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die Gewalt verleiht, über das Arbeitsprodukt
anderer zu verfügen, und ein reines Besitzein-
kommen vom Arbeitsertrag anderer sich anzueignen.
Den Gegensatz der guten und der schlechten Seite
an der Privaleigentumsinstitution hat Proudhon
in die Formel gegossen: Der Ves ist rechtlich,
das Eigentum ist widerrechtlich. Die Betonung
der schlechten Seite hat ihren schärfsten Ausdruck
in dem bekannten Satz gefunden: Eigentum ist
Diebstahl (La propriété c'est le vol). Man
könnte den Sinn vielleicht wiedergeben mit dem
Ausdruck: Das Eigentum ist eine ganz von selbst
tätige Stehlmaschine am Arbeitsertrag anderer.
Proudhon selbst sagt in seiner zweiten Schrift
über das Eigentum über den Sinn dieses Wortes:
J’ai accusé la propriété, je n’ai point calom-
nié les propriétaires, ce dui de ma part eüt
Eté absurde (Diehl a. a. O. 1 52).
Das Eigentum nimmt von vornherein einen
Teil des gesellschaftlichen Arbeitsertrags als ein
droit d’aubaine für sich vorweg und macht da-
her die Einkommensverteilung ungerecht. Gleich-
zeitig führt das Eigentum zu einer Anarchie der
Produktion und Konsumtion dadurch, daß die
Kaufkraft des Arbeiterstandes, dieses Hauptkonfu-
menten, weil geschwächt durch den Abzug des
Besitzeinkommens, nicht mehr alle von ihm pro-
duzierten Güter zu konsumieren vermag. Ihren
Brennpunkt haben diese ökonomischen Zusammen-
hänge in der Wertgebung, die jetzt eine verkehrte,
oder wie Proudhon sich ausdrückt, eine „nicht kon-
stituierte" ist. Jetzt ist der ewige Widerstreit
zwischen Nutzwert und Tauschwert. Es müsse
dafür gesorgt werden, daß der Wert „konstituiert“
würde. Diese Konstitution des Werts könne nicht
erreicht werden mit Aufgabe des Privateigentums
an sich und mit Einführung des Kollektiveigen-
tums. Denn ersteres allein garantierte persönliche
Initiative und Verfügung über Produktionsmittel,
letzteres aber wäre gleichbedeutend mit Einführung
der schlimmsten persönlichen Unfreiheit. Es müsse
eine dritte Gesellschaftsform gefunden werden, in
der das Privateigentum nicht aufgehoben, sondern
reformiert, d. h. von seinen schlechten Seiten befreit
sei. (Zur Kritik der Proudhonschen Werttheorie
außer Diehl a. a. O. 1 104/125; v. Wenckstern,
Marx 1(18967 159/183; Kaulla, die geschichtl.
Entwicklung der modernen Werttheorien (19061
195
3. Bei seinen sozialen Reformvorschlägen
geht Proudhon entsprechend seiner ökonomischen
Doktrin von dem Gedanken aus, die Lichtseiten
des Privateigentums (individuelle Verfügung über
Produktionsmittel) jedem nutzbar zu machen und
die Schattenseiten (Vorwegnahme von reinem Be-
sitzeinkommen aus dem gesellschaftlichen Arbeits-
einkommen) zu beseitigen. Er will dies erreichen
durch unentgeltlichen Kredit, der durch eine eigen-
artige Bankorganisation geschaffen werden soll.
Jedem, der produzieren will, soll das nötige
Kapital zinslos, gegen bloße Verpflichtung der
Proudhon.
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Kapitalsrückzahlung, überlassen werden, und zwar
in Noten, die alle Mitglieder der Bank bei Zah-
lungen anzunehmen verpflichtet sind. Damit wäre
die Macht der Kapitalisten gebrochen; Grundrente
und Zins würden verschwinden, da niemand diese
„Steuern“ an die Grund= und Kapitaleigentümer
mehr zahlen wollte, wo er doch bei der „Volks-
bank“ unentgeltlich Kredit bekäme.
In die Praxis suchte Proudhon seine Ideen
überzuführen durch Gründung und Eröffnung
einer entsprechend eingerichteten „Volksbank“
(1849). Schon im Jahr vorher hatte er äußer-
lich veranlaßt durch die damaligen Ereignisse ein-
gehend seine Reformvorschläge in Broschüren und
Zeitungsartikeln und als Mitglied der National=
versammlung dem Publikum klar zu machen ge-
sucht (ogl. A. Menger, das Recht auf den vollen
Arbeitsertrag (11910) 72 A. 15). Die „Volks-
bank“ kam freilich über die vorbereitenden Sta-
dien nicht hinaus, teils weil das Aktienkapital
(50.000 Franken) nicht voll einbezahlt wurde, und
insbesondere weil Proudhon gerade damals wegen
Preßvergehens zu drei Jahren Gefängnis verurteilt
wurde. Immerhin hatten sich 20 000 Menschen
gefunden, die Aktien zeichneten (36 000 Franken),
die Statuten der Bank akzeptierten und mit der Idee
und Einrichtung der Bank einverstanden waren.
Aber auch wenn die Bank wirklich ins Leben ge-
treten wäre, so hätte sie doch die Erwartungen
nicht erfüllen können. Die Hauptfrage wäre
gewesen, in welchem Maß und unter welchen
Bedingungen die Bank ihre Kreditbons an die
Mitglieder abgegeben hätte. Entweder in sehr
großer Menge und ohne Rücksicht auf die Zah-
lungsfähigkeit der Kreditnehmer oder aber nur
an zahlungsfähige Personen. In ersterem Fall
wären die Kreditnoten ins Ungemessene entwertet
worden, in letzterem Fall würden sie nur in sehr
beschränktem Maß ausgegeben werden und kämen
für eine allgemeine Einführung unentgeltlichen
Kredits und Beseitigung arbeitslosen Einkommens
doch nicht in Frage. Sehr gut sagt Anton Menger,
daß „Proudhon an die Stelle der kommunistischen
Utopien, die er mit so großer Entschiedenheit be-
kämpft, eine privatwirtschaftliche Utopie von der
krassesten und augenfälligsten Undurchführbarkeit
gesetzt habe“ (a. a. O. 76. Eingehende Kritik bei
Diehl a. a. O. II 176/229; Vergleich mit ver-
wandten Vorschlägen zur Reform des Geld= und
Kreditwesens 231/268).
4. Proudhons Glauben an die Durchführbar-
keit seiner geschilderten „.mutualistischen“ Sozial-
reform hängt zusammen mit seiner Aufsassung von
der idealen Gesellschaftsverfassung, der er
in und mit dieser Sozialreform zur Verwirklichung
verhelfen will. Wie das wohl verstandene eigne
Interesse der geplanten Sozialreform zum Sieg
verhelfen wird, so soll dieselbe Interessenharmonie
die neue Gesellschaftsform herbeiführen. In dieser
soll die Idee der Gerechtigkeit, die die Men-
schen vereint, das beherrschende Prinzip sein. Der