Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

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besser erfüllen und dem Reich zugleich größere 
Gewinne einbringen könne. Gegen diese Ver- 
staatlichung spricht in erster Linie der Umstand, 
daß die Bank, ihre Kassenbestände und die ihr an- 
vertrauten Werte jetzt im Kriegsfall als neutrales 
(Privat-) Eigentum gelten, also nicht der Be- 
schlagnahme unterliegen; die Bestände einer 
Staatsbank wären der Konfiskation durch eine 
kriegführende Macht unterworfen. Aus diesem 
Grund haben auch die andern Großmächte ihre 
Zentralnoteninstitute in der Form der Privatbank 
unter staatlicher Aufsicht errichtet. Weiterhin darf 
festgestellt werden, daß die Reichsbank jetzt kauf- 
männisch musterhaft und sparsam verwaltet wird 
und gerade dadurch in der Lage ist, so große Ge- 
winnanteile an das Reich abzuliefern, ein Staats- 
institut würde erfahrungsgemäß dazu kaum im- 
stande sein, wie die Geschichte der Preußischen 
Zentralgenossenschaftskasse zeigt, welche in den 
12 Jahren ihres Bestehens kaum die notdürftigste 
Verzinsung des eingelegten Staatskapitals ge- 
liefert hat. 
Die Annahme, daß eine verstaatlichte Reichs- 
bank in der Lage sei, den Zinsfuß unter die na- 
türlichen Verhältnisse, wie sich solche aus Angebot 
und Nachfrage und aus dem Stand des Geld- 
markts selbst ergeben, herabzudrücken, ist eine durch 
nichts begründete und bedarf kaum einer Wider- 
legung. Reichstag und Bundesrat haben sich des- 
halb auch stets im wohlverstandenen Interesse des 
ganzen Landes diesen Anregungen auf Verstaat- 
lichung der Reichsbank gegenüber ablehnend ver- 
halten. 
Literatur. R. Koch, Die R. u. deren Organi- 
sation in jurist. Beziehung (1892); ders., Reichs- 
gesetzgebung über Münz= u. Notenbankwesen 
(61909); R. Telschow, Der gesamte Verkehr mit 
der R. (101905); R. 1876/1901, hrsg. vom R.= 
Direktorium (1901); E. Born, Die finanzielle 
Heranziehung der Zentralnotenbanken durch den 
Staat in Europa (1907). R. Müller-Fulda.) 
Reichsfinanzwesen. (Finanzielle Auf- 
gaben; Ausgaben; Einnahmen; Franckensteinsche 
Klausel; Finanzreform 1909.)] 
Der Schwerpunkt der finanziellen Auf- 
gaben des Reichs liegt in der Bestreitung der 
Kosten für dessen Verteidigung zu Wasser und zu 
Land (Heeres= und Marineverwaltung). Hierzu 
kommen die Kosten der allgemeinen Verwaltung, 
der Vertretung im Ausland, die Verzinsung der 
Reichsschuld, die Fürsorge für Invaliden und 
Veteranen, die Zuschüsse zu den Kosten der So- 
zialgesetzgebung, die Ausgaben für das Post= und 
Telegraphenwesen und für die reichsländischen 
(elsaß-lothringischen) Eisenbahnen, denen jedoch 
auch entsprechende Einnahmen gegenüberstehen. 
In den letzten Jahren sind neue bedeutende Auf- 
wendungen für die Entwicklung und Verwaltung 
der Schutzgebiete (Kolonien) hinzugetreten. So 
haben sich die Aufgaben des Reichs seit dessen 
Errichtung im Jahr 1871 ständig vergrößert, und 
  
Reichsfinanzwesen. 
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damit ist natürlich auch der Betrag der Ausgaben 
stetig gewachsen, so daß deren Deckung immer 
schwieriger wurde. 
Die Ausgaben des Reichs unterliegen der 
Genehmigung des Reichstags und Bundesrats, 
welche alljährlich durch den Etat und das Etats- 
gesetz erteilt werden. Ein großer Teil der Aus- 
gaben beruht auf organisatorischen Gesetzen, so 
daß der Betrag dafür nicht gut abgelehnt werden 
kann, ein anderer Teil ist beweglicher Natur, und 
gerade der letztere hat wiederholt heftige Kämpfe 
im Reichstag veranlaßt, die sogar zu Reichstags- 
auflösungen geführt haben, wenn zwischen Bundes- 
rat und Reichstag keine Verständigung erzielt wer- 
den konnte. 
In welcher Weise die Ausgaben des Reichs sich 
im Lauf der Zeit gesteigert haben, insbesondere 
seit dem Regierungsantritt Kaiser Wilhelms II. 
(1888), zeigen die nachstehenden Zahlen: 
  
  
I Ausgaben für 
  
  
  
  
die Schulden. 
Jahr das Heer Marine Pensionen 1 zinsen 
1 X M X . X 
187410 374 000 16 680 00, 962 000! 5000 
1880 # 369 996 000 24 736 0000| 49 248 000! 8941000 
1888 550 535 000 36 856 000 55 241 000 29 034000 
1898 632 710000 94 888 000 89 605000 72287000 
1908 854 391 000 348 973 000 146 422 000 159 967000 
Aus diesen vier Positionen ergibt sich ein Ge- 
samtbetrag für das 
  
  
  
  
Jahr X I jährliche Steigerung 
1874 374021 000 — — 
1880 452821000 1875/80 13150 000 M 
1888 671 666 O000 1881/88 27 343 000 „ 
1898 889 490 00 | 1889/98 21 782000 „ 
1908 1 509 753 000 1899/1908 62 026 000 „ 
Die Gesamtausgaben des Reichs, einschließlich 
der durch eigne Einnahmen gedeckten Kosten der 
Post, Telegraphen und Reichseisenbahm lt 
(Eisenbahnen in Elsaß-Lothringen), betrugen 
im Jahre 1874 552 415 000 M 1 
1880 696 159 000 „ 
  
„ „ 1888 1222 637 000 „, 
„ „ 1898 1778 736 000, 
„ „ 1908 2 791 070 000, 
1 exklusive der Kosten, welche noch aus dem Krieg von 
1870/71 herrührten. 
Die Ausgaben zerfallen in ordentliche, 
welche aus den laufenden Mitteln und Beiträgen 
der Bundesstaaten zu decken sind, und in außer- 
ordentliche, welche durch Aufnahme von An- 
lehen bestritten werden. In den Reichshaushalts- 
etats wird außerdem ein Unterschied gemachtzwischen 
fortdauernden ordentlichen und einmaligen ordent- 
lichen Ausgaben, diese Unterscheidung ist jedoch 
belanglos, weil die einmaligen ordentlichen Aus- 
gaben eine regelmäßig wiederkehrende Erscheinung 
sind und nur der Gegenstand, für den die Aus- 
gaben erfolgen, sich alljährlich etwas verändert.
	        
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