Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

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„differenzierten Standesbewußtsein“ (Harms). 
Die Organisation des Großbetriebs mache einen 
differenzierten Beamtenapparat notwendig. Vom 
Generaldirektor bis zum jüngsten Zeichner herab 
sei in der industriellen Hierarchie eines jeden 
Rangstellung genau bestimmt, seine Tätigkeit 
scharf umgrenzt und sehr verschieden entlohnt. Hier 
gingen nun die Interessen zwischen Vorgesetzten 
und Untergebenen wenigstens scheinbar ausein- 
ander. Die Verschiedenartigkeit der Tätigkeit, die 
verschiedene allgemeine fachliche Bildung, die ver- 
schiedene Herkunft tun ein weiteres dazu, um ein 
einheitliches Vorgehen der Privatbeamten zu er- 
schweren. Wie sehr die Herkunft eine Differenzie- 
rung bewirkt, zeigt Alwin Michel in einem Auf- 
satz über Handarbeit und Bureauarbeit (Archiv 
für Sozialwissenschaft XXVI 744): „Es ist leicht 
verständlich“, sagt er, „daß der Sohn eines Schutz- 
manns oder eines andern Unterbeamten andere 
Anschauungen über die Notwendigkeit der beruf- 
lichen Organisationen und über Lohnbewegungen 
hat als der Sohn eines organisierten großstädti- 
schen Arbeiters. Dann ist die Entlohnung für die 
jüngeren Schreiber aus der Klasse des Bürger- 
tums langenicht von der Bedeutung, als für die aus 
der Klasse der Arbeiterbevölkerung entstammenden. 
Während der Schreiber aus der Arbeiterbevölke- 
rung unbedingt ein gewisses Kostgeld aufbringen 
muß und erst den darüber hinausschießenden Be- 
trag für sich verwenden kann, darf der jüngere 
Schreiber aus der Bürgerfamilie nicht selten den 
gesamten Verdienst für sich verwenden."“ 
Die einzelnen Kategorien des Privatbeamten- 
stands sind nicht gleichzeitig in die soziale Be- 
wegung eingetreten. Zuerst waren es wohl die 
Handlungsgehilfen, die sich dazu entschlossen, 
Verbände zu gründen, um die soziale und wirt- 
schaftliche Lage der kaufmännischen Angestellten zu 
verbessern. Die Bestrebungen waren nicht ohne 
Erfolg. Namentlich die Einwirkung der Organi- 
sation auf die Gestaltung des für sie wichtigen 
Teils der Rechtsordnung blieb unverkennbar. Viel 
später traten die technischen Angestellten in die Be- 
wegung ein. Erst seit wenigen Jahren haben sie 
sich, namentlich im Bund der technisch-industriellen 
Beamten, der zunächst aus ganz kleinen Anfängen 
rasch emporwuchs, eine Organisation geschaffen, 
die deshalb besondere Beachtung verdient, weil sie 
den Gedanken der gewerkschaftlichen Organisation 
in klarer Weise für die Privatangestellten zum 
Ausdruck bringt. Freilich bestanden auch schon 
früher sehr angesehene Organisationen, denen sich 
technisch-industrielle Beamte anschließen konnten, 
aber diese Vereinigungen sind doch bis jetzt mehr 
oder weniger nur Fachverbände und Unterstützungs- 
vereine geblieben. Der Verein Deutscher In- 
genieure, der Verband Deutscher Elektrotechniker, 
der Deutsche Werkmeisterverband und manche 
ähnlich gearteten Verbände haben eine Vergangen- 
heit hinter sich, auf die sie stolz sein können; aber 
sie gaben nicht den Boden ab, der es den Ange- 
Privatbeamte. 
  
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stellten ermöglichte, sich gewerkschaftlich zu 
betätigen. Die Gründung rein wirtschaftlicher, 
auf gewerkschaftlicher Grundlage, d. h. den Arbeit- 
nehmerstandpunkt betonender Organisationen ist 
erklärlich aus Gründen, die schon oben angedeutet 
worden sind. Bahnbrechend für das neue Vor- 
gehen der Privatbeamten wird der Bund tech- 
nisch-industrieller Beamten. Er entstand im Mai 
1904. Der Bund bezweckt ein Zusammenwirken 
der technischen Privatbeamten zur Wahrung und 
Förderung ihrer sozialen und wirtschaftlichen 
Interessen. Dieser Zweck soll erreicht werden durch 
Zusammenschluß in einer einheitlichen, straffen 
Organisation, durch nachdrückliche Verbreitung 
des Verständnisses für sozialwirtschaftliche Fragen, 
durch Weckung des Solidaritätsgefühls, durch 
Vertretung der Berufsinteressen an allen Orten, 
wo eine Wahrung oder Verbesserung der sozialen 
wirtschaftlichen Stellung der technisch-industriellen 
Beamten erforderlich ist; durch weitgehende Auf- 
klärung über die herrschenden Erwerbsverhältnisse, 
durch Stellennachweise, durch Stellenlosenversiche- 
rung, durch unentgeltlichen Rat in beruflichen 
Rechtssachen, durch Rechtsschutz und Patentrat 
und endlich durch Einwirkung auf die Gesetz- 
gebung im Sinn einer Ausdehnung der Sozial- 
politik auf die technischen Angestellten. Der Bund 
steht auf dem Boden der heutigen Gesellschafts- 
ordnung. Er erkennt die Entwicklung zum Groß- 
betrieb als unvermeidlich und wünschenswert an 
und nimmt allen politischen Parteien gegenüber 
eine vollkommen neutrale Stellung ein. Partei- 
politische Bestrebungen sind ausdrücklich von seiner 
Tätigkeit ausgeschlossen. Von Jahr zu Jahr scheint 
der Gedanke der gewerkschaftlichen Koalition immer 
mehr in die Kreise der Privatbeamten einzudringen. 
Ein Beweis dafür ist auch die Entstehung des sog. 
Steigerverbands. Die Steiger, eine wichtige 
Körperschaft im Bergbau, verhandeln mit den 
Kameradschaften über das Gedinge, überwachen 
die Kohlengewinnung vor Ort und sind für den 
ordnungsmäßigen Betrieb unter Tage in erster 
Linie verantwortlich. Sie gehen fast alle aus den 
Reihen der Bergleute selbst hervor; aus den 
jüngeren Bergleuten werden die Tauglichsten aus- 
gewählt und in den Bergschulen ausgebildet. Der 
Steigerverband, der im Sommer 1907 zuerst an 
die Offentlichkeit trat, als er Einspruch erhob gegen 
die Maßreglung einiger Verbandsmitglieder, be- 
zeichnete in einem Schreiben an den Vorstand des 
Vereins für die bergbaulichen Interessen im Ober- 
bergamtsbezirk Dortmund als Ziel des Verbands, 
„nicht mehr so wehrlos auf Gnade und Ungnade 
der Willkür roher Vorgesetzten ausgesetzt zu sein; 
unsere Pflicht wollen wir auch um so besser er- 
üllen“". 
f Diese Andeutungen müssen hier genügen, um 
zu zeigen, welcher Art der geistige Umwälzungs= 
prozeß ist, der in den Angestelltenorganisationen 
vor sich geht. Nicht ohne Einfluß ist das auch auf 
die alten Verbände. Sie beschäftigen sich immer 
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