des Vereins, seine innere 
Organisation. Als leitender Grundsatz gilt für 
den Vertrag die Bestimmung, daß die vertrag- 
schließenden Teile ein einziges Postgebiet bilden, 
daß mithin für die Behandlung der Postgegen- 
stände die politischen Schranken vollständig weg- 
fallen. Die unmittelbare Folge dieses Satzes war, 
daß erleichternde Bestimmungen, namentlich in 
betreff des Transits, der Portosätze und der Porto- 
teilung getroffen werden konnten. Die zweite 
überaus wichtige Frage war die Reglung des 
Transits. Hier ist zu unterscheiden zwischen Frei- 
heit des Transits und zwischen Unentgeltlich- 
keit des Transits. Die Transitfreiheit wurde 
durch Art. 10 des Vertrags vollständig erreicht. 
Es ist eine große Errungenschaft, welche mit der 
früheren fiskalischen Praxis gründlich aufräumte. 
Früher suchten sich die einzelnen Staaten in den 
verschiedenen Postverträgen in dieser Frage zu 
übervorteilen; die Transitfreiheit wurde nicht ohne 
wichtige Gegenleistungen zugestanden. Jetzt ist 
jedes Vereinsland berechtigt, mit jedem andern 
Vereinsland, unter Benutzung sämtlicher im Ver- 
einsgebiet gelegenen Transitstraßen, ohne daß es 
der vorherigen Verständigung mit den Verwalt- 
tungen der zwischenliegenden Länder bedarf, in 
unmittelbaren Austausch der Postsendungen zu 
treten. Verschieden von dieser Transitfreiheit ist 
die Unentgeltlichkeit des Transits. Erstere 
ist eine Verkehrsfrage, letztere aber eine Geldfrage 
zwischen den Postkassen der einzelnen Staaten. 
Das Prinzip der Unentgeltlichkeit des Transits 
beruht auf der Erfahrung, daß sich die Leistungen, 
welche ein Staat in der Beförderung fremder 
Korrespondenz durch sein Gebiet ausführt, durch- 
schnittlich mit denjenigen ausgleichen, welche er 
selbst von andern Staaten in Durchführung seiner 
Korrespondenz durch ihr Gebiet empfängt. Diese 
Erfahrung erleidet indessen Ausnahmen, die auf 
die besondern geographischen Verhältnisse verschie- 
dener Staaten zurückzuführen sind. Hier kommen 
namentlich Belgien und Frankreich in Betracht. 
In Belgien kreuzen sich die wichtigsten Transit- 
linien des Kontinents. Das zweite große Transit- 
land ist Frankreich, das sich bis dahin immer von 
der Anschauung leiten ließ, den Verkehrsinteressen 
anderer Länder erheblich größere Dienste zu leisten, 
als es von solchen empfange, und hieraus ein Sy- 
stem fiskalischer Ausnutzung der Transitlinien ent- 
wickelte. Die Unentgeltlichkeit des Transits würde 
  
usw. 262 
beiden Staaten große Geldopfer auferlegt haben. 
Man mußte sich auf ein Kompromiß dahin be- 
schränken, daß mäßige Transitgebühren festgesetzt 
wurden, verschieden für die Land= und die See- 
beförderung. Die Vergütungssätze sind so gering, 
daß sie auf das vom Publikum zu erhebende Porto 
fast gar keinen Einfluß haben. Durch den Pariser 
Kongreß wurde die Transitgebührenfrage der Un- 
entgeltlichkeit wesentlich näher gebracht. Auf dem 
Wiener Kongreß mußte sie vorsichtig behandelt 
werden, weil die britischen Kolonien Australiens 
ihren Beitritt zum Weltpostverein nur unter der 
Bedingung erklärt hatten, daß die seitherigen See- 
transitvergütungen beibehalten würden. Auf dem 
Kongreß zu Washington wurde eine wichtige Um- 
gestaltung der Transitzahlungen erreicht. 6 sind 
Pauschalvergütungen für den Land= und für den 
Seetransit vereinbart worden, die stufenweise sich 
erheblich ermäßigen. Hierdurch ist voraussichtlich 
einer Reform der Taxen des Weltpostvereins der 
Weg gezeigt und wenigstens angebahnt. Auf der 
Unentgeltlichkeit des Transits bzw. auf der sehr 
mäßigen Vergütung beruht die Möglichkeit des 
Einheitsportos. Der Berner Vertrag hat den 
Grundsatz des einheitlichen Portos nicht in voller 
Reinheit durchführen können. Mit Rücksicht auf 
die in den vertragschließenden Ländern herrschen- 
den Münzverschiedenheiten, und um den Verwal- 
tungen bei der Einführung des Einheitsportos 
der Abrundung wegen Spielraum zu lassen, wurde 
die Bestimmung aufgenommen, daß als Über- 
gangsmaßregel jedem Land vorbehalten bleiben 
sollte, einen höheren oder niederen Portosatz als 
das Normalvereinsporto (25 Centimes für fran- 
kierte Briefe für je 15 g), jedoch innerhalb der 
Grenzen von 20 und 32 Centimes, festzusetzen, 
jedoch unter der Voraussetzung, daß für den un- 
frankierten Brief das Doppelte wie für den fran- 
kierten zur Erhebung komme. Die Festlegung eines 
Minimalportos verhindert zu weit gehende ein- 
seitige Portoermäßigungen. Nachähnlichen Grund- 
sätzen ist das Porto für Drucksachen, Warenproben 
und Geschäftspapiere geregelt, mindestens 5, höch- 
stens 11 Centimes für je 50 g. Ein Meistgewicht 
für Briefe besteht nicht; schon die Höhe der Taxe 
gebietet eine Beschränkung von selbst. Anders bei 
Drucksachen, Warenproben und Geschäftspapieren: 
für erstere wurde ein Meistgewicht von 1000 g, 
für letztere von 250 g bestimmt. Für Postkarten 
trat eine bedeutende Ermäßigung ein — die Hälfte 
des Briefportos — unter gleichzeitiger Einfüh- 
rung des Frankozwangs. Damit die Sendungen 
nicht etwa in Form von Nebengebühren mit höhe- 
ren Beträgen belastet würden, bestimmte Art. 9 
des Vertrags, daß Briefe weder im Ursprungs- 
noch im Bestimmungsland einem andern Porto 
oder einer andern Postgebühr als der im Vertrag 
festgesetzten unterworfen werden dürfen. Die in 
England und Frankreich bestehende besondere Ge- 
bühr für nach Postschluß eingelieferte Briefe ist als 
eine Gebühr für eine besondere Leistung anzusehen, 
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