Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

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Rechtsgeschäfte. Die römische Jurisprudenz erzieht 
das juristische Denken. Girard bezeichnet sie als 
das vollendetste Denkmal juristischer Dialektik. 
Man hat das römische Recht bei den Römern, 
seine Schicksale im Mittelalter, seine Verwertung 
in der Neuzeit und deren Folgen zu unterscheiden. 
Bei den Römern sind zu unterscheiden die Zeiten 
der Könige, der Republik und der Kaiser. Jahr- 
hundertelang hat das römische Volk nach unge- 
schriebenen Rechtsgrundsätzen gelebt, die, gleich- 
mäßig und dauernd zur Anwendung gebracht, den 
einzelnen wie die Gesamtheit beherrschten (con- 
suetudo). Als später das Gesetzesrecht auftrat, 
hat das Gewohnheitsrecht sein Gebiet eingeengt, 
seine rechtschaffende Kraft ist ihm niemals ver- 
loren gegangen. Es hat nicht nur neue Rechts- 
sätze geschaffen, sondern auch Gesetzesrechte ab- 
zuändern und aufzuheben vermocht. Für das 
Gesetzesrecht war die politische Verfassung maß- 
gebend. Zuerst König, Senat und Komitien, in 
der Republik Magistrat, Senat und Komitien 
und in der Kaiserzeit der Primizat über ihnen. 
Das ällteste Gesetzesrecht bildeten die leges und 
die plebiscita. Beides sind Volksgesetze; die lex 
war der verfassungsmäßige Beschluß der gesamten 
stimmberechtigten Bewohner Roms (des populus), 
plebiscitum der verfassungsmäßige Beschluß der 
Plebs ohne die Patrizier, der seit der hortensischen 
lex um 287 v. Chr. alle Bürger band. Daneben 
gab es noch sakrales Recht der pontifices (sog. 
ius Papinianum oder leges regiae). Etwa 60 
Jahre nach Beginn der Republik (451 v. Chr.) 
haben die Dezemvirn das gesamte Privatrecht und 
einzelne in das öffentliche Recht einschlagende Be- 
stimmungen auf zwölf Tafeln verzeichnet, welche 
die Grundlage der römischen Rechtsentwicklung 
wurden (lex duodecim tabularum). Von ge- 
ringen Anfängen ausgehend, sind zu einer um- 
fassenden Rechtsquelle die edicta magistratuum 
geworden. Nach römischem Staatsrecht konnte 
jeder Magistrat innerhalb seiner Amtsgewalt Be- 
fehle für das Volk erlassen. Diese ergingen ent- 
weder für einen einzelnen Fall (edicta repentina) 
oder sie enthielten Anordnungen über ihr Ver- 
fahren während ihrer ganzen Amtszeit (edicta 
perpetua). Am tiefgreifendsten erwiesen sich die 
Edikte der rechtsprechenden Beamten, des Stadt- 
und des Fremdenprätors, der kurulischen Aditen 
und der Provinzialstatthalter. Nachdem die lex 
Aebutia um 150 v. Chr. das Formularverfahren 
neben den Legisaktionen nach Wahl der Partei 
eingeführt hatte, edizierte der Prätor beim Amts- 
antritt, unter welchen Voraussetzungen er die legis 
actio wegen einer exceptio verweigern werde, 
ohne eine formula zu gewähren, oder umgekehrt 
für Ansprüche ohne gesetzliche Grundlage eine 
actio in kactum gewähren werde, wodurch ge- 
setzlich begründete Ansprüche hinfällig oder in den 
bestehenden Gesetzen nicht begründete Ansprüche 
anerkannt wurden. Die Formula wurde das Mittel 
zur Anpassung des Rechts an den Verkehr unter 
Recht, Römisches. 
  
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äußerer Wahrung der bestehenden Gesetze. Er- 
wiesen sich die edicta als gut, so wurden sie von 
dem Amtsnachfolger übernommen und nur ab- 
geändert oder ergänzt, soweit das Bedürfnis es 
erforderte. Die Hauptmasse des Ediktenrechts war 
am Ende der Republik abgeschlossen; Hadrian hat 
dasselbe durch den Juristen Salvius Julianus 
redigieren lassen (Lenel, Das Edictum perpe- 
tuum, 1883). Im Gegensatz zu den auf dem 
Volkswillen beruhenden leges und plebiscita 
beruhten die edicta auf der Befehlsgewalt der 
Beamten (honorarisches Recht); sie schufen ur- 
sprünglich nicht Recht im Sinn des aus Gesetz 
oder Gewohnheitsrecht bestehenden ius civile, sie 
waren nur iuris civilis adiuvandivel supplendi 
vel corrigendi gratia zugelassen. Erst nach 
Diokletian trat zwischen dem Zivil= und Honorar= 
recht ein vollständiger Ausgleich ein. Vom Ende 
der Republik ab traten als weitere Rechtsquelle 
die senatus consulta auf, die ihre verbindende 
Kraft aus dem Einfluß herleiteten, welchen der 
Senat auf die Vorberatung der Gesetze, auf die 
Befreiung von ihren Vorschriften und auf deren 
Aufhebung hatte. Die politischen Verhältnisse 
machten den Senat allmählich zu einem willfäh- 
rigen Organ des kaiserlichen Willens; er nahm 
infolgedessen regelmäßig die Anträge (orationes)) 
an, welche die Kaiser zur Beschlußfassung an den 
Senat zu bringen befugt waren. Infolgedessen 
haben die Juristen die oratio und das darauf 
ergangene senatus consultum als gleichwertig 
behandelt. Von noch größerer Bedeutung für das 
Rechtsleben erwies sich der Wille der Kaiser in 
den von ihnen direkt erlassenen Verfügungen, den 
onstitutiones principum. Unter ihnen unter- 
schieden die Juristen edicta, decreta, epistulae, 
mandata. Dieselben waren ursprünglich nicht 
Rechtsquellen, erst im 2. Jahrh. gelangten die 
Juristen dazu, ihnen gesetzesgleiche Kraft beizu- 
legen: quod principi placuit, legis habet vi- 
gorem. Die Neuordnung des römischen Staats 
durch Diokletian (284—305) und Konstantin 
(306, Alleinherrscher 324—337) führte dazu, 
daß die constitutiones als leges angesehen 
wurden. Die republikanische Staatsform mit der 
Teilung der Gewalten zwischen Kaiser und Senat 
galt nun nicht mehr als fortbestehend, der Kaiser 
war das alleinige Organ des Staats, dessen Wille 
Gesetze schuf. Die Formen der Konstitutionen sind 
die bisher üblichen geblieben. Die edieta wurden 
als allgemein verbindliche Erlasse leges gene- 
rales) entweder an den Senat (oratio) oder an 
das Volk oder mit dem Auftrag zur Bekannt- 
machung an höhere Beamte gerichtet eges edic- 
tales). Die epistulae oder richtiger rescripta 
(kaiserliche Entscheidungen der in Zivilprozessen 
hervorgetretenen Rechtsfragen auf ergangene An- 
fragen der Behörden oder Privater) wurden unter 
Arkadius im Jahr 398 ihrer allgemein verbind- 
lichen Kraft beraubt, aber bereits im Jahr 426 
wiederum den leges generales gleichgestellt, falls
	        
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