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Die Gesamtbevölkerung der Erde ist bei allen
diesen Berechnungen erheblich unterschätzt. Bei
den für die Nichtchristen angegebenen Zahlen han-
delt es sich offenbar nur um ganz vage Schätzun-
gen ohne feste Unterlagen, wie aus den runden
Zahlen und den großen Schwankungen hervor-
geht. Nur bei den Christen ist die Berechnung
eine sorgfältigere, aber von einer Genauigkeit, wie
sie für wissenschaftliche Untersuchungen erforderlich
ist, war man noch weit entfernt. Auch die von
den Geographen Hübner, Petermann, Kolb u. a.
in den 1850er bis 1880er Jahren angestellten
Versuche stellen in dieser Beziehung keinen wesent-
lichen Fortschritt dar.
Eine Religionsstatistik, die den wissenschaft-
lichen Anforderungen entsprechen soll, ist nur mög-
lich, wenn man für jedes einzelne Staatsgebiet
die Zahl der Anhänger der verschiedenen Reli-
gionsgemeinschaften aus zuverlässigen Quellen zu
ermitteln sucht und aus den so gewonnenen Einzel-
ergebnissen die Gesamtzahlen zusammenstellt.
Schätzungen in Bausch und Bogen für große
Ländergruppen ohne sichere Anhaltspunkte über
Zahl und konfessionelle Gliederung der Bevölke-
rung sind für statistische Untersuchungen von ge-
ringem Nutzen. Eine alle Staatsgebiete der Erde
im einzelnen berücksichtigende eingehende Reli-
gionsstatistik wurde zum erstenmal von Fournier
de Flaix auf der zweiten Tagung des Internatio-
nalen Statistischen Instituts in Paris (1889)
vorgelegt. Seinem Beispiel folgten F. v. Jura-
schek (1898), H. Zeller und H. A. Krose S. J.
(1903). Die Zahlenangaben Fournier de Flaix'
entsprechen meist dem Stand zu Anfang oder gegen
Mitte der 1880er Jahre, die Jurascheks stammen
aus den Jahren 1890/97. Zeller hat im wesent-
lichen die Angaben Jurascheks übernommen und
seinen Berechnungen zugrunde gelegt, hat sie aber
ergänzt, übersichtlich zusammengestellt (in Warn-
ecks Allg. Missionszeitschr. 1903) und in ausführ-
licher Darstellung im einzelnen begründet. Kroses
Zahlen stammen aus dem letzten Jahrzehnt des
19. Jahrh., nur in wenigen Fällen auch noch aus
dem Jahr 1901. Die Gesamtergebnisse dieser
vier Untersuchungen sind kurz folgende:
Religionsstatistik.
Fournier Juraschek
de Flaixf und Zeller Krose
Christen 477080 158534 940 000| 49 017 341
Katholikenn 230 866 538 254 500 O00 264 505 922
Protestanten43 237 625165 830 000 166 627 109
Griech.-Orthod. OlS 000 106 480 O00 109 147272
Andere Christern 49600008 130000 8 72824
uden 7056 00|| I10 860 OO011 036 607
Mohammedaner22048 240
Brahmanen 190000000 214 570 000 210 100 000
Alte indische Kulte — — 12 113 756
Buddhistter47900000 750 O000 20000
Anhänger des
Ahnenkultus u.
des Konfutse 256 000 00000 630 O00 235 O000 000
Schintoisten 14 000 O 4000 00 OOO O
Tavisten ·- — 32 000 000
Andere Heiden1771 69OO Ooo 44 7000
Sonstige u. ohne
1— — 170 000 2844 482
zusammen 1 429 552 199 1 544 510 000 1536 110 426
Staatslexikon. IV. 3. u. 4. Aufl.
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Zwischen der ersten dieser Zusammenstellungen
und den beiden letzteren scheinen die Differenzen
sehr beträchtlich zu sein. Allein man muß dabeie
berücksichtigen, daß die Zahlenangaben Fourniers
durchschnittlich wohl mindestens um ein Jahrzehnt
weiter zurückliegen als die von Juraschek-Zeller;
noch größer ist der zeitliche Abstand von der Zu-
sammenstellung Kroses. Eine Vermehrung um
10 bis 15 % in einem solchen Zeitraum ist durchaus
nichts außergewöhnliches. Daher sind die Auf-
stellungen, soweit die Christen in Frage kommen,
sehr wohl miteinander vereinbar (die Raskolniken
hat Fournier anscheinend zu den Griechisch-Ortho-
doxen gerechnet, die beiden andern Bearbeiter da-
gegen zu den „Andern Christen"). Auch bei den
Mohammedanern und Brahmanen ist die Ab-
weichung der ersten Tabelle von den beiden andern
nicht auffällig. Dagegen hat Fournier die Zahl
der Juden offenbar unterschätzt, die der Buddhisten
dagegen überschätzt. Letzteres ist leicht erklärlich,
da in dem großen chinesischen Reich mit seinen
nach Hunderten von Millionen zählenden Bewoh-
nern Buddhismus, Konfuzianismus und Ahnen-
kultus sich nicht scharf voneinander scheiden lassen,
sondern manchmal von denselben Individuen
gleichzeitig bekannt und durch Teilnahme an den
religiösen Ubungen praktisch betätigt werden. Da-
zu kommt die Unsicherheit in der Abschätzung der
Gesamtbevölkerung Chinas und der Innerafrikas.
Bei den drei ostasiatischen Religionsformen eben-
so wie bei dem besonders in Afrika verbreiteten
Fetischismus fehlen auch heute noch die notwen-
digen statistischen Unterlagen für eine zuverlässige
Berechnung und sind daher Schwankungen in der
Abschätzung begreiflich. Juraschek und Zeller
haben außerdem für den Taoismus und die alten
indischen Kulte keine besondere Kategorien gebil-
det, sondern sie den vorerwähnten großen Sammel-
gruppen beigezählt; auch diejenigen Personen, für
die eine Angabe nicht vorlag, scheinen von Jura-
schek auf Grund gewisser Anhaltspunkte andern
Gruppen zugeteilt zu sein. Die Zahl der Moham-
medaner ist von Juraschek entschieden zu niedrig
eingeschätzt. Neuere Untersuchungen haben er-
geben, daß der Mohammedanismus in Afrika
weit stärker verbreitet ist, als man früher ange-
nommen hatte. Im übrigen herrscht zwischen der
Ausstellung Juraschek-Zellers und der Kroses eine
in Anbetracht des ungleichen Zählungstermins
sehr weitgehende Ubereinstimmung. Da die Be-
rechnungen vollständig unabhängig voneinander
stattgefunden haben, liegt darin zweisellos eine
Garantie für die Zuverlässigkeit der Ergebnisse.
III. Gegenwärtiger Besland der Reli-
gionsgemeinschaften. Die unter Abschnitt 1I
angeführten Zusammenstellungen von Juraschek-
Zeller und Krose entsprechen durchschnittlich dem
Stand des letzten Jahrzehnts des 19. Jahrh. Sie
bedürfen daher gegenwärtig, nachdem das erste
Jahrzehnt des 20. Jahrh. beinahe beendet ist,
einer Ergänzung und Neubearbeitung. Vor allem
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