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wurde er ersetzt durch den einheitlichen Worttarif.
Hier brach sich also derselbe Gedanke wie im Post-
verkehr Bahn, daß die Leistung nur selten mit der
Entfernung wächst. Der Worttarif hat noch den
Vorteil, daß das Publikum peinlich bemüht ist,
jedes überflüssige Wort zu sparen, wodurch die
Leistungsfähigkeit, also auch die Schnelligkeit der
Beförderung wesentlich erhöht wird. Die vor-
gesehene Grundtaxe wurde 1891 fallen gelassen
und eine auf 5 Pfennige ermäßigte reine Wort-
gebühr eingeführt.
Die Gestaltung des Gebührenwesens für Be-
nutzung des Fernsprechers machte bei der Neuheit
des Verkehrsmittels große Schwierigkeiten. Es
boten sich zwei Wege: entweder die Gebühren nach
Maßgabe der Einzelbenutzung der Leitungen durch
die Fernsprechteilnehmer unter genauer Abwägung
von Leistung und Gegenleistung festzusetzen, oder
eine einheitliche jährliche Bauschvergütung in Form
einer Abonnementsgebühr zu erheben. Die Tele-
graphenverwaltung entschied sich für letzteres Sy-
stem. Es ist sehr einfach und sichert die Einheitlich-
keit, wie sie bei der Tarifbildung immer angestrebt
wird. Aber das System führt auch zu vielen un-
nützen Gesprächen, wodurch die Leitung sehr be-
lastet wird. Der Tarif ist ferner ungleichmäßig
insofern, als derjenige, welcher den Fernsprecher
nur wenig benutzt, verhältnismäßig mehr zu zahlen
hat als derjenige, welcher oft spricht. Tatsächlich
gab der Tarif, obschon er von 200 auf 150 M.
ermäßigt worden war, alsbald zu lebhaften Be-
schwerden Anlaß. Es mußte anerkannt werden,
daß die in den einzelnen Städten bestehenden Ver-
hältnisse zu verschieden sind, um einen Einheits-
tarif beizubehalten. Am gerechtesten muß ein Tarif
sein, demzufolge jeder Teilnehmen nach dem Maß
des Gebrauchs, den er vom Fernsprecher macht, zu
zahlen hat. Die Durchführung dieses Grundsatzes
scheitert daran, daß eine sicher wirkende auto-
matische Zähleinrichtung noch nicht erfunden ist.
Die Notierung aller Gespräche durch den Beamten
des Vermittlungsamts ist allgemein nicht durch-
führbar. Nach vielen Erwägungen wurde im Jahr
1899 der Entwurf einer Fernsprechgebührenord-
nung den gesetzgebenden Faktoren des Reichs zur
Beschlußfassung vorgelegt, welcher als Grundlage
das System einer doppelten Gebühr, der Grund-
gebühr und der Gesprächsgebühr, hatte. Die
Grundgebühr sollte als Vergütung für die Über-
lassung und die Unterhaltung der Apparate sowie
für den Bau und die Instandhaltung der Sprech-
leitungen dienen. Die Gesprächsgebühr galt als
Vergütung für die Herstellung der Gesprächs-
verbindungen. Dieses System fand nicht die
Billigung des Reichstags. Es wurde eine neue
Gebührenordnung entworfen, welche als Grund-
lage eine einheitliche, nach der Zahl der Teil-
nehmeranschlüsse abgestufte Gebühr hatte. Das
am 1. April 1900 in Kraft getretene Gesetz bietet
drei Wege für die Gebührenzahlung: 1) eine
Bauschgebühr, 2) an Stelle der Bauschgebühr eine
Post usw.
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Grundgebühr mit einer Gesprächsgebühr, 3) Ge-
sprächsgebühr für Benutzung der Verbindungs-
anlagen zwischen verschiedenen Netzen oder Orten
mit öffentlichen Fernsprechstellen.
Die internationalen Beziehungen
der Telegraphie sind im kleinen Umfang zuerst
durch den im Jahr 1850 zwischen Preußen, Oster-
reich, Bayern und Sachsen abgeschlossenen deutsch-
österreichischen Telegraphenverein geregelt worden,
welchem im nächsten Jahr das übrige Deutschland
und die Niederlande beitraten. In ähnlicher Weise
schlossen sich die westlichen und südlichen Staaten
Europas an Frankreich an. Beide Gruppen traten
durch einen im Jahr 1852 von Preußen mit
Frankreich und Belgien abgeschlossenen Vertrag in
engere Beziehungen. Auf diese teilweise Einigung
gestützt, traten im Jahr 1865 die Vertreter sämt-
licher europäischen Telegraphenverwaltungen mit
Ausnahme Englands in Paris zu einer Konferenz
zusammen, deren Ergebnis die Bildung des All-
gemeinen Telegraphenvereins war. Der
Vertrag schuf für die Welttelegraphie die ersten
gemeinsamen Gesetze, welche durch die späteren
Konferenzen in Wien 1868, Rom 1872, St Pe-
tersburg 1875, London 1879, Berlin 1885,
Paris 1890 eine fortschreitende Festigung erhalten
haben. In Wien traten die ersten außereuro-
päischen Länder dem Verein bei; in Rom er-
schienen zum erstenmal Vertreter großer Kabel-
gesellschaften; in Petersburg wurden wesentliche
Verbesserungen des gemeinsamen Dienstbetriebs
vereinbart; London und Berlin sahen die ersten
wichtigen Schritte zur Vereinfachung der viel-
gestaltigen Tarisverhältnisse; in London wurde
der mit der Grundtaxe vereinigte Worttarif an-
genommen, in Berlin wurde der reine Worttarif
dem europäiüschen Telegraphenverkehr als Grund-
lage gegeben. Auf der Pariser Konferenz endlich
ist es gelungen, die verschiedenen Taxgruppen
wesentlich zu verringern, womit die Einführung
eines europäischen Einheitstarifs angebahnt ist.
Literatur. Stephan, Geschichte der Preuß. Post
(1858); ders., Das Verkehrsleben im Altertum u.
im Mittelalter (1864); P. D. Fischer, P. u. T. im
Weltverkehr (1879); Weithase, Geschichte des Welt-
postvereins (1893); Jung, Entwicklung des deut-
schen Post= u. Telegraphenwesens (31893); derfs.,
Der Weltpostverein u. sein Einfluß auf Weltver-
kehr u. Weltwirtschaft (19;03); v. d. Borght, Das
Verkehrswesen (1894); Dieckmann, Postgeschichte
deutscher Staaten (1896); Crole, Illustr. Geschichte
der deutschen Post (31900); Sieblist, Die Post im
Ausland (1900); Brunner, Die Post in Bayern
(1900); Obmann, Die Anfänge des Postwesens u.
die Taxis (1909); Bruns, Das Postwesen, seine
Entwicklung u. Bedeutung (1907; Sammlung Aus
Natur u. Geisteswelt); Kommentare zum Deutschen
von Dambach u. Grimm (51901), P. D.
u. König (51902), Aron (1902); Wolcke,
(1909; Sammlung Göschen); Nawiasky,
u. österr. Postrecht (1909). Archiv für
#z Union postale; Journal téelégraphique.
[Bruns.)
P. u.