Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

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gens und Edel zufällt. („Das ganze Deutsch- 
land soll es sein!“) Nicht in fraktionsmäßiger 
Verbindung, wohl aber in freier, durch Fürst- 
bischof v. Diepenbrock, General v. Radowitz und 
August Reichensperger geschaffener „Vereinigung, 
welche über das in Bezug auf Kirche und Schule 
Anzustrebende beraten und sich schlüssig machen 
sollte“, stand Reichensperger mit einer Reihe von 
Abgeordneten, welche, in verschiedene Fraktionen 
verteilt, in kirchlichen Fragen eines Sinns waren. 
Zielbewußt auftretend, brachtees diese Vereinigung, 
als deren Vorsitzender v. Radowitz, Vizepräsident 
Reichensperger fungierte, nicht sowohl durch ihre 
ziffermäßige Stärke als vielmehr durch die geistige 
und soziale Stellung ihrer Mitglieder zustande, daß 
die Grundrechte in Bezug auf Kirche und Schule 
„in zufriedenstellender Art ausfielen“, was für die 
preußische Verfassung von Bedeutung werden sollte. 
Weniger erfolgreich war sein zum Zweck der 
Rettung Osterreichs geschehenes Eintreten zugunsten 
der Einsetzung eines Fürstendirektoriums, in wel- 
chem Preußen und Osterreich abwechselnd den Vor- 
sitz führen sollten. Diese Politik des „Pariser 
Hofs“" unterlag mit 97 gegen 361 Stimmen. Sie 
mußte unterliegen, da sie den springenden Punkt 
aus dem Auge ließ, die Frage nämlich, welcher von 
den deutschen Groß= oder Mittelmächten die Exe- 
kutive zustehen sollte. Mußte das Bemühen, Preu- 
ßen und Osterreich in einen staatsrechtlichen Ver- 
band zu schließen und eine starke Zentralgewalt 
zu schaffen, ohne zugleich einer der beiden Groß- 
mächte die Vormacht einzuräumen, als ein For- 
schen nach des Zirkels Viereck erscheinen, so war 
doch das Vorgehen Reichenspergers und seines 
Klubs Millionen von Deutschen aus dem Herzen 
gesprochen, welche das Verbleiben des altehrwür- 
digen Kaiserstaats in Alldeutschland sehnlichst er- 
hofften. Bei der Wahl von Preußens König zum 
Erbkaiser enthielt sich Reichensperger nebst 247 
andern der Stimme und legte am 13. Mai 1849 
das Frankfurter Mandat nieder. Daß trotzdem 
unterm 1. Nov. 1849 seine Ernennung zum Ap- 
pellationsgerichtsrat in Köln erfolgte, ist Beweis 
dafür, wie hoch man sein mannhaftes Eintreten 
für Thron und Recht gegen die alle geschichtliche 
Überlieferung mißachtende demokratische Linke zu 
schätzen wußte. Mitten in die Frankfurter Tagung 
hinein fällt die 600jährige Gedenkfeier der Grund- 
steinlegung des Kölner Doms. Vom Frankfurter 
Parlament als Mitglied der Deputation entsandt, 
faßt er mit mehreren Abgeordneten zu Köln den 
Plan, eine große Zeitung zu gründen und eine 
Versammlung der katholischen Vereine in Mainz 
abzuhalten. Eine solche tagte vom 3. bis 6. Okt. 
1848; sie vereinigte die glänzendsten Namen des 
katholischen Deutschland (Arndts, Aulike, v. And- 
law, v. Bally, Buß, Döllinger, Flir, Förster, 
v. Ketteler, Knoodt. Osterrath, A. Reichensperger, 
Sepp, Beda Weber) und verlieh dem Auftreten 
der katholischen Parlamentarier in Frankfurt selbst 
Rückhalt und Kraft. 
Reichensperger, August. 
  
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Am 31. Jan. 1850 wurde Reichensperger in 
das Erfurter Volkshaus gewählt. Mit seinem 
Bruder Peter führte er hier die großdeutsche Partei 
(11 Mitglieder). Beide fordern für die Verhand- 
lungen als Grundlage das geschichtliche Recht, 
wie es in den Grundgesetzen des Deutschen Bundes, 
der Bundesakte vom 8. Juni 1815 und der Wiener 
Schlußakte vom 15. Mai 1820 vorlag. Ver- 
gebens! Ein Antrag der Gebrüder Reichensperger, 
„einstweilen auf das Revisionswerk (der Verfassung) 
noch nicht einzugehen, die verbündeten Regierungen 
vielmehr zu ersuchen, vor allem mit den der Union 
nicht beigetretenen deutschen Regierungen unter 
Berücksichtigung des von Bayern, Württemberg 
und Sachsen vorgelegten Verfassungsentwurfs in 
Unterhandlung zu treten“, wurde mangels Unter- 
stützung nicht zur Debatte zugelassen. — Nur kurze 
Zeit, und man sah sich regierungsseitig genötigt, 
den im Antrag vorgezeichneten Weg einzuschlagen. 
Und wie berechtigt seine Warnungen waren, Öster- 
reich nicht zu zwingen, den Schwerpunkt in die 
slawische Nationalität zu verlegen, zeigt die neuere 
Geschichte Osterreichs. — Am 29. April 1850 
wurde das Erfurter Parlament vertagt. 
In der preußischen Zweiten Kammer, 
zu deren Mitglied er am 5. April 1851 für Lüding- 
hausen-Beckum gewählt ward, nahm Reichens- 
perger mit seinem Bruder Peter zwischen den Par- 
teien im eigentlichen Zentrum Platz. Eine Frak- 
tion katholischer Abgeordneten bestand nicht. Die 
beiden Brüder hielten die Verfassungsgrundsätze 
hoch und vermieden, soweit es anging, oppositionell 
zu werden. In Bezug auf Osterreich vertrat August 
die Meinung: „War die Einheit nicht zu er- 
reichen, so lassen Sie uns wenigstens möglichste 
Einigung rrstreben.“ Gegenüber einem Antrag 
v. Vincke, die für die Friedensstärke der Armee 
angesetzten 409 373 Taler zu streichen, hielt er am 
20. März 1852 eine bemerkenswerte Rede, die 
mit den Worten schloß: „Weil uns allen und mir 
besonders als Rheinländer die Verträge von 1815, 
vermöge deren wir wieder Deutsche geworden sind, 
am Herzen liegen, deswegen wünsche ich, daß 
Preußen jederzeit gerüstet sein möge, um diese 
Verträge mit Waffengewalt einem jeden gegen- 
über zu jeder Zeit aufrechtzuerhalten.“ Der Kom- 
missionsantrag, die Position unverkürzt zu ge- 
nehmigen, wurde angenommen. — Bei den im 
Nov. 1852 vor sich gehenden Neuwahlen ent- 
sandte ihn der Landkreis Köln in die Kammer. 
Diese Wahlen hatten eine entschiedene Verstärkung 
der überzeugt katholisch gesinnten Elemente der 
Kammer gebracht — eine Folge der hochgradigen 
Besorgnisse, welche die der beschworenen Ver- 
fassung zuwiderlaufende regierungsseitige Verkün- 
digung der Lehre vom evangelischen Staat Preu- 
ßen sowie die auf Einschränkung von Volks- 
missionen und Untersagung des Studiums im 
Collegium Germanicum gerichteten Ministerial- 
erlasse (v. Raumer, v. Westphalen, 22. Mai, 
16. Juli 1852) in der katholischen Bevölkerung
	        
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