Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

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Die Beschwerde vertritt für die Fälle, für die 
sie zugelassen ist, die Berufung, daher können die 
Parteien bei ihr neue Tatsachen unbeschränkt vor- 
bringen. Die Einlegung erfolgt schriftlich bei dem 
Gericht, dessen Entscheidung angefochten wird; in 
amtsgerichtlichen Sachen kann sie zu Protokoll er- 
klärt werden. Die Entscheidung kann ohne münd- 
liche Verhandlung durch Beschluß ergehen. Die 
Beschwerde ist regelmäßig an eine bestimmte Frist 
nicht gebunden; wo sie von dem Gesetz als so- 
fortige bezeichnet ist, muß sie binnen zwei Wochen 
eingelegt sein. Bei der einfachen Beschwerde kann 
das Beschwerdegericht derselben durch Abänderung 
seines Beschlusses stattgeben. Gegen die auf er- 
hobene Beschwerde ergangene Entscheidung ist eine 
weitere Beschwerde an das Oberlandesgericht nur 
zulässig, wenn ein neuer, selbständiger Beschwerde- 
grund durch die Entscheidung gegeben, der Be- 
schwerdeführer also durch diese schlechter gestellt ist 
wie durch den ersten Beschluß. In Kostensachen 
ist überdies die weitere Beschwerde von einer 
Summe abhängig. 
Die Rechtskraft des Urteils heilt die Mängel 
des Verfahrens und der Rechtsprechung; nur in 
einzelnen Fällen kann das rechtskräftige Urteil 
durch Wiederaufnahme des Verfahrens im Weg 
einer neuen Klage beseitigt werden, wenn entweder 
das Urteil an bestimmten schweren Mängeln leidet, 
besonders wenn das Gericht nicht vorschriftsmäßig 
besetzt oder die Partei unberufen vertreten war, 
Nichtigkeitsklage, oder wenn sich die Unrichtigkeit 
der Urteilsgrundlage durch den Nachweis einer sie 
verursachenden strafbaren Handlung oder durch die 
Auffindung neuer Urkunden oder Urteile ergibt, 
Restitutionsklage. Die Klage ist bei dem Gericht 
zu erheben, dessen Urteil angefochten wird; die 
Erhebung hat binnen Monatfrist seit der er- 
langten Kenntnis von dem Anfechtungsgrund zu 
erfolgen. Während in Osterreich die Wiederauf- 
nahmsklage auch gegen noch nicht rechtskräftige 
Urteile zugelassen ist, setzt die deutsche Restitutions- 
klage die eingetretene Rechtskraft des Urteils voraus. 
Im Konkursverfahren, in Grundbuchsachen und 
in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit 
ist als einziges Rechtsmittel die Beschwerde und 
die weitere Beschwerde gegeben. Die Entschei- 
dungen des Konkursgerichts sind nur mit der so- 
fortigen Beschwerde und nur anfechtbar, wo nicht 
die Unanfechtbarkeit besonders bestimmt ist. Da- 
bei sind beschwerdefähige Entscheidungen nur die- 
jenigen Beschlüsse des Konkursgerichts, durch 
welche über einen von einem Antragsteller er- 
hobenen Anspruch entschieden wird, also niemals 
ein Beschluß, den das Konkursgericht nicht er- 
lassen muß, dessen Erlassung vielmehr ihm durch 
das Gesetz freigestellt ist. Bei den in Angelegen- 
heiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit und in 
Grundbuchsachen ergangenen Entscheidungen ist 
der Kreis der zur Einlegung einer Beschwerde be- 
rechtigten Personen auf alle erstreckt, deren Recht, 
wenn auch nur mittelbar, durch die Verfügung be- 
Rechtsmittel. 
  
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einträchtigt wird, in Vormundschaftssachen sogar 
auf alle Personenkreise, die ein Interesse an der 
Abänderung der Verfügung haben, wie Verwandte 
des Mündels und mit Bezug auf dessen persön- 
liche Verhältnisse sein Pfarrer, sein Gemeinde- 
waisenrat. Die Beschwerde ist an keine Frist ge- 
bunden und hat bis zur Abgabe an das Beschwerde- 
gericht keinen Devolutiveffekt, kann also von dem 
Untergericht, wenn sie bei ihm eingelegt ist, bis 
dahin abgeändert werden. Ebenso ist ihr regel- 
mäßig der Suspensiveffekt versagt. Das Be- 
schwerdegericht muß wegen der Zulässigkeit der 
devolutiv wirkenden weiteren Beschwerde seine Ent- 
scheidung mit Gründen versehen. Die weitere Be- 
schwerde geht an die Oberlandesgerichte und setzt 
Gesetzesverletzung, nicht aber einen neuen selb- 
ständigen Beschwerdegrund voraus. Zur Wahrung 
der Rechtseinheit hat ein Oberlandesgericht, 
welches auf eine weitere Beschwerde in Angelegen- 
heiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit und in 
Grundbuchsachen von der bekannt gewordenen 
Entscheidung eines andern Oberlandesgerichts ab- 
weichen will, die weitere Beschwerde an das Reichs- 
gericht zur Entscheidung abzugeben. Für An- 
gelegenheiten, in denen das Interesse der Betei- 
ligten verlangt, daß das Rechtsverhältnis möglichst 
bald eine feste Grundlage erhalte, ist die Be- 
schwerde an eine Einlegungsfrist von zwei Wochen 
geknüpft, sofortige Beschwerde; diese hat Devolu- 
tiv= und Suspensiveffekt. Die auf eine Beschwerde 
ergangene Entscheidung wird regelmäßig mit der 
Bekanntmachung wirksam. 
3. Die Rechtsmittel im Strafprozeß hat 
der Reichsstrafprozeß im wesentlichen ähnlich kon- 
struiert wie die Zivilprozeßordnung. Gegen Ur- 
teile sind die Berufung und Revision als ordent- 
liche Rechtsmittel (Einlegungsfrist eine Woche) 
und als außerordentlicher Rechtsbehelf die Wieder- 
aufnahme des Verfahrens (analog der Nichtig- 
keits= und Restitutionsklage der Zivilprozeßord- 
nung) gegeben. Außerdem gilt die einfache und 
sofortige Beschwerde als Rechtsmittel. Gegen 
Versäumnisse ist auch hier die Wiedereinsetzung 
möglich. Die Symmetrie zwischen Zivilprozeß- 
ordnung und Strafprozeßordnung erleidet zurzeit 
insofern eine tiefgehende Beeinträchtigung, als 
die Berufung nur gegen schöffengerichtliche Ur- 
teile (also bei den geringfügigsten Delikten) zu- 
gelassen wurde, während die Urteile der Straf- 
kammern und der Schwurgerichte sowie des Reichs- 
gerichts (also erste und letzte Instanz für schwere 
politische Verbrechen) jeder Anfechtung hinsichtlich 
der Beweisfrage (Schuldfrage) entzogen sind. Die 
Revision kann nur auf irrige Gesetzesanwendung 
gestützt werden; hierher gehört es insbesondere, 
wenn das Gericht seine Überzeugung auf unstatt- 
hafte Beweiserhebungen gründet, oder wenn es 
den als erwiesen angenommenen Tatbestand rechts- 
irrtümlich subsumiert, d. h. eine unzutreffende 
Strafgesetzesbestimmung anwendet. Der mit der 
Revision angefochtene Punkt muß in der Revisions-
	        
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