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gab er 1840, nachdem er schon vorher eine viel-
gerühmte Studie über die Sonntagsheiligung ver-
öffentlicht hatte, sein bedeutsames Werk heraus:
Qu’est-ce due la propriété? I mémoire.
Recherches sur le principe du droit et du
Souvernement ((Euvres compl. VI).
Das Werk mit seiner bekannten Antwort: La
propriété c’est le vol, erregte großes Aufsehen,
aber auch einen Sturm der Entrüstung. Seine
Freunde zogen sich von ihm zurück; die Akademie
zu Besangon wies die Widmung des Buchs zurück
und dachte daran, das Stipendium zu entziehen;
die Regierung erwog eine strafrechtliche Verfol-
gung, die nur durch das Eintreten des National-
ökonomen Adolf Blanqui, des Bruders des Sozia-
listen, der für den wissenschaftlichen Charakter des
Werks sich aussprach, abgewandt wurde. 1841
und 1842 folgten weitere Schriften über das Eigen-
tum, von denen die letzte von 1842 ihn in einen
Prozeß verwickelte, der aber mit Freispruch endigte.
Proudhon war durch all das bekannt geworden,
aber zum Leben hatte er nach Ablauf des Stipen-
diums nichts. Deshalb trat er nach kurzer Tätig-
keit als Sekretär bei einem Pariser Advokaten bei
einem Lyoner Kohlen= und Transportgeschäft als
Kommis ein (1843), ohneaberseine geistige Weiter-
bildung und literarische Produktion aufzugeben.
1843 im Sommer erschien sein eigenartiges Werk:
De la creéation de Pordre dans I’humanité ou
Principes d’organisation politique ((Euvres
compl. III. Skizzierung bei Diehl, Proudhon II
6/19, Kritik 149/164). Es was dies eine Art
philosophische Einleitung für das bedeutsame Werk,
das 1846 erschien: Systeme des Contradictions
économiques ou philosophie de la misere
(2 Bde, Skizzierung und Kritik bei Diehl
a. a. O. II 14/34, 164/175). In diese Jahre fällt
auch seine Bekanntschaft mit Marx, mit dem er
besonders 1844 persönlich verkehrte und geistigen
Ideenaustausch hielt. Die Gegenschrift Marx'
zu letzterem Werk (Misère de la philosophie,
1847) führte aber den endgültigen Bruch zwischen
beiden Denkern herbei. 1847 gab Proudhon
seine kaufmännische Stellung auf, um in Paris
wieder ganz den Studien zu leben. Nach Aus-
bruch der Februarrevolution entfaltete er eine
rege publizistische Tätigkeit und wurde als Ver-
treter des Seine-Departements ins Parlament
gewählt. Dort hielt er am 31. Juli 1848 eine
berühmt gewordene Rede über die Unentgelt-
lichkeit des Kredits. Diese herbeizuführen be-
dürfe es einer eignen Bankorganisation. Februar
1848 machte er den praktischen Versuch, diese
„Volksbank“ einzurichten, kam aber wegen einer
ihn damals treffenden Gefängnisstrase über das
Stadium vorbereitender Tätigkeit nicht hinaus.
Wegen Preßvergehens (Aufreizung zum Haß und
zur Verachtung der Regierung) wurde er nämlich
zu einer Gefängnisstrafe von drei Jahren und zu
3000 Franken Geldstrafe verurteilt. Im Gesäng-
nis schon ung erst recht nachher entfaltete er eine
Proudhon.
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weitere rege geistige Tätigkeit und Produktion;
zahlreiche Schriften entstammten in dieser Zeit
seiner Feder (Übersicht bei Diehl a. a. O. II 106
bis 107). 1858 erschien sein großes vierbändiges
Werk: De la Justice dans la Revolution et
dans I’Eglise, nouvaux principes de la philo-
sophie pratique ((Euvres compl. IV), das ihn
wiederum mit dem Strafgesetz in Konflikt brachte.
Um einer erneuten dreijährigen Gefängnisstrafe zu
entgehen, floh er nach Belgien (Brüssel); 1860
wurde er amnestiert, kehrte aber erst 1862 nach
Paris zurück und starb 1865 am 19. Jan. in Passy.
2. Die Bedeutung Proudhons als sozial-
ökonomischen Kritikers liegt darin, daß
er die bisherige Begründung der Privateigentums-
institution als ungenügend darlegte und doch zu-
gleich für das privatwirtschaftliche System an sich
und grundsätzlich, wenn auch Reformen verlangend,
etntrat, ferner daß er die wirtschaftlichen und so-
zialen Folgen des Privateigentums als ökono-
mische Vorgänge zu analysieren versuchte, und
endlich daß er als Brennpunkt der sozialökono-
mischen Kräfte und Vorgänge die Wertgebung er-
kannte und behandelte. Zu seiner Kritik der Privat-
eigentumsinstitution kam Proudhon in Verfolg
einer von der Akademie seiner Vaterstadt Besangon
gestellten Preisaufgabe: Über die wirtschaftlichen
und moralischen Folgen, die bisher in Frankreich
das Gesetz über die gleiche Teilung der Güter unter
die Kinder hervorgebracht hat und die es in Zu-
kunft hervorbringen wird. Bei der Untersuchung
hierüber wurde Proudhon schließlich auf die Frage
nach dem Erbrecht überhaupt und endlich zur Frage
nach der Berechtigung und den Wirkungen des
Privateigentums schlechtweg geführt. Das Resul-
tat seiner Untersuchungen und Anschauungen publi-
zierte der 31jährige Proudhon 1840 in seinem
Werke: Qu'est-ce que la propriété? Hier erörtert
er eingehend die Frage nach der Berechtigung des
Privateigentums und weist auf das Unbefriedigende
der bisherigen Begründung hin. Von dieser kriti-
schen Leistung Proudhons, die in späteren Schriften
noch fortgesetzt wurde, sagt Adolsf Wagner, daß sie
für die allgemeine Eigentumslehre trotz der Wider-
sprüche und der schließlichen allgemeinen Skepsis
aus der einschlägigen französischen Literatur doch
„am wichtigsten bleibe“ (Grundlegung der polit.
Okonomie II//11894) 189). Die eigne Stellung
Proudhons zur Privateigentumsinstitution aber ist
solgende, wobei zu bemerken ist, daß Proudhon in
späteren Schriften nach Inhalt und Form sich
milder ausdrückte. Proudhon ist nicht gegen das
Privateigentum an sich, sondern nur gegen be-
stimmte Wirkungen desselben. Das Privateigen-
tum soll deshalb nicht aufgehoben, sondern
reformiert werden. Zwei Wirkungen der Privat-
eigentumsinstitution sind es, die zunächst und
hauptsächlich in die Augen springen, eine gute
und eine schlechte. Die gute besteht darin, daß
das Privateigentum dem Besitzer die Verfügung
über Produktionsmittel gibt, die schlechte, daß es