Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

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Monarchen aus seiner Organstellung im Staat 
folgen, bedürfen der Ausübung, ihre Betätigung 
darf keinen Augenblick suspendiert werden, das 
Staatsleben kann keine Unterbrechung erfahren. 
Ein solcher Ersatz für den regierungsbehinderten 
Herrscher kann entweder infolge eigner Verfügung 
des Herrschers oder kraft Gesetzes eintreten. Im 
ersten Fall spricht man von Stellvertretung, 
im zweiten Fall von Reichsverwesung oder 
Regentschaft. Das Gemeinsame dieser beiden 
Arten der Ersetzung des Monarchen ist, daß die 
Regierungshandlungen stets im Namen des Mon- 
archen geschehen, das Unterscheidende, daß die 
Stellvertretung in persönlichem Auftrag, die Re- 
gentschaft in gesetzlicher Berufung ihren Grund hat. 
II. Die Stellvertretung im engeren Sinn. 
Der Monarch wird gewöhnlich dann einen Stell- 
vertreter berufen, wenn er nur vorübergehend 
an der Ausübung seiner Befugnisse verhindert ist, 
so bei ernster Erkrankung, Bedürfnis nach Ruhe 
und Erholung, Reise ins Ausland. Die preu- 
ßische Verfassung enthält keine Bestimmungen 
über eine solche vorübergehende Stellvertretung 
des Königs, der Art. 56 spricht nur von dauernder 
Verhinderung, in welchem Fall die Regentschaft 
einzutreten hat. v. Rönne (Das Staatsrecht der 
preußischen Monarchie (/5P1899 von Zornl)) ver- 
tritt nun die Ansicht, daß bei vorübergehender 
Verhinderung des Königs eine vorübergehende Er- 
weiterung der Befugnisse der Minister, die Über- 
tragung der Unterschrift an den Thronfolger u. a. 
hinreiche. Sobald aber irgendwelche Stockungen 
in den Staatsgeschäften entstehen würden, so müßte 
nach v. Rönnes Ansicht Regentschaft eintreten. In- 
des hat eine feste Praxis des preußischen Staats- 
rechts die Regierungsstellvertretung als staats- 
rechtliche Einrichtung anerkannt. — Die bay- 
rische Verfassungsurkunde erwähnt die Negie- 
rungsstellvertretung nur gelegentlich mit der Be- 
merkung, daß außerordentliche Reichsverwesung 
nur dann eintritt, „wenn der König für die Ver- 
waltung des Reichs nicht selbst Vorsorge getroffen 
hat oder treffen kann“... Die württem- 
bergische Verfassungsurkunde enthält keine 
Bestimmungen über vorübergehende Regierungs- 
stellvertretung, indes hat sich auch hier allmählich 
eine entsprechende Ubung entwickelt. Die Ver- 
fassungsurkunde des Königreichs Sachsen knüpft 
das Eintreten der Regentschaft an dieselbe Be- 
dingung wie die bayrische Verfassung, wodurch 
das Institut der Stellvertretung anerkannt ist; 
und so fanden auch des öfteren, z. B. 1837 und 
1838, dann 1849 und 1866, umfassende Be- 
vollmächtigungen des Ministeriums zur Führung 
der Regierungsgeschäfte statt. Ebenso hatte auch 
in Baden, wo die Verfassungsurkunde keinerlei 
Bestimmungen hierüber enthält, eine derartige 
Stellvertretung seinerzeit in umfassendem Umfang 
während der letzten Lebensjahre des Großherzogs 
Karl Friedrich stattgefunden, ebenso 1849, als 
der Großherzog Leopold noch außerhalb des Lan- 
Regentschaft. 
  
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des weilte; sie wiederholte sich bei Erkrankung des 
Großherzogs Friedrich I. im Jahr 1881. Wäh- 
rend 1849 mit der Stellvertretung das Staats- 
ministerium betraut wurde, wurde 1881 der Erb- 
großherzog zum Stellvertreter ernannt. Bis in 
die jüngsten Tage hinein war im Fürstentum 
Reuß j. L. der Erbprinz infolge Erkrankung 
des Fürsten bevollmächtigter Stellvertreter des 
Fürsten, Anfang April 1910 gab nun das Mini- 
sterium bekannt, daß nunmehr der Erbprinz in- 
folge eingetretener dauernder Verhinderung des 
Fürsten an der Führung der Regierungsgeschäfte 
ich genötigt gesehen habe, die Regentschaft des 
Fürstentums zu übernehmen. — Der Regierungs- 
stellvertreter leitet seine Befugnisse von einem 
Auftrag des Monarchen ab, der in Form 
einer landesherrlichen Verordnung, die auf Grund 
von ministerieller Gegenzeichnung der konstitu- 
tionellen Kontrolle der Landstände unterliegt, er- 
teilt wird. Der Vertreter handelt infolgedessen 
nach den Intentionen seines Mandanten, seine 
Befugnisse hängen von dem ihm erteilten Auftrag 
ab und können je nach den Verhältnissen mehr 
oder minder ausgedehnt sein; gewisse Arten von 
Geschäften können seinem freien Ermessen über- 
lassen sein, für andere Fälle kann er auch an 
strikte Instruktionen gebunden sein. 
Danach ist auch die Frage der Verant- 
wortlichkeit des Stellvertreters des 
Monarchen zu beurteilen. Daß der Stellvertreter 
verantwortlich sein müsse, wird in der Literatur 
einstimmig bejaht; Kontroversen gibt es nur hin- 
sichtlich des Umfangs der Verantwortlichkeit und 
hinsichtlich des Subjekts, dem er verantwortlich 
sein soll. Hinsichtlich des Umfangs geht die herr- 
schende Ansicht dahin, daß er nicht nur für die 
nach freiem Ermessen vorgenommenen Akte, son- 
dern auch für Handlungen, die er im Auftrag des 
Monarchen vornimmt, verantwortlich ist. Ist der 
Stellvertreter nebenbei Staatsdiener, so unterliegt 
er auch für Regierungshandlungen disziplinärer 
Verantwortlichkeit. Die Frage dagegen, wem 
der Stellvertreter verantwortlich ist, beantworten 
die einen Schriftsteller dahin, daß der Stellver- 
treter dem Auftraggeber, den Gerichten und dem 
Land verantwortlich sei. Demgegenüber vertritt 
v. Frisch (Die Verantwortlichkeit der Monarchen 
und höchsten Magistrate, 1904) mit Recht den 
Standpunkt, daß der Stellvertreter nur dem Man- 
danten und den Gerichten Rechenschaft schuldig 
sei; denn die Ausdehnung seiner Verantwortlich- 
keit auch dem Land gegenüber sei eine unzulässige 
Übertragung der Ministerverantwortlichkeit auf 
den Stellvertreter des Monarchen. 
III. Die Regentschaft. Wenn die Regie- 
rungsunfähigkeit des Landesherrn eine länger 
dauernde ist, sei es aus rechtlichen Gründen, 
Minderjährigkeit, oder aus persönlichen Gründen, 
physischer oder geistiger Unfähigkeit, so kommt es 
ohne Willen des Monarchen kraft Gesetzes 
zur Vertretung, und diese Vertretung ist die Re- 
 
	        
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