Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

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durch Verordnung vom 30. April 1815 in zehn, 
später (1822) in acht Provinzen, jede Provinz in 
Regierungsbezirke und diese in landrätliche Kreise 
geteilt. Die Verordnung vom 20. März 1817 
errichtete den Staatsrat als oberste beratende Be- 
hörde, deren Tätigkeit zunächst den Steuerreform- 
plänen gewidmet war; am 17. Jan. 1820 er- 
schien eine Verordnung wegen Behandlung der 
Staatsschulden, und nach Uberwindung mancher 
Schwierigkeiten kamen die Steuergesetze vom 
30. Mai 1820 zu stande. Im Heerwesen wurde 
die allgemeine Wehrpflicht (Gesetz vom 3. Sept. 
1814) trotz manchen Widerspruchs bewahrt. Den 
öffentlichen Unterricht unterstellte der König 1817 
einem besondern Ministerium (Altenstein), und 
ein Erlaß vom Jahr 1825 führte die allgemeine 
Schulpflicht für den Umfang des ganzen Staats 
ein. Handel und Gewerbe hoben sich rasch; am 
1. Jan. 1834 begann der deutsche Zollverein, 
dessen Ausgangspunkt das preußische Zollgesetz 
vom 26. Mai 1818 war, seine Wirksamkeit. Die 
vom König am 27. Okt. 1810 im Edikt über die 
Finanzen in Aussicht gestellte und am 22. Mai 
1815 verheißene Einrichtung einer „Landesreprä- 
sentation“ unterblieb infolge seiner Abneigung und 
des Widerstands der Beamtenschaft; nur Pro- 
vinzialstände mit beschränkten Rechten und stän- 
discher Gliederung (in den acht Provinzen: 272 
Vertreter der Ritterschaft, 182 der Städte und 
121 der Bauern) wurden zugestanden (Gesetz vom 
5. Juni 1823). 
Auch Friedrich Wilhelm IV. (1840/61) 
war kein Freund der Volksvertretung und erwei- 
terte nur zögernd die Rechte der Provinzialstände 
(1842 Bildung von „vereinigten Ausschüssen“ der 
Provinziallandtage). Als er sie endlich durch 
Patent vom 3. Febr. 1847 zu einem „Vereinigten 
Landtag“ (eröffnet 11. April 1847) berief, der 
eine Art ständischer Landesvertretung darstellen 
und neben dem Recht der Petition und des Bei- 
rats zur Gesetzgebung ein Zustimmungsrecht zu 
Anleihen und neuen Steuern haben sollte, war 
das Volk mit einer solchen Ständevertretung nicht 
mehr zufrieden. Das Versprechen einer konstitu- 
tionellen Verfassung (17. März 1848) konnte den 
Sturm der Märztage (18. und 19.) nicht ab- 
wenden. Da die Beratungen der am 22. Mai 
nach Berlin berufenen Nationalversammlung bald 
einen unüberbrückbaren Gegensatz zwischen dem 
Verfassungsentwurf der Regierung und den demo- 
kratischen Vorschlägen der Versammlung (Waldeck) 
ergaben, wurde die Versammlung am 8. Nov. 
1848 nach Brandenburg verlegt und durch den 
Staatsstreich vom 5. Dez. aufgelöst und zugleich 
vom König aus eigner Machtvollkommenheit eine 
neue Verfassung oktroyiert, die noch von einem 
neuen, aus zwei Kammern bestehenden Landtag 
durchberaten werden sollte. Dieser trat im Febr. 
1849 zusammen, wurde aber im April aufgelöst 
und 30. Mai 1849 vom König ein neues Wahl- 
gesetz (Dreiklassenwahlrecht, indirekte und öffent- 
  
  
Preußen. 
  
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liche Wahl) erlassen, das der konservativen Partei 
die Mehrheit sicherte. Jetzt kam die Verfassung 
im Sinn der Krone 31. Jan. 1850 zum Ab- 
schluß. Sie wurde hinsichtlich der Ersten Kammer 
durch Gesetz vom 7. Mai 1853 nochmals ge- 
ändert und dabei durch Beseitigung der Wahl die 
jetzige Zusammensetzung des „Herrenhauses“ ge- 
schaffen, das durch Verordnung vom 12. Okt. 1854 
ins Leben trat. Der Kampf um die Freiheit 
Schleswig-Holsteins war ohne Erfolg, und die 
Versuche des Königs, welcher die ihm angebotene 
deutsche Kaiserkrone am 3. April 1849 abgelehnt 
hatte, den Deutschen Bund umzugestalten (Deutsche 
Union; Dreikönigsbund, 26. Mai 1849; Ber- 
liner Fürstenkongreß, 8. Mai 1850), scheiterten 
an der unentschiedenen Haltung der preußischen 
Regierung und dem Mißtrauen der Mittelstaaten 
und führten zu der unrühmlichen Olmützer Punk- 
tation (29. Nov. 1850). Preußen unterwarf sich 
dem alten Bund, in welchem der Gegensatz der 
beiden Großmächte immer schärfer hervortrat, be- 
sonders seit Bismarck als Vertreter Preußens im 
Bundestag (11. Juli 1851 bis 1. April 1859) 
den überragenden Einfluß Osterreichs nachdrücklich 
bekämpfte. Während in der innern Politik die 
Reaktion siegte (Disziplinargesetze für die Beamten 
und Preßgesetze 1851 und 1852, Wiederherstel- 
lung der gutsherrlichen Polizei und der Provin- 
ziallandtage 1856, Stiehlsche Regulative 1./3.Okt. 
1854, Gemeindeordnung für Westfalen im März 
und für die östlichen Provinzen am 14. April 
1856), schien man nach außen freiwillig auf jede 
aktive Politik zu verzichten (Krimkrieg; Verzicht 
auf Neuenburg, 26. Mai 1857). 
Da übernahm am 23. Okt. 1857 Prinz Wil- 
helm für seinen erkrankten Bruder die Stellvertre- 
tung, 7. Okt. 1858 die Regenischaft, und damit 
begann die „neue Ara“, die jedoch die Hoffnungen 
der Liberalen nicht erfüllte. Der Plan der Heeres- 
reorganisation, welche der Prinzregent für die 
unerläßliche Vorbedingung einer nationalen Politik 
ansah, führte zum Konflikt mit der Volksvertretung, 
welche die geforderten Mittel zweimal (1860 und 
1861) nur provisorisch bewilligte. Da weder 
Kammerauflösungen noch Ministerwechsel zur Eini- 
gung führten, berief Wilhelm I. (König seit 
2. Jan. 1861) am 22. Sept. 1862 Bismarck 
an die Spitze des Ministeriums. Bis 1866 führte 
dieser mit dem Haus der Abgeordneten einen 
scharfen Streit um die Heeresreform und das 
Budgetrecht und regierte gegen den Willen der 
fortschrittlichen Landtagsmehrheit. Inzwischen 
festigte er Preußens Stellung nach außen, hinter- 
trieb den Beitritt Osterreichs zum Zollverein, 
gewann durch wohlwollende Neutralität (Alvens- 
lebensche Konvention) während des polnischen Auf- 
stands 1863/64 die Gunst Rußlands und ver- 
eitelte den Versuch einer deutschen Bundesreform 
durch Osterreich auf dem deutschen Fürstentag zu 
Frankfurt a. M. (1863). Den drohenden Zwie- 
spalt der beiden deutschen Großmächte vertagte
	        
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