Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

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berechtigen zu der Erwartung, daß noch manche 
Schwierigkeiten, die bisher unüberwindlichschienen, 
in Zukunft besiegt werden können. Wenn das 
Proletariat die notwendige Folge des kapitalisti- 
schen Wirtschaftslebens ist, so werden alle Re- 
formen, welche den Kapitalismusals die ungezügelte 
Übermacht des Geldbesitzes zurückdämmen und be- 
seitigen helfen, von selbst der Proletarisierung ent- 
gegenwirken. 
Literatur. Fr. Engels, Die Lage der ar- 
beitenden Klassen in England (1844); Villard, 
Histoire du prolétariat (1882); Roscher, Politik 
(11908); Sombart, Studien zur Entwicklungsgesch. 
des italien. P.3, in Archiv für soz. Gesetzgeb. VI 
(1893); ders., Sozialismus u. soz. Bewegung im 
19. Jahrh. (61908); ders., Der moderne Kapitalis= 
mus (2 Bde, 1902); derf., Das P. (Bd l von Die 
Gesellschaft. Sammlung sozial-psychischer Mo- 
nographien (19081); Palter, Kunst u. P. (1901); 
Broda u. Deutsch, Das moderne P. (1910). Reiche 
Literaturangaben bezüglich des P.s bei Sombart, 
Sozialismus. über die Besserung der Lebenslage 
des industriellen P.s in England s. v. Nostitz, 
Das Aufsteigen des Arbeiterstands in England 
C1900. [Walter.) 
Prostitution. LBegriff; Geschichte; Ur- 
sachen; Formen; Folgen; Bekämpfung.] 
I. Begriff. Unter Prostitution versteht man das 
Preisgeben der eignen Person zu einem gemeinen 
Zweck, besonders die vom weiblichen Geschlecht ge- 
wohnheits- und gewerbsmäßig betriebene Dar- 
bietung des eignen Leibes gegen Entgelt an eine 
Mehrheit von Männern. Das Begriffskriterium 
liegt somit nicht in dem wahllos geübten Geschlechts- 
verkehr, sondern in der gewerbsmäßigen Betreibung 
der Unzucht (ogl. St.G.B. 8 361 Z. 6). Hieraus 
ergibt sich, daß als Prostituierte nur solche Mädchen 
und Frauen bezeichnet werden dürfen, die außer 
der gewerbsmäßigen Darbietung ihres Körpers 
überhaupt kein anderes Geschäft treiben und keine 
andere Erwerbsquelle haben. 
II. Geschichte. Aus einem Überblick über die 
geschichtliche Entwicklung der Prostitution wird 
man den großen praktischen Gewinn ziehen können, 
nicht bloß ihre Ursachen und Folgen, sondern auch 
die wirksamen Mittel ihrer Bekämpfung oder Ein- 
schränkung kennen zu lernen. Die ältesten Nach- 
richten über die Prostitution finden sich im Kultus 
der babylonischen Mylitta, der von jedem Mädchen 
die einmalige Hingabe an den ersten besten Mann 
im Heiligtum gegen Entrichtung einer Steuer 
(Geldspende) verlangte (vgl. Herodot 1, 199; 
Bar. 6, 42 f). Von Babylon aus verbreitete sich 
dieser Kultus über ganz Vorderasien (Astarte), 
dann nach Griechenland (Aphrodite) und endlich 
nach Italien (Venus, Bacchus oder Priapus). 
Mit Hinzutreten des Dionysos-Bacchuskultus ent- 
standen jene wilden, zum Teil nächtlichen Festlich- 
keiten, denen man in Griechenland und Rom unter 
dem Namen Bachhanalien, Florealien u. a. be- 
gegnet. Indem die Steuer an die Gottheit weg- 
blieb, entstand die erwerbsmäßige Prostitution, 
Prostitution. 
  
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zunächst zur Beschaffung einer Aussteuer für die 
eirat. 
In Hellas nahm sie schon frühzeitig eine legale 
Form an. Es entstand in Athen das erste Bordell 
(Dikterion) als Staatsanstalt, das Vorbild der 
„Reglementierung“. Die Erfindung geht auf den 
Namen des Solon und muß in seine Archonten- 
zeit gefallen sein, also in das Jahr 594 v. Chr. 
oder bald nachher. Er kaufte auf Staatskosten 
Sklavinnen im Ausland und regulierte den Ver- 
kehr im Dikterion durch Festsetzung von Gebühren 
und eine Hausordnung. Die Prostitution durfte 
nur von Sklavinnen betrieben werden, und freie 
Frauen, die sich preisgaben, wurden zu Skla- 
vinnen degradiert. Man unterschied Dikteriaden 
(Bordellmädchen), Auletriden (Flötenspielerinnen, 
Sängerinnen und Tänzerinnen) und Hetären, alle 
drei Arten der gewerblichen Prostitution ange- 
hörend, wenn auch von verschiedener Qualität. 
Letztere waren entweder heraufgekommene und von 
einem Liebhaber freigekaufte Dikteriaden, wie ja 
die berühmte Aspasia in ihren jüngeren Jahren 
ganz gewöhnliche Bordelldirne in Megara gewesen 
war, oder solche freie Mädchen, denen diese Lebens- 
weise besser als irgend eine andere zusagte. Im 
allgemeinen sind die Hetären nichts anderes ge- 
wesen als etwas später die bonae mulieres der 
Römer, die grandes cocottes im heutigen Paris 
oder die „seinen Weiber“ von Berlin. 
In Rom, wo man öffentliche staatliche und 
private Freudenhäuser (fornices, lupanaria) und 
selbständige Freudenmädchen (prostibulae, mere- 
trices) hatte, war unter der Republik die Pro- 
stitution geduldet und unter die Aufsicht der 
Adilen gestellt. Der Adil überwachte die Dirnen, 
führte Listen, erteilte die Konzession zur polizeilich 
unbelästigten Ausübung des Gewerbes, ganz wie 
in Wien oder Pest heute noch mit Entziehung der 
Lizenzkarte gedroht wird. Die männliche Pro- 
stitution aber war vollständig frei, und so wimmel- 
ten alle Hauptverkehrsstraßen bald von phrygischen 
Lustknaben mit ihren weibischen Gewändern, ihren 
Schmachtlocken, ihrem süßlichen Lächeln und ko- 
ketten Winken, ihrem tänzelnden, sich in den 
Hüften wiegenden Gang. Als mit dem Niedergang 
des römischen Reichs die Prostitution sich immer 
breiter machte, versuchten verschiedene Kaiser sie 
einzuschränken, doch mußte sie immer wieder tole- 
riert werden. 
Auch der jüdische Gesetzgeber Moses hat zuerst 
den Versuch gemacht, die Prostitution vollständig 
zu unterdrücken, sah sich aber schließlich genötigt, den 
Verkehr mit ausländischen Prostituierten zu dulden, 
während den Töchtern Israels die Prostitution 
verboten war (3 Mof. 19, 29; 5 Mos. 23, 17). 
Neben der religiösen war im heidnischen 
Altertum und ist bei manchen Völkern noch jetzt 
viel verbreitet die sog. gastliche oder gastfreund- 
schaftliche Prostitution. Vielleicht ist sie überhaupt 
die erste erkennbare Form der asiatischen Prostitu- 
tion. Der Hausherr fühlte sich verpflichtet, dem
	        
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