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gesetzliche Behandlung der Frage ist in Theorie
und Praxis eine sehr verschiedene. Man wird das
Verhältnis der Rechtsordnung zur Prostitution
auf drei Grundsätze zurückführen können.
1. Das Repressivsystem. Der Staat ver-
bietet einfach die Prostitution, erklärt sie als straf-
bar und bezweckt ihre Ausrottung durch Maßregeln
repressiver Natur. Dieses Prinzip, das auf einer
Verkennung der Grenzen von Moral und Recht
beruht, konnte sich in den modernen Kulturländern
keine Geltung verschaffen. Es wird hier übersehen,
daß die Prostitution zwar eine unmoralische, aber
keine rechtswidrige Handlung ist und nur dann
als strafbar erklärt werden kann, wenn ein anti-
soziales, die Interessen der Gesellschaft gefähr-
dendes Verhalten der einzelnen Prostituierten vor-
liegt. Das vom Recht zu schützende Gesellschafts-
interesse ist hier das Rechtsgut der Gesundheit,
das aber von der Prostituierten, die sich einer
sanitätspolizeilichen Kontrolle unterwirft, weder
böswilliger= noch fahrlässigerweise gefährdet wird.
Es kann somit nicht die Prostitution als solche,
sondern nur die unterlassene Unterwerfung unter
die gesetzliche Kontrolle den Rechtsgrund einer
Strafe bilden.
2. Das Abolitionsprinzip. Der sog.
Abolitionismus verlangt vom Staat die völlige
Abschaffung (abolition) aller gesetzlichen und poli-
zeilichen Maßnahmen gegen die Prostitution. Keine
Duldung und keine Kontrolle: das ist die Losung
dieser Kampfesrichtung. Weder unter dem Vor-
wand der Unausrottbarkeit noch der Notwendig-
keit, den gefährlichen Wirkungen der gewerblichen
Unzucht entgegenzuarbeiten, dürfe der Staat sie
reglementieren. Jede Reglung der Prostitution
und namentlich die Genehmigung öffentlicher
Häuser käme einer Legitimierung der Unmoral
gleich, so daß die Prostitution als notwendig und
rechtlich anerkannt erschiene. Das einzige, was
der Staat tun könne, sei, durch Wohlfahrtsgesetze
im weitesten Sinn, Hebung der Bildung, Bes-
serung der sozialen und wirtschaftlichen Verhält-
nisse der Prostitution den Nährboden zu entziehen,
im übrigen aber die bestehende Prostitution zu
ignorieren, d. h. gegen Prostituierte nur dann
einzuschreiten, wenn sie sich gegen Anordnungen
des allgemein geltenden Rechts vergehen. Das
Abolitionssystem geht sicher von einem idealen
Standpunkt aus, bekundet aber einen vollstän-
digen Mangel an Verständnis für die tatsächlichen
Verhältnisse. Erstens ist der von den Abolitio-
nisten erhobene Einwand, daß es durch eine
Reglementierung der Prostitution niemals mög-
lich sein werde, alle tatsächlich die gewerbsmäßige
Unzucht treibenden Personen der Kontrolle zu
unterstellen, somit das Odium, das die Behörde
infolge Duldung der Prostitution auf sich lade,
durch die nur zweifelhaften Erfolge der Regle-
mentierung nicht aufgewogen werde, ein Beweis-
grund, der sich von selbst erledigt, denn damit ist
nur gesagt, daß jede Reglementierung der Pro-
Prostitution.
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stitution notwendig eine unvollkommene ist. Zwei-
tens ist der Einwurf, daß, solang nur die Pro-
stituierte und nicht auch die sie besuchenden Männer
einer ärztlichen Untersuchung unterzogen werden,
die Reglementierung der Prostitution zwecklos sei,
nicht nur nicht stichhaltig, sondern durchaus un-
berechtigt. Denn aus der Tatsache, daß die aus
Rücksichten der Gesundheit gewiß wünschenswerte
ärztliche Untersuchung der Männer nicht statt-
findet, folgt keineswegs, daß die polizeiliche und
ärztliche Uberwachung der Prostitution nutzlos sei.
Sodann ist es ein Gebot der Klugheit, auf die
geringeren, aber wirklich erreichbaren Vorteile
nicht deshalb zu verzichten, weil der größere Er-
folg noch nicht zu erzielen ist. Uberdies ist die
venerisch erkrankte Prostituierte weit gefährlicher
als der infizierte Mann. Endlich ist auch die An-
sicht der Abolitionisten, daß die Uberwachung oder
Reglementierung der Prostitution entsittlichend
auf die Gesellschaft wirke, unrichtig, denn nirgends
wird eine schamlosere Prostitution und eine so ver-
brecherische Kuppelei getrieben als in den sog.
abolitionistischen Lindern. Das Abolitionssystem,
das in England, Italien und in einigen Schweizer
Kantonen durchgeführt erscheint, wurde auch in
Dänemark im Jahr 1906 zur Geltung gebracht.
3. Die Reglementierung. Dieses System
geht von der Tatsache aus, daß die offene Pro-
stitution nicht unterdrückt werden kann, ohne daß
sofort die geheime oder wilde Prostitution,
„Winkelprostitution“ genannt, in der mit Recht
die allerschlimmste Form gesehen wird, nur desto
unliebsamer bis in die Familien hinein um sich
greift, und lehrt, das Übel sei nur einzuschränken
und zu regulieren. Der Staat duldet danach die
gewerbsmäßige Unzucht, falls die Dirnen sich po-
lizeilich einschreiben lassen und sich alle 14 oder
alle 8 Tage zur ärztlichen Untersuchung stellen
(eingeschriebene Kontrolldirnen); die als venerisch
erkrankt Befundenen werden einer zwangsweisen
Spitalbehandlung unterworfen. Die nicht in-
skribierten oder nicht kontrollierten Dirnen wer-
den von der Polizei verfolgt und bestraft, nötigen-
falls von ansteckender Krankheit geheilt und wieder
entlassen. Während für die eingeschriebenen Dirnen
ärztlicher Visitationszwang besteht, ist die Visi-
tation den nicht eingeschriebenen freigestellt. Sie
können sich untersuchen lassen und eine ärztliche
Bescheinigung darüber bei sich tragen, um sie vor-
zuzeigen, können es aber auch unterlassen und
bilden daher das gesundheitsgefährlichste Element
in der Dirnenwelt.
Die in den verschiedenen Ländern und Städten
geltenden Reglements weisen in den Einzelbestim-
mungen Abweichungen auf, die sich aus der Eigen-
art der lokalen Verhältnisse ergeben, stimmen aber
in der Grundanschauung überein, wonach der
Prostituierten, die sich freiwillig bestimmten Be-
schränkungen unterwirft, eine Duldung ihres Ge-
werbes zugesichert wird. Im Deutschen Reich
speziell ist die Prostitution nicht anerkannt, viel-