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Reihe von gänzlich unzureichenden, partikulären
Ursachen zurückgreifen. Wer mit Feuerbach und
Nietzsche die Religion für eine „Krankheit des
Menschengeschlechts“ ansieht, kann allerdings nicht
ernst genommen werden; denn er gleicht eher einem
Possenreißer als einem Philosophen. Daß der
Betrug der Gesetzgeber, Könige und Priester
(Sophisten, Enzyklopädisten) oder die Furcht vor
gewaltigen Naturereignissen (Demokrit, Epikur,
Hume, Hobbes) die Erfinderin und Mutter der
Religion gewesen sein soll, gehört zu jenen Ammen-
märchen, welche die radikale moderne Religions-
forschung selbst als eine psychologische Unmöglich-
keit zurückweist. Wie käme es auch, daß die Re-
ligion noch nicht vom Erdboden ganz und gar
verschwunden ist, trotzdem die aufgeklärtesten
Geister seit Jahrtausenden an der Aufdeckung des
angeblichen Betrugs unermüdet arbeiten und die
fortgeschrittene Naturwissenschaft je länger je mehr
die klare Einsicht in die treibenden Ursachen der
schrecklichen Gewitter, Erdbeben u. dgl. bei Ge-
bildeten wie Ungebildeten vermittelt? Wie kommt
es insbesondere, daß sogar die Gesetzgeber und
Priester, die Naturforscher und Philosophen selbst
an der Religion festhalten, die sie in ihrer Schlau-
heit erfunden und dem dummen Volk aufgehalst
haben sollen? Noch nicht ganz überwunden ist
die verwandte, nicht weniger seichte Vorstellung,
daß der „Kausalitätsdrang des Verstands“ (Scho-
penhauer) oder das „Verlangen nach Metaphysik“
(Liebmann) der Vortäuschung eines höchsten Ur-
wesens, von dem alles abhängt, die Wege gebahnt
habe, insofern für das große Gebiet des Unerkenn=
baren jenseits der Grenzen der Wissenschaft eine
unbekannte Ursache ersonnen wurde, die nichts
anderes als eine „große Phantasmagorie des
menschlichen Geistes“ ist (Jodl). Aber diese Erklä-
rung bestätigt nur die Berechtigung der Religion,
statt sie zu zerstören. Denn das Kausalitätsbedürf-
nis ist im Menschen eben zu stark, als daß der
Erkenntnisbereich des Verstands sich innerhalb
der Grenzpfähle der sinnlichen Erfahrungswelt
glatt einzäunen und der Schluß von der Schöp-
fung auf den Schöpfer sich als unberechtigt ver-
bieten ließe. Wenn also das Dasein Gottes nicht
auf elender Selbsttäuschung beruht, dann
auch nicht die aus dem Gottesgedanken hervor-
quellende Religion. Wäre letztere eine bloße
Illusion, wenn auch eine notwendige und nütz-
liche, so gliche die Erde einem großen Irrenhaus
voller Wahnvorstellungen und die ganze Kultur
der Menschheit wäre auf Flugsand aufgebaut.
Auch läßt diese luftige Hypothese die historische
Tatsache unberücksichtigt, daß schon vor jeder Re-
flexrion des Verstands die Religion vorhanden
war; denn diese ist Objekt, nicht Produkt des
Denkens.
Wohl am verbreitetsten sind in atheistischen Ge-
lehrtenkreisen die aus dem Darwinismus ent-
springenden Anschauungen über den Ursprung und
die Entwicklung der Religion. Nach Charles Dar-
Religion.
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win soll schon der dankbare, unterwürfige Aufblick
des Hundes zu seinem Herrn die ersten Anfänge
der Religion offenbaren. Im tierischen Instinkt
grundgelegt, arbeitet das religiöse Gefühl ver-
mittels der durch Träume angeregten Phantasie
sich allmählich hindurch bis zur Vorstellung einer
imaginären Geisterwelt, die bei fortschreitender
Kultur durch Zwischenstufen hindurch bis zur
Höhe des Einen Gottes emporführte. Ein voll-
ständiges Entwicklungsschema hat Lubbock auf-
gestellt, das uns vom religionslosen Urmenschen
über den Fetischismus, Totemismus (Tabuis-
mus), Schamanismus (Dämonismus) hinweg zum
naturalistischen Polytheismus hinaufgeleitet, aus
dem sodann der Monotheismus als höchste Form
sich herauszüchtete. Diese Götterleiter erinnert zu
stark an die berüchtigten Stammbäume Häckels,
als daß sie nicht Mißtrauen einflößen sollte. Wie
geschickt ist doch das Nebeneinander in ein Nach-
und Auseinander verwandelt! Hat wirklich auch
nur ein einziger Volksstamm der Erde den vor-
gezeichneten Entwicklungsprozeß durchlaufen 2 Und
wenn der Atheismus die tiefste Stufe der Religion
oder besser Religionslosigkeit bezeichnet, welches
Armutszeugnis stellen dann die Gottesleugner
ihrer eignen Intelligenz aus? Wo der Fehler im
Schema liegt, ist leicht zu erkennen. Es ist die
unbewiesene und oft widerlegte Annahme, daß der
Mensch nach seinem ganzen (auch geistigen) Wesen
nichts anderes sei als ein potenziertes Tier, eine
gezähmte „blonde Bestie“, das hochgezüchtete Pro-
dukt unbegrenzter Entwicklungsmöglichkeiten.
Allein so lange der Mensch vom Tier sich nicht
nur graduell, sondern wesentlich unterscheidet,
ebenso lange wird kein Saltomortale vom tieri-
schen Instinkt zum religiösen Trieb und zur
Gottesidee hinüberführen, die dem Hund oder
Affen so fremd bleibt wie Astronomie oder Meta-
physik. Vollständig aus der Luft gegriffen ist auch
die willkürliche Voraussetzung, als ob der Ur-
mensch ein religionsloses Halbtier und der heu-
tige „Wilde“ ein getreues Konterfei des Ur-
menschen darstellt. Wie der Archäologie immer
mehr der Nachweis glückt, daß der prähistorische
Mensch ebensowenig als der historische aller reli-
giösen Begriffe und Bräuche bar gewesen ist, so
erhebt auch die Ethnologie lebhaften Einspruch
gegen den Versuch, die wilden Naturvölker der
Gegenwart als religionslos zu verschreien. Weil
also der Unglaube weder aus innern noch aus
äußern Gründen vom Ursprung der Religion eine
zureichende Erklärung zu liefern vermag, so be-
hauptet die christliche Lehre siegreich das Feld, daß
die Religion mit dem Wesen, Ursprung und Zweck
des Menschen selbst innerlich verknüpft ist. Daß
der für die Religion geschaffene Mensch ohne
Gottesglauben weder ein vollkommener Mensch
noch ein zuverlässiger Staatsbürger sein kann, ist
eine allgemeine Wahrheit, von der auch der Staats-
mann und Politiker nicht tief genug durchdrungen
werden kann.