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verlieh den alten Völkern trotz ihrer religiösen
Verirrungen geistige Kraft und Ausdauer; sie
bildet bei den verschiedenartigen Völkern des
Islams noch heute das einigende und erhaltende
Band. Sie war es aber ganz besonders, welche
dem kleinen jüdischen Volk mit seiner Theokratie
eine weit über die Bedeutung des unscheinbaren
Palästina hinausreichende Stellung in der Gesell-
schaft verschaffte, welche es dem Christentum er-
möglichte, mit seiner übernatürlichen Kraft die
Gesellschaft des griechisch-römischen Reichs sittlich
umzuwandeln und im mittelalterlichen Gemein-
wesen das Ideal der Verbindung des Natürlichen
mit dem Ubernatürlichen anzustreben. Durch die
Renaissance und den Humanismus wurde der
Bund leider gelockert, durch die Kämpfe zwischen
Kirche und Staat die Eintracht zerstört, durch die
Reformation die werktätige Ausübung der Reli-
gion beschränkt und das Geistliche vom Weltlichen
getrennt, durch den Pietismus die religiöse Ubung
zur Privatangelegenheit gemacht. Die moderne
Weltanschauung vollends hat diese Trennung bis
zum Extrem verfolgt, indem sie die Religion
gänzlich aus dem öffentlichen Leben zu verbannen,
eine Gesellschaft ohne Religion zu bilden und eine
unabhängige Moral ohne Gott, Seele und Un-
sterblichkeit zu gründen sucht. Die Religion gilt
höchstens noch für die niedere Menge und als
Gegenstand unbestimmter Gefühle. Obschon die
Sozialdemokratie den Grundsatz predigt: „Reli-
gion ist Privatsache“, so ist doch auch ihr die
Religionslosigkeit und der Atheismus nicht Neben-
sache. So sind Religiosität und Sittlichkeit,
Glauben und Denken, Recht und Moral, Staat
und Kirche, Familie und Erziehung auseinander-
gerissen. Moral, Kunst, Wissenschaft und For-
schung sind frei, d. h. nicht bloß konfessionslos,
sondern religionslos. Die Religion wird der
Verachtung preisgegeben und die Frreligiosität
mit Stolz zur Schau getragen (vgl. die Enzyklika
Pius' IX. vom 8. Dez. 1864 gegen das „absurde
Prinzip des sog. Naturalismus“, wonach es das
Wohl der öffentlichen Gesellschaft und der bürger-
liche Fortschritt durchaus fordern, daß in Ver-
fassung und Regierung keine Rücksicht auf die
Religion genommen oder wenigstens kein Unter-
schied zwischen wahrer und falschen Religionen ge-
macht werde). Die Folgen für die Gesellschaft
können allerdings nicht ausbleiben, sie haben sich
auch bereits in der Korruption der öffentlichen und
privaten Moral, in der Verwilderung der Massen
und in der Lösung der sozialen Bande gezeigt.
Und dennoch kann man um die Religion nicht
herumkommen. Selbst die Ungläubigen zeigen
durch ihre fortwährenden Angriffe, wie schwer es
ist, von ihr los zu kommen und gegen sie Ruhe
zu erhalten (Leos XIII. Enzyklika über die christ-
liche Staatsordnung, vom 1. Nov. 1885).
2. Pflichten des Staats. Je notwen-
diger die Religion für die Gesellschaft ist, um so
mehr ist es Pflicht des Staats, daß er selbst
Religion.
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die Religion zum Prinzip seiner Regierungsweis-
heit mache und die Religion fördere. Ein reli-
gionsloser Staat widerspricht der entscheidenden
Stellung der Religion im Denken und Handeln
der Menschen sowie in der Geschichte der Völker
und Staaten. Da außerdem die Religion älter
ist als der Staat, so kann dieser sie weder schaffen
noch abschaffen, sondern nur in der öffentlichen
Feier ordnen und weiterbilden. Seit der Be-
gründung des Christentums hat allerdings der
Staat seine Doppelnatur als bürgerliche und zu-
gleich religiöse Gesellschaft aufgeben müssen, in-
dem er nach dem Willen Christi das religiöse
Gebiet der ad hoc gestifteten Kirche fortan allein
überläßt. Zu ihrer alleinigen Kompetenz gehört
daher die Predigt des Evangeliums, die Veran-
staltung des Gottesdienstes, die Darbringung des
Meßopfers, die Verwaltung der Sakramente, die
Aussendung der Glaubensboten usw. Hätte es
im Lauf der Jahrhunderte keine Kirchenspaltungen
gegeben, wie das photianische Schisma (869) und
die abendländische Glaubensspaltung (1517), so
läge für den Staat eine klare Situation vor, da
er als katholische Gesellschaft natürlich keiner
andern Religion als der allein herrschenden seinen
Schutz angedeihen lassen könnte. Und noch heute
wird er dort, wo eine religiös geschlossene Ma-
jorität in seinem Schoß sitzt, den Katholizismus
als „Staatsreligion“ verfassungsmäßig gelten
lassen, wie z. B. in Spanien und Italien. Gegen
die grundlose Preisgabe dieser ihrer privilegierten
Stellung in katholischen Ländern hat sich die
Kirche in begreiflichem Interesse gewehrt (val.
Syllabus 77). Oder haben protestantische Länder,
wie z. B. England, vielleicht anders gehandelt?
Allein in der Zeit seit dem Erlaß des Syllabus
durch Pius IX. (1864) haben sich die Zeitverhält-
nisse so gründlich geändert, daß die katholischen
wie die protestantischen Länder heute zur Ge-
währung voller Religionsfreiheit gegenüber den
Andersgläubigen, welche sich friedlich in ihren
Grenzen niederlassen, gezwungen sind. Obwohl
die Kirche nach wie vor ihren eignen Gottesdienst
als den allein wahren proklamiert, so ist sie doch
weit entfernt, alle andern Kulte unterschiedslos zu
verdammen, wohl wissend, daß Gott auch die An-
betung eifriger Protestanten und frommer Juden
huldvoll annimmt und ihnen auf ihr Gebet seine
Gnade sendet. Deshalb gönnt Leo XIII. den
Andersgläubigen wie ihren Gottesdienst, so ihre
eignen Kultstätten. Vgl. Enzyklika Immortale Dei
vom 1. Nov. 1885 (bei Denzinger 10, n. 1874):
Revera si divini cultus varia genera eodem
iure esse, duo veram religionem, Ecclesia
i ndicat non licere, non ideo tamen eos dam-
nat rerum publicarum moderatores, qui,
magni alicuius adipiscendi boni aut prohi-
bendi causa mali, moribus atque usu patienter
ferunt, ut ea habeant singula in civitate
locum. Auch das Gebet der Gottlosen und
Sünder verschmäht Gott nicht, auch von ihnen