Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

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eingetretenen Gast seine Ehehälfte zu überlassen 
oder die jungfräuliche Tochter zuzuführen. Wahr- 
scheinlich hat die Spekulation auf ein Gastgeschenk 
mitgespielt und den materiellen Beiklang geliefert. 
Das Hauptmotiv hatte jedoch bereits eine religiöse 
Grundlage: man glaubte an den Besuch von Göt- 
tern und hoffte oder befürchtete, der Besucher könnte 
ein verkleideter Gott sein. Sicher ist aus der reli- 
giösen und gastlichen Prostitution hervorgegangen 
bzw. hat noch lange Zeit neben ihnen bestanden die 
gewerbsmäßige Prostitution, die Darbietung 
von Frauen und Mädchen um Geldeslohn an 
fremde Männer. 
Im Gegensatz zu den östlichen Kulturvölkern 
haben die Germanen von sich aus keine Prosti- 
tution entwickelt, denn sie schätzten und verehrten 
außerordentlich die weibliche Jungfrauschaft. Erst 
aus den Berührungen mit der Römerwelt lernten 
sie die Prostitution kennen oder fanden sie vor in 
den Städten des Dekumatenlands und in den 
alten Garnisonen am Rhein gegen Ende des 
2. Jahrh. v. Chr. 
Das Christentum bekämpfte mit bestem Erfolg 
zwar die religiöse Prostitution, aber auch die 
härtesten Strafen waren nicht imstande, die ge- 
werbliche Unzucht auszurotten. Schon die ersten 
christlichen Kaiser sahen sich genötigt, sie als das 
kleinere Ubel zu dulden. Karl d. Gr. hat sie zuerst 
(im Jahr 805) verboten, dann aber, da sie immer 
mehr an Ausdehnung zunahm, organisiert und 
erkleckliche Abgaben von den Dirnen gezogen. Trotz 
der harten Strafen (Abschneiden der Nase), womit 
Friedrich Barbarossa die Gewerbsunzucht ahndete, 
mehrten sich die Dirnen und Frauenhäuser. Lud- 
wig der Heilige suchte die Prostitution aufs neue 
zu unterdrücken, mußte sie aber unter gewissen 
Einschränkungen tolerieren. Begünstigt durch die 
Kriegszeiten hatte die Prostitution im Mittelalter 
in Mitteleuropa einen furchtbaren Grad erreicht: 
den Heereszügen folgten Scharen feiler Dirnen 
und Weiber; bei Messen und großen Märkten, 
bei Reichstagen und Konzilien hielten sie ihren 
Einzug. Auch die Kreuzzüge hatten der Prosti- 
tution außerordentlichen Vorschub geleistet. Im 
15. Jahrh. hatte zuletzt jede deutsche Stadt auch 
ihr Frauenhaus. Die Prostitution war ein un- 
ehrlicher Beruf und die Dirnen standen unter 
der Verwaltung des Henkers. Doch hielt fast 
überall der Magistrat seine Hand über solche An- 
stalten, in denen er auch Gäste von auswärts gern 
bewirtete. Der erbitterte Kampf, den Kaiserin 
Maria Theresia gegen die Prostitution und jede 
Unsittlichkeit führte, hatte keinen Erfolg: die Pro- 
stitution blieb in großem Umfang bestehen (man 
zählte damals in Wien 10000 Prostituierte). 
Auch die durch Jahrhunderte fortgesetzten Versuche 
der Päpste, die offene Prostitution zu unterdrücken, 
führten nur dazu, daß die geheime bis in die Fa- 
milien hinein um sich gegriffen hat. 
Wie in Frankreich und Deutschland hat sich die 
Geschichte der Prostitution ähnlich in den übrigen 
Prostitution. 
  
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europäischen Ländern gestaltet: überall der stän- 
dige Wechsel zwischen Verbot und Duldung. Seit 
1545 wurde die Prostitution in England frei ge- 
duldet, ohne irgendwie reguliert zu sein. Legali- 
siert wurde sie wieder durch die französische Revo- 
tion, was sie seitdem geblieben ist. 
Im Jahr 1875 gründete Mrs. Josephine But- 
ler die internationale Föderation zur Abschaffung 
aller Bordelle und jeder sittenpolizeilichen Kon- 
trolle („Reglementierung") schlechthin. Dieser 
„Abolitionismust“ hielt 1877 seinen ersten 
Kongreß in Genf und hat seither Hand in Hand 
mit der sonstigen Frauenbewegung allerlei äußere 
Erfolge zu erzielen gewußt. 
III. Arsachen. Da die Prostitution nur als 
Gesamterscheinung im Zusammenhang mit dem 
ganzen sozialen Leben und seiner Entwicklung be- 
griffen werden kann, so darf die Prostituierte nicht 
als isoliertes Einzelwesen, sondern nur als Glied 
einer sozialen Gruppe, der sie angehört, betrachtet 
werden. Die Grundursache der Prostitution ist 
darum die durch die äußern Lebensbedingungen 
und durch die vernachlässigte Erziehung bedingte 
Verwahrlosung des Individuums. Not oder Ver- 
führung sind nur die äußere Veranlassung (occa- 
sio sive causa occasionalis), durch welche die 
einzelne Person der Prostitution, für die sie be- 
reits prädisponiert erscheint, früher oder später 
zugeführt wird. Zweifellos gibt es auch minder- 
wertige, also „geborne“ Prostituierte, aber die 
Ansicht (Lombrosos), daß jede Prostituierte eine 
geborne Verbrecherin sei, ist unrichtig, denn diese 
Meinung verwechselt die Ursache mit der Wirkung 
und setzt an den Anfang der Prostitution, was 
lediglich ihre Folge ist. Ebenso verkehrt ist die 
Anschauung, als ob wirtschaftliche Not allein arme 
Mädchen der gewerbsmäßigen Unzucht in die Arme 
führe. Denn die Rekrutierung der Prostituierten 
erfolgt aus allen Ständen, aus den stolzesten und 
bestsituierten bis zu den niedrigsten. Bei Mädchen 
der gebildeten Klassen wirkt meistens unbändige 
Sinnlichkeit und bodenloser Leichtsinn oder „das 
Bewußtsein, ungestraft sündigen zu können, weil 
Folgen erfahrungsgemäß ausbleiben“ (Hessen 61), 
bei Dienstmädchen, der „großen Reservearmee der 
Prostitution“, hauptsächlich Putzsucht. Als wich- 
tigste Triebfedern erweisen sich Trägheit, Genuß- 
und Vergnügungssucht. Sodann leisten manche 
Gewerbe, z. B. die der Kellnerinnen, Verkäufe- 
rinnen, Schauspielerinnen, Sängerinnen, Tänze- 
rinnen, der Prostitution Vorschub teils wegen des 
leichten Verkehrs mit der Männerwelt teils wegen 
der unzureichenden Belohnung. Ferner spielt eine 
gewichtige Rolle die Verführungseitens der lüsternen 
Männerwelt oder solcher Leute, die aus dem Ge- 
werbe der Prostitution wieder Nutzen ziehen, seitens 
der Kuppler und Kupplerinnen, Zuhälter oder 
Verbrecher oder sogar der eignen Eltern. Eine 
wesentliche Ursache der Prostitution ist weiterhin 
die Nachfrage seitens des männlichen Geschlechts. 
Auch die sog. Verhältnisse, die entweder auf kurze
	        
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