Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

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gung der Arbeiter am Reingewinn, verbunden mit 
Sparkassensystem, vorgeschlagen werden. Im 
übrigen verfolgt das Buch den Nachweis, daß das 
freie, aus der Gebundenheit der Feudalität und 
der Gutsherrlichkeit herausgetretene Grundeigen- 
tum am besten den materiellen und geistigen, po- 
litischen und sozialen Interessen der Völker ent- 
spricht. Durch diese Arbeit weiteren Kreisen be- 
reits als tüchtiger Jurist und weitsichtiger Volks- 
wirtschaftler bekannt, wird er 1848 vom Siebener- 
ausschuß in das Frankfurter Vorparlament be- 
rufen, in welchem er entschieden dessen von Hecker 
beantragte Permanenzerklärung bekämpft und zu 
Fall bringt. Vom Kreis Kempen-Geldern zum 
Abgeordneten, vom Kreis Kochem und dem Land- 
kreis Aachen zum Stellvertreter in die preußische 
Nationalversammlung gewählt, nimmt er wesent- 
lichen Anteil an der Gründung der monarchisch 
gesinnten Rechten (150 Mitglieder), welche sowohl 
die ehemaligen reaktionären als auch die konser- 
vativen und ernstlich konstitutionellen Mitglieder 
der Versammlung in sich schloß. Ihr Programm 
war Vereinbarung der Verfassung im weitesten 
Sinn. Reichensperger vertrat das streng konstitu- 
tionelle Prinzip und übte bald einen führenden 
Einfluß aus im Sinn der Mäßigung und Be- 
sonnenheit. Als das Parlament angesichts der 
drohenden Haltung des Berliner Pöbels vertagt 
und nach Brandenburg verlegt wird, die wider- 
spenstige Mehrheit aber in Berlin weiter tagt, 
führt er auf Veranlassung des Ministers v. Man- 
teuffel und im Auftrag der Rechten eine diploma- 
tische Mission zur Nationalversammlung in Frank- 
furt aus, mit dem Erfolg, daß die letztere den von 
jenem Rumpfparlament gefaßten Beschluß auf 
Suspension der Steuererhebung für „null und 
nichtig“ erklärt. War hierdurch der Sache der 
preußischen Revolution in der öffentlichen Mei- 
nung entschiedener Abbruch getan, so vereitelte er 
in der Folge auch die Anstrengungen der Linken, 
welche auf eine Fortsetzung der Politik des preu- 
ßischen Rumpfparlaments gerichtet waren. Der 
frühere Abgeordnete und Minister Rodbertus be- 
reitete nämlich eine Schrift vor, in welcher er das 
Verhalten des Rumpfparlaments als gesetzlich ver- 
trat und die Regierung wegen der Verlegung und 
demnächstigen Auflösung der Nationalversamm- 
lung heftig angriff. Minister v. Manteuffel war 
durch die geheime Polizei in den Besitz der Korrek- 
turbogen gelangt und stellte an Reichensperger das 
Ansinnen, baldigst eine Gegenschrift abzufassen, 
damit die öffentliche Meinung nicht irregeführt 
werde. Da der Minister, nicht aber Reichens- 
perger den Erwerb der Druckbogen zu vertreten 
hatte, so ging Reichensperger darauf ein und för- 
derte die Gegenschrift so, daß sie zum Erstaunen 
von Rodbertus nicht weniger als des Publikums 
schon wenige Tage nach der Schrift des ersteren 
erschien: „Die Preußische Nationalversammlung 
und die Verfassung vom 5. Dez. Beleuchtung der 
Ansprache des Abgeordneten Rodbertus an seine 
Reichensperger, Peter Franz. 
  
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Wähler“, Berlin 1849. In dieser kleinen, aber 
ausgezeichneten staatsrechtlichen Abhandlung, als 
deren Zweck er selbst bezeichnet, daß „aus dem 
Glühofen der Polemik der Silberblick der Wahr- 
heit schlackenlos hervorbreche“, geht er mit allem 
Rüstzeug des scharfsinnigen Juristen den sehr zu- 
versichtlich auftretenden, aber desto schwächeren 
Gründen des Gegners zu Leibe und vereitelt 
gründlich die Wirkungen einer demagogischen Agi- 
tation auf die Massen. Wenn Reichensperger 
später in den „Erlebnissen eines alten Parlamen- 
tariers im Revolutionsjahr 1848“, Berlin 1882, 
mit Recht sagen konnte: „Das preußische König- 
tum hat mit Hilfe des besonneneren Teils der Be- 
völkerung und seiner Vertreter die Revolution be- 
siegt“, so wird es stets als der eigentliche poli- 
tische Adelsbrief Reichenspergers zu betrachten 
sein, daß er zu diesem Sieg als einer der be- 
sonnensten und zugleich begabtesten der Vertreter 
sein erhebliches Teil mitgewirkt hat, mitgewirkt 
als einer der vom Radikalismus bestgehaßten und 
oft unter dringender Lebensgefahr. — Als Mit- 
glied des Erfurter Volkshauses spricht er mit 
Bruder August der Union die rechtliche Grund- 
lage ab und sucht ihr auch die faktische zu ent- 
ziehen, weil eine Union, die mit der Zerreißung 
Deutschlands, ja vielleicht mit einem Bürgerkrieg 
beginnen mußte, ihm zu gewagt erscheinen mochte. 
In das Jahr 1850 fällt die Entstehung der 
kleinen Schrift „Keine Einkommensteuer“, in 
welcher er der von der Zweiten Kammer be- 
schlossenen Aufhebung der Schlacht= und Mahl- 
steuer sowie Einführung der Einkommensteuer, 
weil nicht zu Wort gekommen, widerspricht. 
In der im Herbst 1849 gewählten Zweiten 
Kammer, welcher die Revision der oktroyierten 
Verfassung vom 5. Dez. 1848 oblag, gelang es 
Peter an der Spitze einer Anzahl von Gesinnungs- 
genossen, welche mit ihm das Zentrum des Hauses 
zwischen den sich aufs heftigste befehdenden Par- 
teien der Rechten und der Linken besetzten, die- 
jenigen Grundsätze über das Verhältnis von 
Kirche und Staat zur Geltung zu bringen, welche 
in Frankfurt der Katholische Klub beschlossen 
hatte (Revidierte Verfassung vom Jan. 1850). 
Auch nachdem August (auf Peters Rat) durch 
Nachwahl April 1851 in die Zweite Kammer ein- 
getreten war, blieben die um Reichensperger im 
Zentrum der früheren Politik getreu: „sie ver- 
folgten den gesunden Mittelweg und erhielten sich 
dabei ihre neutrale Meinung“, wie v. Vincke 
spottete. 
Mitten in den Stürmen der Politik hatte Rei- 
chensperger Muße gefunden, zufolge Auftrags des 
Landwirtschaftlichen Vereins für Rheinpreußen 
einen Bericht zur Verbesserung des rheinischen 
Hypothekenwesens zu verfassen (1851). Derselbe 
gipfelt in einem Antrag an das Staatsministe- 
rium, in Abänderung d. Art. 1583 des Code 
civil die Ubertragung des Grundeigentums trans- 
skriptionspflichtig und nur bei erfolgter Trans-
	        
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