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Um seine Existenz zu sichern, machte er dem Denken
und Empfinden der großen Menge gewisse Zu-
geständnisse, aus denen der alchimistische Hokus-
pokus einer okkulten Wissenschaft, der sog. Vulgär-
taoismus, hervorgegangen ist, dessen Ziel erstens
die Verlängerung der Lebensdauer, zweitens die
Herstellung von Gold ist. Die Literatur des tao-
istischen Okkultismus füllt mit ihren wüsten Phan-
tasmagorien zahllose Bände. Hüter der Okkult--
wissenschaft sind eine Klasse von Bonzen, die in
größeren oder kleineren Gruppen zusammenleben.
Ihre Wirkungssphäre ist besonders der Exorzis-
mus der Geister. Daneben beschäftigen sich Ein-
siedler in strenger Weltabgeschiedenheit mit der
uIschwarzen Kunst“, der Bereitung von Gold.
Während so die tiefsinnige Lehre des Laotse in
einen ausschweisenden Okkultismus ausartete,
fand von außen her der Buddhismus Ein-
gang in China. Mit dem Buddhismus gelang es
zum erstenmal einem fremden Element, in den
nach außenhin streng abgeschlossenen und allem
Fremden grundsätzlich abgeneigten konfuzianischen
Ideenkreis einzudringen, sich in ihm einzubürgern
und bis zu einem gewissen Grad mit ihm zu ver-
schmelzen. Obschon die Lehren des Buddhismus
der konfuzianischen Staatsreligion schnurstracks
zuwiderlaufen, so gelang es ihnen doch, die an-
scheinend unversöhnlichen Gegensätze zu über-
brücken. Es ist das ein Beweis für die erstaunliche
Anpassungsfähigkeit dieser eminent propagandisti-
schen Lehre, die vor keinem logischen Salto mor-
tale zurückschreckt, wo es gilt, Hindernisse, die
ihrer Verbreitung im Wege stehen, zu beseitigen.
In China fand der Buddhismus obendrein in der
Beschaffenheit der religiösen Anschauungen, na-
mentlich in der Ahnenverehrung, Verhältnisse vor,
die seiner Propaganda nur Vorschub leisten konn-
ten. Auf diese Weise gewann der Buddhismus
immer mehr an Ausdehnung und Einfluß. Sein
Einfluß beschränkte sich keineswegs auf das reli-
giöse Gebiet allein; er kam auch der bildenden
Kunst und der Literatur zugute. So kommt es,
daß heute der Buddhismus einen maßgebenden
Faktor im chinesischen Kultur= und Volksleben
bildet, der nicht gering veranschlagt werden darf.
Nicht etwa, daß er als Religionsgesellschaft eine
herrschende Stellung im Land erobert hätte.
Denn Buddhisten im strengen und statistischen
Sinn sind wohl immerhin nur die verhältnismäßig
wenigen, welche die Gelübde eines buddhistischen
Mönchs ablegen. Wohl aber hat er einen weit-
gehenden praktischen Einfluß auf das tägliche
Leben erlangt. Der Chinese ist durchschnittlich
mindestens ebenso abergläubisch, wie er skeptisch
ist. Dieser Hang zum Wunderbaren, der als eine
Folge mangelhafter Naturerkenntnis sehr erklär-
lich ist, hat nicht zum geringsten Teil dazu bei-
getragen, dem Buddhismus die Wege zu ebnen.
Selbst der bildungsstolze Konfuzianer der höheren
Klassen, der für gewöhnlich mit verächtlichem Nase-
rümpfen über den törichten Aberglauben der
Religionsgesellschaften. (Ostasiatische Religionsgesellschaften.)
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Buddhisten hinwegzusehen pflegt, wird es gewiß
nur in den allerseltensten Fällen verschmähen, sich
bei Trauerzeremonien der Mitwirkung buddhisti-
scher Priester zu vergewissern. Man kann ruhig
sagen, daß ganz China Buddha huldigt. Buddhi-
stische Klöster, große und kleine, sind über ganz
China zerstreut. Alle diese Pagoden, ob in Städten
oder Dörfern oder als Wallfahrtsorte bestehend,
werden eifrig besucht. Wenn daher „buddhistisch
sein“ nichts anderes bedeutet, als ab und zu einen
buddhistischen Tempel besuchen, dann kann man
einräumen, daß alle Chinesen, von den Christen
und Mohammedanern abgesehen, Buddhisten sind.
Diesen Einfluß erkämpfte sich der Buddhismus
unter dem steten Anfeinden des Konfuzianismus.
Ihren tiefsten Grund haben seit 1000 Jahren
die Verfolgungen, denen Buddhismus und Taois-
mus unterworfen waren, in der konfuzianischen
Intoleranz.
4. Die religiöse Intoleranz der kon-
fuzianischen Staatspolitik leitet sich her
aus Gründen der rein praktischen Staatsraison.
Denn im Mittelpunkt der konfuzianischen Staats-
und Gesellschaftslehre steht die Pietät. Als Aus-
druck des sittlichen Verhaltens der Kinder zu
den Eltern aufgefaßt, schließt sie Ehrerbietung
und unbedingten Gehorsam in sich. Sie ist die
tief im Volksbewußtsein haftende Kardinaltugend,
die bis auf den heutigen Tag die sittliche Grund-
lage des chinesischen Lebens in Familie und Staat
geblieben ist. Von der Familie auf den Staat
übertragen, entspricht der Unterwerfung unter den
väterlichen Willen der Gehorsam gegen die Obrig-
keit. Der Konfuzianismus mit seiner ganz dem
Staat und der Gesellschaft dienenden Lehre von
der Unterwerfung unter die Autorität galt daher
als der Träger des konservativen Prinzips im
Staat. Er wurde die verläßlichste Stütze der Be-
amtenhierarchie und ist es geblieben. Aus der An-
erkennung und Förderung, die der Staat seiner-
seits der Lehre des Konfuzius zu teil werden ließ,
ergab sich von selbst die Intoleranz der chinesischen
Staatspolitik gegenüber allem, was nicht auf Kon-
fuzius gegründet ist. Dieselbe hat sich bis zu einem
Grad entwickelt, daß legislatorisch der kon-
fuzianische Staat der intoleranteste Staat der
Erde geworden ist. Seit der ältesten Zeit wurde
eine scharfe Unterscheidung zwischen überlieferter
und nicht überlieferter Lehre gemacht. Als über-
liefert wurde nur das anerkannt, was in dem Ka-
non der von Konfuzius gesammelten Bücher ent-
halten ist. Alles, was außerhalb ihres Bereichs
liegt, ist entweder so unbedeutend, daß es der Be-
achtung des Staatsmanns und Gelehrten nicht
wert ist, oder es atmet einen andern Geist, und
dann ist es eine Gefahr für Staat und Gesell-
schaft. Schon Konfuzius hatte alles als staats-
gefährlich verurteilt, was von der Uberlieferung
abwich. Sein Nachfolger Mencius machte es
schlechthin dem Staat zur Pflicht, alles, was als
Abfall von der alten Überlieferung angesehen