Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

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laubt; aber wenn sie nichtjüdische Sklaven be- 
schnitten, wurden sie kapital bestraft. Die Syn- 
agogen wie die jüdischen Kulthandlungen ge- 
nossen strafrechtlichen Schutz. Diese Normierung 
der rechtlichen Stellung der Juden durch das rö- 
mische Recht ist im ganzen für das Mittelalter 
maßgebend geblieben. — Im Mittelalter war die 
Lage der Juden sehr wechselvoll. Bald spielten sie 
in den verschiedenen Ländern, auch an den Höfen, 
eine große Rolle, bald wurden sie verfolgt. Ur- 
sachen zur Verfolgung waren ihr Wucher, das 
Halten und Beschneiden christlicher Sklaven usw. 
Die Kreuzzügler überfielen die Juden „als Feinde 
des Kreuzes Christi“. Christenmord, auch zu 
rituellen Zwecken, wurde ihnen nachgesagt. So 
kam es bald hier bald dort zu grausamen Volks- 
aufständen. Die Päpste (in sog. Schutzbullen) 
und die Geistlichkeit waren in der Regel den 
Juden eine Schutzwehr. Besonders wandten sich 
die Päpste gegen die blutige Unterdrückung und 
die Zwangstaufe der Juden. Die kanonischen 
Satzungen gegen die Juden bewegten sich auf der 
Basis des römischen Rechts, besonders die west- 
gotischen Synodalbeschlüsse. Als unentbehrliche 
Träger des Handelsverkehrs genossen die Juden 
zahlreiche handelsrechtliche Privilegien. Auch um 
die Wissenschaft machten sie sich verdient durch die 
bersetzung der Werke griechischer Philosophen 
(besonders in Spanien). In den germanischen 
Reichen standen sie germanischem Recht gemäß in 
familien= und erbrechtlichen Beziehungen unter 
jüdischem Recht; die Rabbiner hatten Jurisdiktion. 
UÜberall, besonders in Deutschland, waren sie ein 
wertvolles Steuerobjekt. Anfangs als Volksfremde 
rechtlos wurden sie im fränkischen Reich des Kö- 
nigsfriedens teilhaftig, mußten aber dafür eine 
Steuer zahlen. Daraus entwickelte sich der „Juden- 
schutz“. Im Jahr 1236 heißen die Juden daher 
„Kaiserliche Kammerknechte“. Der „Judenschutz“ 
wurde zum Regal und als solches den Kurfürsten 
durch die „Goldene Bulle“ verliehen. — Die all- 
mählich sich vollziehende, rechtliche Gleichstellung 
der Juden datiert erst von der französischen Revo- 
lution her. Am 28. Sept. 1791 wurde ein Gesetz 
angenommen, welches die Juden für gleichberech- 
tigte Bürger Frankreichs erklärt. 1807 berief 
Napoleon ein Synedrion nach Paris, welches die 
noch heute in Frankreich geltende Konsistorial- 
verfassung festsetzte. Diese Grundsätze fanden An- 
erkennung im Bereich des Code civil. In andern 
Ländern führte erst die 184 8er Bewegung zu wei- 
teren Befreiungen der Juden, bis das Gesetz des 
Norddeutschen Bundes vom 3. Juli 1869, vom 
Reich übernommen 1871, die Gleichberechtigung 
der Konfessionen in bürgerlicher und staatsbürger- 
licher Hinsicht aussprach. — Eine innere Um- 
wandlung des Judentums ging von Moses Men- 
delssohn aus, dem Haupt der jüdischen Schutz- 
gemeinde in Berlin. Er führte die Juden aus der 
Welt des Talmud in die moderne Bildung. Der 
außerordentliche Aufschwung der westeuropäischen 
  
Religionsgesellschaften. 
  
(Der Islam.) 
Juden, ihr Reichtum sowie manche auch selbst- 
verschuldeten Umstände führten den Antisemitis- 
mus herbei, welcher hinwiederum den Zionismus 
zeitigte (vgl. des weiteren d. Art. Israeliten, be- 
sonders Abschnitt II). 
C. Der Islam. I. In der Vergangenheit. 
Der Islam (d. i. Hingebung), gegründet von 
Mohammed, Sohn des Abdallah, zu Mekka um 
das Jahr 610, verfolgte im ersten Jahrzehnt seines 
Bestehens anscheinend nur religiöse und soziale 
Ziele. Die Moslems bildeten eine Gemeinde, die in 
Erwartung eines nahe bevorstehenden Weltgerichts 
unter Leitung ihres Predigers und Propheten 
innere Reinigung durch intensive Andachtsübungen 
und Verrichtung guter Werke erstrebte. Als be- 
sonders verdienstvoll galt die Darbringung des 
Sakat= oder Reinigungsalmosens, aus dessen Er- 
trag wohl schon früh eine Gemeindekasse zur 
gegenseitigen Hilfeleistung der Moslems entstand. 
Da der Eintritt in die Gemeinde die Gläubigen 
zu Brüderlichkeit verpflichtete, so wurde der Islam 
in Mekka bald eine Gefahr für die auf aristokra- 
tischer Grundlage ausgebaute Stadtverfassung, 
sowie für die patriarchalische Stammesordnung 
der Koraischiten von Mekka, und als zudem Mo- 
hammed durch seine ständigen Deklamationen 
gegen die Reichen als die wahren Feinde der Re- 
ligion sich den Haß der leitenden Stadtherrn zu- 
gezogen hatte, da kam die Sache des Islams in 
Mekka so vollständig ins Stocken, daß der Pro- 
phet daran denken mußte, seine Gemeinde auf 
einen andern Boden zu verpflanzen. Sein Versuch, 
den äthiopischen König für sich zu interessieren, 
mißlang; dagegen glückte es ihm, durch Ab- 
schließung eines Schutzbündnisses mit den arabi- 
schen Stämmen der Stadt Jathrib (oder Medina) 
im Jahr 622 für die Bestrebungen des Islams 
einen besonders günstigen Boden zu gewinnen. 
In Medina vollzog sich in schneller Folge der 
Ausbau der Kirchenordnung des Islams und die 
Abrundung seines Pflichtenkreises, in dessen 
Mittelpunkt als Konsequenz der Glaubenspflicht 
der unbedingte Gehorsam gegenüber dem Pro- 
pheten trat. Damit begann die Überleitung des 
Islams zu einem Staatswesen. Mohammed hatte 
sich vom ersten Augenblick seines Eintritts in Me- 
dina auch als weltliches Haupt der mekkanischen 
Gläubigen gefühlt; als solches veranlaßte er im 
Jahr 624 sämtliche Stämme der Stadt und Um- 
gegend, sich mit den Seinigen zwecks Sicherung 
des Stadtgebiets gegen äußere Feinde und Reg- 
lung innerer Zwiste zu einer Friedens= und 
Schutzgemeinde Allahs zusammenzuschließen, in 
welcher er als Schiedsrichter fungierte. Zu gleicher 
Zeit trieb er zur Befriedigung seines persönlichen 
Rachebedürfnisses die Auswanderergemeinde in den 
Krieg gegen die Mekkaner, während dessen Verlauf 
er der ganzen Stadtbevölkerung erst seine Herr- 
schaft, dann seine Religion aufzwang und die Be- 
tätigung für den Glauben mit Gut und Blut, den 
Dschihäd, zu einer religiösen Pflicht erhob. Wäh- 
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