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getroffen sein muß, daß alle Beteiligten bei der
Feststellung (namentlich durch Rechtsmittel) mit-
wirken können. Doch legen die Gesetze manchen
Entscheidungen absolute Rechtskraft bei, ohne allen
Interessenten Rechtsmittel zu gewähren, indem
man unterstellt, daß die zunächst Beteiligten alle
Rechtsbehelfe schon im eigensten Interesse an-
wenden werden und somit zugleich als Vertreter
derjenigen gelten, welche durch die Entscheidung
nur in geringerem Grade berührt werden. So
z. B. wirkt das Urteil hinsichtlich des Status des
Familienstands usw., hinsichtlich der Echtheit eines
Testaments nicht nur zwischen den Parteien, also
zwischen Vater und Kind, zwischen Testaments-
erben und Noterben, sondern auch gegenüber
Dritten (entfernteren Verwandten bzw. Vermächt-
nisnehmern). Für die Rechtsmittelgestaltung sind
auch Erwägungen praktischer Art von Bedeutung:
die Kosten für den Staat und die Beteiligten, die
Geringfügigkeit des Streitgegenstands, die vor-
aussichtliche Ergebnislosigkeit einer weiteren Ver-
handlung, die Einheitlichkeit des sachlichen Inhalts
der Entscheidungen.
Voraussetzung eines jeden Rechtsmittels ist ein
durch die Verfügung einer Behörde verursachter
Nachteil formeller oder materieller Art. Tritt der
Nachteil auf Grund einer dem Recht entsprechen-
den, der Billigkeit aber widerstreitenden Verfügung
ein, die infolge einer Versäumnis des Verletzten,
die diesem nicht zur Schuld angerechnet werden
kann, erlassen worden ist, so wird die Wieder-
holung der versäumten oder unrichtig vorgenom-
menen Handlung durch die Wiedereinsetzung in
den vorigen Stand gestattet. Beruht der Nach-
teil auf der unrichtigen Beurteilung der einer
Behörde vorgetragenen Tatsachen, also auf der
unrichtigen Unterstellung der Tatsachen unter die
zutreffende Rechtsregel oder auf einer unrichtigen
Auslegung der Rechtsregel durch die Behörde,
oder entspricht die Verfügung nicht den für sie
nach Form und Inhalt geltenden allgemeinen
Erfordernissen, oder ermangelt sie in betreff der
Behörde, von der, oder des Beteiligten, für den sie
erlassen ist, oder in betreff der im Verfahren zu
beobachtenden Grundsätze und Formen der Vor-
aussetzungen ihrer Gültigkeit, so dienen, solange
die Verfügung noch nicht rechtskräftig geworden
ist, als Mittel zur Herbeiführung einer Nach-
prüfung der Verfügung im Streit-, Beschluß-
und Strafverfahren die Berufung oder die Re-
vision oder die Beschwerde oder mehrere dieser
Rechtsmittel. Ungerechte und unrichtige Ver-
fügungen sind niemals nichtig, denn wenn sie auch
falsch sind, so ist doch verfügt. Verfügungen,
bei deren Erlaß von unrichtigen Grundlagen aus-
gegangen oder von den Verfahrensvorschriften
abgewichen ist, haben an sich nur ein Schein-
dasein; sie sind aber infolge desselben der Rechts-
kraft fähig. Sind sie rechtskräftig geworden, so
ist der durch sie Verletzte genötigt, den ihrer Gültig-
keit entgegenstehenden Mangel aufzudecken. Das
Staatslexikon. IV. 3. u. 4. Aufl.
Rechtsmittel.
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Rechtsmittel dazu ist im Streit= und Straf-
verfahren die Nichtigkeitsklage, im Beschlußver-
fahren die Beschwerde. Die Beschwerde ist auch
ein Hilfsmittel, um Verschleppungen des Ver-
fahrens oder ungebührliche Behandlung seitens
der Behörde durch die dienstvorgesetzte Behörde
beheben zu lassen. Die Beschwerde in diesem
Sinn sowie die auf Beseitigung von nicht durch
die Dazwischenkunft einer Behörde, sondern durch
eigne Handlungen oder Unterlassungen des Ver-
letzten verursachten Nachteile gerichtete Wieder-
einsetzung in den vorigen Stand sind Rechtsmittel
nur in uneigentlichem Sinn, da ihnen nach Rich-
tung und Ziel die den Rechtsmitteln eigentüm-
liche Benachteiligung durch eine Behörde fehlt.
Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, die
Nichtigkeitskllage und die Beschwerde gegen nicht
mit der Berufung angreifbare Zwischenverfügungen
im Streit= und Strafverfahren werden als außer-
ordentliche Rechtsmittelaus den ordentlichen Rechts-
mitteln ausgeschieden. Die Syndikatsklage, die
in ihren Voraussetzungen große Ahnlichkeit mit
der Nichtigkeitsklage hat, ist kein Rechtsmittel;
sie ist eine zivilrechtliche Klage auf Ersatz des
durch Arglist eines im Amt handelnden Be-
amten zugefügten Schadens, welche der Verletzte
gegen den arglistig handelnden Beamten oder den
Staat hat. Allen Rechtsmitteln gemeinsam ist,
daß nur derjenige sie einlegen darf, der behaupten
kann, durch die angefochtene Verfügung benach-
teiligt zu sein. Die Einlegung der Berufung
hat im Regelfall die Wirkung, daß sie die Voll-
streckung der Verfügung hemmt (Suspensiveffekt),
die Einlegung aller Rechtsmittel ferner, daß die
angerufene höhere Behörde berechtigt wird, im
Rahmen des Rechtsmittelantrags über die Sache
zu entscheiden (Devolutiveffekt).
2. Ausgestaltung im Zivilprozeß.
In bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten sind Rechts-
mittel in materiellem Sinn Ansprüche einer
Partei gegen die Gegenpartei auf Abänderung
einer sie in ihrer Stellung zur Gegenpartei be-
nachteiligenden richterlichen Verfügung, in for-
mellem Sinn die diesen Ansprüchen entsprechen-
den Anträge beim Gericht. Diese Anträge sind
e nach dem Ziel des Rechtsmittels verschieden zu
formulieren; die Verschiedenheit des Antrags
chließt den Eigentümlichkeiten der Rechtsmittel
entsprechend verschiedene Verfahrensarten in sich.
Die Stellung eines Antrags sowie die Entschei-
dung über ihn setzt die Zulässigkeit des Rechts-
mittels voraus. Die Voraussetzungen der Zu-
lässigkeit sind wegen des staatlichen Interesses an
der Aufrechterhaltung der Rechtssprüche durchweg
zwingenden Rechts. Sie bestehen darin, daß die
mit dem Rechtsmittel angefochtene Entscheidung
dem eingelegten Rechtsmittel unterliegt, daß mit-
hin dieses an sich statthaft ist, daß Form und
Frist gewahrt sind, daß die Partei eine Benach-
teiligung durch die ergangene Entscheidung be-
hauptet, sowie daß der Antragsteller zur Einlegung
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