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Rechtsgeschäfte. Die römische Jurisprudenz erzieht
das juristische Denken. Girard bezeichnet sie als
das vollendetste Denkmal juristischer Dialektik.
Man hat das römische Recht bei den Römern,
seine Schicksale im Mittelalter, seine Verwertung
in der Neuzeit und deren Folgen zu unterscheiden.
Bei den Römern sind zu unterscheiden die Zeiten
der Könige, der Republik und der Kaiser. Jahr-
hundertelang hat das römische Volk nach unge-
schriebenen Rechtsgrundsätzen gelebt, die, gleich-
mäßig und dauernd zur Anwendung gebracht, den
einzelnen wie die Gesamtheit beherrschten (con-
suetudo). Als später das Gesetzesrecht auftrat,
hat das Gewohnheitsrecht sein Gebiet eingeengt,
seine rechtschaffende Kraft ist ihm niemals ver-
loren gegangen. Es hat nicht nur neue Rechts-
sätze geschaffen, sondern auch Gesetzesrechte ab-
zuändern und aufzuheben vermocht. Für das
Gesetzesrecht war die politische Verfassung maß-
gebend. Zuerst König, Senat und Komitien, in
der Republik Magistrat, Senat und Komitien
und in der Kaiserzeit der Primizat über ihnen.
Das ällteste Gesetzesrecht bildeten die leges und
die plebiscita. Beides sind Volksgesetze; die lex
war der verfassungsmäßige Beschluß der gesamten
stimmberechtigten Bewohner Roms (des populus),
plebiscitum der verfassungsmäßige Beschluß der
Plebs ohne die Patrizier, der seit der hortensischen
lex um 287 v. Chr. alle Bürger band. Daneben
gab es noch sakrales Recht der pontifices (sog.
ius Papinianum oder leges regiae). Etwa 60
Jahre nach Beginn der Republik (451 v. Chr.)
haben die Dezemvirn das gesamte Privatrecht und
einzelne in das öffentliche Recht einschlagende Be-
stimmungen auf zwölf Tafeln verzeichnet, welche
die Grundlage der römischen Rechtsentwicklung
wurden (lex duodecim tabularum). Von ge-
ringen Anfängen ausgehend, sind zu einer um-
fassenden Rechtsquelle die edicta magistratuum
geworden. Nach römischem Staatsrecht konnte
jeder Magistrat innerhalb seiner Amtsgewalt Be-
fehle für das Volk erlassen. Diese ergingen ent-
weder für einen einzelnen Fall (edicta repentina)
oder sie enthielten Anordnungen über ihr Ver-
fahren während ihrer ganzen Amtszeit (edicta
perpetua). Am tiefgreifendsten erwiesen sich die
Edikte der rechtsprechenden Beamten, des Stadt-
und des Fremdenprätors, der kurulischen Aditen
und der Provinzialstatthalter. Nachdem die lex
Aebutia um 150 v. Chr. das Formularverfahren
neben den Legisaktionen nach Wahl der Partei
eingeführt hatte, edizierte der Prätor beim Amts-
antritt, unter welchen Voraussetzungen er die legis
actio wegen einer exceptio verweigern werde,
ohne eine formula zu gewähren, oder umgekehrt
für Ansprüche ohne gesetzliche Grundlage eine
actio in kactum gewähren werde, wodurch ge-
setzlich begründete Ansprüche hinfällig oder in den
bestehenden Gesetzen nicht begründete Ansprüche
anerkannt wurden. Die Formula wurde das Mittel
zur Anpassung des Rechts an den Verkehr unter
Recht, Römisches.
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äußerer Wahrung der bestehenden Gesetze. Er-
wiesen sich die edicta als gut, so wurden sie von
dem Amtsnachfolger übernommen und nur ab-
geändert oder ergänzt, soweit das Bedürfnis es
erforderte. Die Hauptmasse des Ediktenrechts war
am Ende der Republik abgeschlossen; Hadrian hat
dasselbe durch den Juristen Salvius Julianus
redigieren lassen (Lenel, Das Edictum perpe-
tuum, 1883). Im Gegensatz zu den auf dem
Volkswillen beruhenden leges und plebiscita
beruhten die edicta auf der Befehlsgewalt der
Beamten (honorarisches Recht); sie schufen ur-
sprünglich nicht Recht im Sinn des aus Gesetz
oder Gewohnheitsrecht bestehenden ius civile, sie
waren nur iuris civilis adiuvandivel supplendi
vel corrigendi gratia zugelassen. Erst nach
Diokletian trat zwischen dem Zivil= und Honorar=
recht ein vollständiger Ausgleich ein. Vom Ende
der Republik ab traten als weitere Rechtsquelle
die senatus consulta auf, die ihre verbindende
Kraft aus dem Einfluß herleiteten, welchen der
Senat auf die Vorberatung der Gesetze, auf die
Befreiung von ihren Vorschriften und auf deren
Aufhebung hatte. Die politischen Verhältnisse
machten den Senat allmählich zu einem willfäh-
rigen Organ des kaiserlichen Willens; er nahm
infolgedessen regelmäßig die Anträge (orationes))
an, welche die Kaiser zur Beschlußfassung an den
Senat zu bringen befugt waren. Infolgedessen
haben die Juristen die oratio und das darauf
ergangene senatus consultum als gleichwertig
behandelt. Von noch größerer Bedeutung für das
Rechtsleben erwies sich der Wille der Kaiser in
den von ihnen direkt erlassenen Verfügungen, den
onstitutiones principum. Unter ihnen unter-
schieden die Juristen edicta, decreta, epistulae,
mandata. Dieselben waren ursprünglich nicht
Rechtsquellen, erst im 2. Jahrh. gelangten die
Juristen dazu, ihnen gesetzesgleiche Kraft beizu-
legen: quod principi placuit, legis habet vi-
gorem. Die Neuordnung des römischen Staats
durch Diokletian (284—305) und Konstantin
(306, Alleinherrscher 324—337) führte dazu,
daß die constitutiones als leges angesehen
wurden. Die republikanische Staatsform mit der
Teilung der Gewalten zwischen Kaiser und Senat
galt nun nicht mehr als fortbestehend, der Kaiser
war das alleinige Organ des Staats, dessen Wille
Gesetze schuf. Die Formen der Konstitutionen sind
die bisher üblichen geblieben. Die edieta wurden
als allgemein verbindliche Erlasse leges gene-
rales) entweder an den Senat (oratio) oder an
das Volk oder mit dem Auftrag zur Bekannt-
machung an höhere Beamte gerichtet eges edic-
tales). Die epistulae oder richtiger rescripta
(kaiserliche Entscheidungen der in Zivilprozessen
hervorgetretenen Rechtsfragen auf ergangene An-
fragen der Behörden oder Privater) wurden unter
Arkadius im Jahr 398 ihrer allgemein verbind-
lichen Kraft beraubt, aber bereits im Jahr 426
wiederum den leges generales gleichgestellt, falls