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Schlagwort für die gesamte spezifisch in dische
Welt sowohl in religiöser als in gesellschaftlicher
Beziehung geworden. Die Geschichte des Worts
ist die Geschichte des religiösen, sozialen, geistigen
Lebens des Hinduismus. Denn die Entwicklung,
welche vom Brahma zum Brahmanen, vom Brah-
manen zum Brahmanismus, vom Brahmanismus
zum Hinduismus führte, umspannt das gesamte
Leben der indischen Gesellschaft und bezeichnet in
der Stufenfolge Brahma, Brahmane, Brahma-
nismus ebenso viele Phasen eines religiösen und
sozialen Entwicklungsprozesses, als dessen letzter
Ausläufer der moderne Hinduismus erscheint.
Aus der beherrschenden Stellung des Opferkultus
im religiösen und gesellschaftlichen Leben ergab
sich frühzeitig die beherrschende Stellung derer,
denen die Pflege des Kultus oblag. Es ent-
wickelte sich eine religiös-gesellschaftliche Gruppe,
die als Träger der Kultusüberlieferungen in dem
Maß an Einfluß wuchs, als der Opferkultus
selbst, an Bedeutung alle andern Institutionen
der indischen Gesellschaft überragend, immer tiefer
in das gesamte Volksleben eindrang. Sie ver-
körpert sich als Vormacht einer nach Kasten ge-
schiedenen Staats= und Gesellschaftsordnung im
brahmanischen Priestertum.
2. Brahmanische Staatstheorie. Die
Kaste ist für uns zum Inbegriff der religiösen
und gesellschaftlichen Eigenart des Hinduiemus
geworden. Im Kastenwesen erblicken wir den
Aufbau einer ganz vom brahmanischen Priester-
tum beherrschten, in den einzelnen Gruppen und
Klassen gegenseitig schroff abgesperrten gesellschaft-
lichen Gliederung. Diese Auffassung stützt sich
auf die in den altindischen Rechtsbüchern nieder-
gelegte brahmanische Theorie von Staat und Ge-
sellschaft. Diese Theorie teilt die altindische Ge-
sellschaft in vier Gruppen oder Klassen und weist
einer jeden ganz bestimmte, ihrem Charakter eigne
Berufe und Beschäftigungen zu. An der Spitze
stehen die Brahmanen; sie repräsentieren den
Priester= und Gelehrtenstand. An zweiter Stelle
erscheinen die Kschatriya oder „Krieger“, welchen
die Aufgabe zufällt, das Volk zu schützen. Die
Vaischya bilden als ackerbautreibende Bevölkerung
die dritte Hauptgruppe. Die vierte Klasse umfaßt
unter dem Namen Sudra die dienende Bevölke-
rung. Diese Gruppierung der verschiedenen Stände
und Berufe wurde in der brahmanischen Staats-
theorie zum Kastensystem entwickelt, und zwar so,
daß die drei unteren Gruppen nur ebenso viele
Stufen zur Stütze des brahmanischen Priester-
tums bilden, dem die ganze Staats= und Gesell-
schaftsordnung untergeordnet und dienstbar ge-
macht wird. Unbekümmert um tatsächliche Ver-
hälmisse baute sich der Brahmane eine Theorie
aus, die ihm geeignet schien, die beanspruchte Herr-
schaft des Priesterstands als auf ewiger göttlicher
Ordnung ruhend zu beweisen. Gewisse Klassen-
unterschiede, die, wie sie ähnlich überall, so auch
in Indien zur Zeit der ältesten Kulturperiode
Religionsgesellschaften. (Ostasiatische Religionsgesellschaften.)
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bestanden hatten und in den heiligen Büchern über-
liefert waren, dienten den Brahmanen als Auf-
bau für ihre Kastentheorie. Mit diesen Unter-
schieden des Berufs verbanden die brahmanischen
Gesellschaftstheoretiker in den Rechtsbüchern ge-
wisse auf religiöse Riten, die Ehe und die Nah-
rung bezügliche Satzungen, wie sie vermutlich in
den vielen Familiengemeinschaften der einzelnen
Stände bereits seit alter Zeit vorhanden waren.
Aus diesen Satzungen entwickelten sie die Kaste
als „göttliche Institution“, um darin die theokra-
tische Herrschaft der Brahmanen über alle andern
Ordnungen aufzurichten. Menschenwillkür sollte
nicht rütteln dürfen an dem Grundgesetz der Kaste,
welches das Volk in den Willen des Königs, den
König aber in den Willen des Priesters gab.
Aber die tatsächlichen Verhällnisse des staatlichen
und gesellschaftlichen Lebens erwiesen sich stärker
als der aus der religiösen Überlieferung hergelei-
tete Anspruch der Priesterkaste auf die Vorherr-
schaft. Nirgends zeigt sich die Einseitigkeit brah-
manischer Darstellung deutlicher als in der Art
und Weise, wie in der priesterlichen Literatur
alle übrigen Stände der souveränen Macht des
Brahmanentums untergeordnet werden. So tief
die brahmanische Überlieferung als Religion in
das Leben des indischen Volks eingreift, so ist
doch dessen Staats= und Gesellschaftsordnung
niemals auf der frei ersonnenen theokratischen
Grundlage einer Priesterkaste aufgebaut gewesen.
An der Spitz stand seit urdenklichen Zeiten der
im Stand der Kschatriya zusammengefaßte grund-
herrliche Adel mit dem staatsrechtlich unumschränkt
waltenden König als Haupt. Die Kschatriya
stellen als Träger des Grundbesitzes die herr-
schende Macht dar. Was diese von der brahma-
nischen Staatstheorie an die zweite Stelle gerückte
Kaste der Adels= und Kriegergeschlechter ebenso-
sehr über die erste oder priesterliche Kaste wie über
die dritte oder ackerbautreibende Kaste erhebt, ist
der Grundbesitz, der ihr das politische, soziale,
wirtschaftliche Ubergewicht im Staatsleben gab,
ohne jedoch das streng religiöse und geistige An-
sehen der Brahmanen zu beeinträchtigen. Das
„Königsrecht“ wird daher in den Rechtsbüchern
als die tragende (dharma „Recht“ von dharana
„Tragen") Macht aller Ordnungen geschildert.
„Das Königsrecht", so sagt ein altindischer
Rechtsspruch, „entsprang als erstes Recht aus dem
göttlichen Urgrund. Der Adelsstand steht über
allen andern Ständen.“ „Alle Geschöpfe stützen
sich auf das Recht, das Recht selbst aber gründet
im König.“ „Alle Rechtsordnungen der übrigen
Stände wurzeln im Königsrecht.“ Das in den
Gesetzbüchern (dharma pästra) niedergelegte
„Recht“ (dharma) beruht daher als Inbegriff
der staatlichen und sozialen Ordnung nicht auf
dem Stand der Brahmanen, sondern auf dem des
Adels. Haben wir demnach in der brahmanischen
Theorie nichts weniger als ein getreues Bild der
Staats- und Rechtsordnung, so dürfen wir an-
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