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mehr nach St. G. B. 8 180 das Konzessionieren
und Halten von öffentlichen Häusern, ferner die
Begünstigung und Unterstützung der gewerbs-
mäßigen Unzucht überhaupt verboten. Nach
St.G.B. 8 361 Z. 6 wird sogar die Prostitution
bestraft, wenngleich nur „zur Sicherung der Ge-
sundheit, der öffentlichen Ordnung und des öffent-
lichen Anstands“. Droht keine Gefahr nach einer
dieser drei Richtungen hin, so wird sie geduldet.
Da die polizeiliche Uberwachung und besonders
die ärztliche Kontrolle sich leichter handhaben
lassen, wenn die Dirnen zusammenwohnen, wird
vielfach der Kasernierung in Häusern, Bor-
dellen oder Toleranzhäusern (Bordellsystem) der
Vorzug vor der einfachen Reglementierung ge-
geben und die Wiedereinführung der maisons de
tolérance, die nach dem Vorgehen Solons und
Karls d. Gr. erstmals von Napoleon 1802 in
Paris errichtet wurden, befürwortet. Ganz ab-
gesehen davon, daß unmöglich alle Dirnen in
Bordellen untergebracht werden können, schon
wegen ihrer großen Anzahl, haben sich die an
ihre Errichtung geknüpften Erwartungen nr teil-
weise erfüllt, indem ihre Vorteile durch zahlreiche
Nachteile beeinträchtigt werden. Ein Mittelding
zwischen Reglementierung und Kasernierung ist
die Lokalisierung. Die Prostituierten sind
in gewisse Straßen (Kontrollstraßen) verwiesen,
in denen allein sie ihre Wohnung nehmen dürfen,
aber unabhängig von einem Bordellverwalter
bleiben. In Bremen z. B. dient eine Sackgasse
mit 26 Häusern, die alle einem Unternehmer ge-
hören, ausschließlich als Wohnort für Prosti-
tuierte.
Über den Wert und bisherigen Einfluß dieser
Einrichtungen auf die Gestaltung der Prostitution
gehen die Ansichten weit auseinander. Die Frage,
ob durch die Reglementierung der Gefahr der Aus-
breitung der Geschlechtskrankheiten vorgebeugt
werde, wird von vielen unbedingt verneint. Denn,
wie allgemein zugegeben wird, erfaßt die Regle-
mentierung kaum den zehnten Teil der Dirnen;
in Paris weisen die polizeilichen Listen etwa 7000
Namen auf, die wirkliche Zahl der Prostituierten
wird auf mindestens 100.000 geschätzt. Köln hat
700 Eingeschriebene, 7000 treiben gewerbsmäßige
Unzucht; für Berlin sind die entsprechenden Zahlen
5000 und 30 000/40 000. Ahnliche Zahlen und
ähnliche Verhältnisse werden aus den meisten grö-
ßeren Städten berichtet. Es will also wenig be-
deuten, daß nur ungefähr 1/10 unter ärztlicher
Kontrolle steht. Dazu kommt, daß der ärztlichen
Untersuchung und Behandlung, die überall nur
selten und flüchtig stattfinden, Mängel anhaften.
Sodann ist es Tatsache, daß die Bordelle an Zahl
überall abnehmen. Solange es nicht möglich sein
wird, die furchtbaren Schädigungen der Pro-
stitution durch Belebung des christlichen Geistes
einzudämmen oder zu verhüten, ist es Pflicht des
Staats, die Reglementierung durch sanitäre In-
stitutionen möglichst zu verbessern und namentlich
Staatslexilon. IV. 3. u. 4. Aufl.
tution. 386
die Ursachen der Prostitution zu beseitigen. Diese
prophylaktischen Maßnahmen und Vorkehrungen
(Prostitutionsprophylaxe) müssen zum Gegenstand
haben die allgemeine Hebung der Religiosität und
Sittlichkeit, die Förderung der sozialen Reformen,
besonders des Wohnungswesens und der Lohnver-
hältnisse des weiblichen Geschlechts, die Fürsorge
für jugendliche Personen, denen wegen der sie um-
gebenden äußern Lebensbedingungen die sittliche
Verwahrlosung droht, die Unterstützung der Sitt-
lichkeits= und Mädchenschutzvereine, die Förde-
rung von Institutionen, die es dem bereits dem
Laster verfallenen Mädchen noch rechtzeitig, ehe
die vollständige Demoralisierung eingetreten ist,
ermöglichen, einen ordentlichen Beruf zu ergreifen
(Magdalenenstifter, Orden vom oder Gesellschaften
zum guten Hirten), und namentlich auch die rast-
und rücksichtslose Bekämpfung des Mädchen= oder
richtiger Frauenhandels. .
Unter Mädchenhandel im weiteren Sinn
des Wortes versteht man jede Verkupplung einer
Frauensperson; der engere Begriff des Mädchen-
handels — traite des blanches, weißer Sklaven-
handel — beschränkt sich auf die Verkuppelung
oder Verschleppung von Frauenspersonen ins Aus-
land zu Prostitutionszwecken. Nach den Ergeb-
nissen genauer Nachforschungen seitens der deut-
schen Zentralpolizeistelle in Berlin (1904) besitzt
der Mädchenhandel eine förmliche internationale
Organisation, und zwar in einem weit größeren
Umfang, als man seither annahm. Darum hat
sich gegen ihn eine internationale Bewegung or-
ganisiert. Es bestehen in den einzelnen Ländern,
auch in Nord= und Südamerika, Komitees zu
seiner Bekämpfung. Auf internationalen bzw. na-
tionalen Kongressen (London 1899, Amsterdam
1901, Paris 1902 u. 1906, Frankfurt 1902,
München 1904, Leipzig 1909) wurde insbeson-
dere die Notwendigkeit internationaler Rechtshilfe
anerkannt bzw. eine einheitliche Gesetzgebung ge-
schaffen, eine planmäßige Uberwachung an Bahn-
höfen und Hafenplätzen eingerichtet, die pflicht-
mäßige Rückschaffung in die Heimat und die Auf-
bringung der Kosten dafür beschlossen und die
Kontrolle der Stellenvermittler für das Ausland
eingeführt. Die Polizeiverwaltungen mehrerer
Staaten erhalten sich in steter Fühlung mitein-
ander, um den verbrecherischen Handel auszurotten.
Auch die „Deutsche Zentralpolizeistelle zur Be-
kämpfung des internationalen Mädchenhandels“
in Berlin hat sich seit 1904 über das ganze
Deutsche Reich ausgedehnt und steht mit allen
deutschen Polizeibehörden in Verbindung. Diese
bringen der Zentralstelle jeden vorkommenden Fall
zur Kenntnis, und letztere teilt ihnen aus ihrem
Album zur Erleichterung der Entdeckung die Pho-
tographien polizeilich bekannter Händler mit. Ein
wichtiger Faktor gegen den Mädchenhandel ist die
Bahnhofsmission.
Literatur. P. Dufour, Histoire de la prostit.
(6 Bde, Par. 1851/54; deutsch 1900/02); Parent-
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