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neutrale Privateigentum heißt Prise. Unter Prisen-
recht im objektiven Sinn wird der Inbegriff aller
jener Rechtsnormen verstanden, welche im Fall
eines Seekriegs für die Wegnahme feindlichen und
neutralen Privateigentums gelten.
II. Gegenstand des Seebeuterechts sind die
feindlichen Privatschiffe und die auf diesen befind-
lichen feindlichen Güter (Schiffe, Ladung); das
feindliche Staatseigentum ist Gegenstand der
Kriegsbeute und nicht nach den Grundsätzen des
Prisenrechts zu behandeln. Da, abgesehen von
dem Prisenrecht gegen die Neutralen, nur feind-
liches Privateigentum auf dem Meer weggenom-
men werden kann, so ist für die Ausübung des
Seebeuterechts die Frage, wodurch der feindliche
Charakter eines Privatschiffs und der an Bord
eines solchen befindlichen Güter begründet wird,
von besonderer Wichtigkeit. Bei der Entscheidung
dieser Frage ist sowohl auf den Charakter des
Eigentümers als auch auf die Natur des Eigen-
tums selbst Bedacht zu nehmen. Was zunächst die
Entscheidung obiger Frage nach dem Charakter
des Eigentümers anbelangt, so ist für die fran-
zösischen Prisengerichte bislang nur die Staats-
angehörigkeit des Eigentümers maßgebend:
ein Angehöriger des feindlichen Staats ist und
bleibt Feind, und sein Eigentum gilt als feind-
liches Eigentum, gleichviel ob er im feindlichen
Staatsgebiet oder in einem neutralen Staat
wohnt, und von wo aus er seinen Handel betreibt;
ein Angehöriger eines neutralen Staats bleibt wie
sein Eigentum auch dann neutral, wenn er im
feindlichen Staatsgebiet wohnt und von hier aus
seinen Handel betreibt. Die englisch-amerikanische
Völkerrechtsdoktrin verwirft dieses Prinzip und
macht den dauernden Wohnsitz des Eigentümers
zum Kriterium des feindlichen Charakters seines
Eigentums, weil einerseits die in einem fremden
Staat wohnenden Ausländer der fremden terri-
torialen Staatsgewalt gegenüber als zeitweilige
Untertanen (subdititemporarüh gelten und ander-
seits niemand dauernd in zwei Ländern wohnen
kann, und jeder dort, wo er wohnt, durch sein
Vermögen und sein Gewerbe, insbesondere aber
durch seine Steuerleistungen zum Wohlstand und
somit auch zur Kriegsstärke des Aufenthaltsstaats
selbst dann beiträgt, wenn er auch daselbst von
militärischen Dienstleistungen befreit wäre. Der
feindliche oder neutrale Charakter des Eigentümers
hängt daher von dem Beweis des dauernden
Wohnsitzes in dem feindlichen oder in einem neu-
tralen Staat ab. Auch die Londoner Seekriegs-
rechtskonferenz von 1908/09 konnte die Streit-
frage, ob die Staatsangehörigkeit oder der Wohnsitz
maßgebend sein soll, nicht lösen. Vgl. d. Art.
Neutralität, Bd III, Sp. 1321.
Da der Grund und Boden eines Landes mit
diesem untrennbar verbunden ist, so gelten die
Erzeugnisse des im feindlichen Gebiet gelegenen
Grund und Bodens als feindlich, und zwar selbst
dann, wenn deren Eigentümer ein Neutraler ist.
Prise usw.
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Als feindliches Gebiet gelten aber nicht nur die
zum Gebiet des feindlichen Staats gehörigen Ter-
ritorien, sondern auch diejenigen Ländergebiete, die
der Feind erst erobert hat oder die diesem vom
bisherigen Eigentümer stillschweigend überlassen
worden sind. Dagegen sind nicht als feindlich zu
betrachten die Gebiete, welche vom Feind nur
vorübergehend militärisch besetzt, aber unter ihrer
bisherigen neutralen Regierung geblieben sind,
sowie die Gebiete, deren Abtretung an den feind-
lichen Staat zwar bereits vertragsmäßig erfolgt
ist, deren tatsächliche Besitzergreifung durch den
Erwerber jedoch noch nicht stattgefunden hat. Was
insbesondere die Schiffe betrifft, so wird deren
Zugehörigkeit zu einem bestimmten Staat oder
deren Nationalität durch die Schiffspapiere (ins-
besondere durch das Register-Zertifikat und den
Seebrief) bewiesen, welche sie nach den Gesetzen
ihres Staats berechtigen, dessen Flagge als äußeres
Kennzeichen ihrer Staatszugehörigkeit zu führen.
Sind diese Papiere von Behörden eines feind-
lichen Gebiets ausgestellt, so gilt das Schiff selbst
dann als ein feindliches, wenn sein Eigentümer
ein Neutraler wäre. Fehlen die genannten Papiere
oder eines derselben, so darf das Schiff, wenn
seine Zugehörigkeit zu einem neutralen Staat
auf andere Weise nachgewiesen werden kann, nicht
weggenommen werden. Kommen in den erwähnten
Papieren Unregelmäßigkeiten vor, so wird hier-
durch die Wegnahme des Schiffs gerechtfertigt.
Werden die Schiffspapiere zwar in Ordnung be-
sunden, ergibt sich jedoch der Verdacht eines Be-
trugs, so muß dieser vom Nehmer des Schiffs
bewiesen werden. Wie bei den Erzeugnissen des
Grund und Bodens, so ist auch bei den Schiffen
für ihren feindlichen Charakter im Krieg einzig
und allein der Umstand maßgebend, daß das Land,
welchem sie angehören bzw. dessen Flagge sie
führen, sich zur Zeit ihrer Aufbringung im tat-
sächlichen Besitz des Feinds befindet. Aus dem
gleichen Grund werden auch ursprünglich feind-
liche Häfen, welche der feindlichen Hoheit durch
die Kriegsereignisse zeitweilig entzogen sind, nicht
als feindlich betrachtet.
Zu mannigfachen Streitigkeiten führte der Ver-
kauf feindlicher Schiffe an Neutrale. Die Lon-
doner Seekriegsrechtskonferenz hat nunmehr die
Frage wie folgt geregelt: Der vor Beginn der
Feindseligkeiten erfolgte Verkauf eines feindlichen
Schiffes ist gültig, falls nicht bewiesen wird, daß
dieser Verkauf nur herbeigeführt wurde, um den
Folgen als feindliches Schiff zu entgehen. Dies
wird vermutet, wenn sich die Ubertragungsurkunde
nicht an Bord befindet und das Schiff die Na-
tionalität des Kriegführenden weniger als 60 Tage
vor Ausbruch der Feindseligkeiten verloren hat.
Gegenbeweis ist zulässig. Ist dagegen der mehr
als 30 Tage vor Kriegsbeginn erfolgte Ubergang
unbedingt und vollständig, entspricht er der Ge-
setzgebung der beiden Länder und ist die Ver-
fügung über das Schiff nicht mehr in denselben