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ist das bei den in stetiger starker Zunahme be-
griffenen christlichen Religionsgemeinschaften er-
forderlich, während bei den asiatischen und afrika-
nischen Religionsformen, für die eine genauere
Schätzung doch nicht möglich ist, die vor einem
Jahrzehnt angenommenen Schätzungswerte auch
heute noch zum großen Teil verwendbar sind.
Die großen Schwierigkeiten der Religionsstati-
stik sind schon im vorhergehenden angedeutet. Sie
sind größer als bei irgend einem andern Zweig
der Bevölkerungsstatistik. Auch Staaten, die im
übrigen eine gut eingerichtete amtliche Statistik
besitzen, entbehren vielfach noch eine amtliche Re-
ligionsstatistik. Die wissenschaftliche Statistik ist
sich freilich längst darüber einig, daß das Reli-
gionsbekenntnis zu den wesentlichen Tatsachen
gehört, die bei jeder Volkszählung erhoben wer-
den sollten. Schon auf dem 8. internationalen
statistischen Kongreß in St Petersburg (1872)
wurde das ausdrücklich hervorgehoben unter Hin-
weis auf die große Bedeutung, die der vollstän-
digen Klarstellung des Religionsbekenntnisses,
„eines der wichtigsten Elemente der Zivilisation“,
beizumessen sei. Bei Staaten mit einer konfessio-
nell fast einheitlichen Bevölkerung wie Belgien,
Spanien, Portugal und den meisten süd= und
mittelamerikanischen Republiken macht sich der
Mangel weniger fühlbar, da, abgesehen von einer
kleinen Minorität, deren Zahl meist mit ziemlich
großer Genauigkeit auf anderem Weg zu ermitteln
ist, die ganze Bevölkerung einem bestimmten Be-
kenntnis zugerechnet werden darf. Aber groß ist die
Schwierigkeit bei konfessionell gemischten Staaten
wie in Großbritannien und in den Vereinigten
Staaten von Amerika, wo noch niemals der An-
teil der Religionsgemeinschaften an der Gesamt-
bevölkerung durch eine allgemeine Volkszählung
festgestellt worden ist. Einen gewissen Ersatz
bieten allerdings in solchem Fall die kirchlichen
Zählungen, aber nur dann, wenn durch die kirch-
lichen Behörden alle einzelnen Individuen, nicht
jedoch wenn, wie das bei den englisch-amerikani-
schen protestantischen Gemeinschaften geschieht, nur
die Kommunikanten oder ollberechtigten Gemeinde-
glieder gezählt, für die übrigen Konfessionsange-
hörigen aber auf Grund einer bestimmten Pro-
portion Zuschläge gemacht werden. Die auf
letztere Weise ermittelten Gesamtzahlen sind vage
Schätzungen, die nur einen approximativen Wert
besitzen. Dasselbe gilt von der protestantischen
Missionsstatistik, soweit englisch = amerikanische
Missionsgesellschaften in Frage kommen.
Endlich liegt bei einer zusammenfassenden Ge-
samtstatistik der Religionsgemeinschaften noch eine
Schwierigkeit in der Klassifikation der Bekennt-
nisse. Es bleibt nichts anderes übrig, als kleinere
Gemeinschaften zu Sammelgruppen zu vereinigen.
Das ist aber ein großer Übelstand, weil Ungleich-
artiges miteinander verbunden werden muß und
weil durch die bedeutenden Zahlen der Eindruck
hervorgerufen wird, daß man es mit einer großen
Religionsstatistik.
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Gemeinschaft zu tun habe, während es sich tat-
sächlich um eine Vielheit von Bekenntnisgruppen
handelt, die weder durch eine gemeinsame Organi-
sation noch durch die Gleichheit des Bekenntnisses
miteinander verknüpft sind. Das gilt in erster
Linie von jener großen Sammelgruppe, die man
unter der Bezeichnung „Protestantismus“ zu-
sammenfaßt. In der Religionsstatistik ist dieser
Begriff nur verwendbar, wenn man ihn möglichst
weit und rein negativ faßt, d. h. wenn man dar-
unter alle jene Christen versteht, die weder katho-
lisch sind noch einer griechischen oder orientalischen
schismatischen Kirche angehören. Sobald man
irgend ein gemeinsames Kennzeichen ausstellen
will, das dieser Gruppe und nur ihr ausschließ-
lich eigentümlich ist, gerät man in Verlegenheit.
In den folgenden Tabellen haben wir daher die
in manchen amtlichen Statistiken vorkommende
Gruppe der „Andern Christen“ stets den Prote-
stanten zugerechnet. Zu den Katholiken sind
grundsätzlich nur Angehörige der katholischen
Kirche zu zählen, aber selbstverständlich ohne
Unterschied des Ritus oder der liturgischen
Sprache, die ja keine Verschiedenheit des Bekennt-
nisses begründen. Die sog. „Altkatholiken“ ge-
hören nicht zur katholischen Kirche, werden aber
in einigen Staaten von der amtlichen Statistik zu
den Katholiken gerechnet, was jedoch wegen ihrer
verschwindend geringen Zahl für das Gesamt-
resultat belanglos ist. Zu den „Schismatischen
Griechen“ gehören die „Russisch= oder Griechisch-
Orthodoxen“, einerlei ob sie den Patriarchen von
Konstantinopel als ihr Oberhaupt anerkennen oder
selbständigen Landeskirchen angehören. Die schis-
matischen Armenier, Syrer, Chaldäer, Kopten
und Thomaschristen kann man unter der Bezeich-
nung „Schismatische Orientalen“ zusammenfassen.
Die russischen Raskolniken dagegen müssen als
eine besondere, von den bisher genannten christ-
lichen Bekenntnissen verschiedene Gruppe angesehen
werden.
Bei allen Religionsgemeinschaften ist nur die
äußere Zugehörigkeit statistisch meßbar. Daß
z. B. unter den äußerlich zur katholischen Kirche
gehörenden 38 Mill. in Frankreich viele, ja viel-
leicht viele Millionen innerlich vollständig mit der
Kirche zerfallen sind, wird damit nicht in Abrede
gestellt, ebensowenig wie die analoge Tatsache bei
den Protestanten in Deutschland und andern ger-
manischen Ländern. Bei den im Vordergrund des
Interesses stehenden christlichen Gemeinschaften
wird von den Zeiten des Urchristentums an die
Zugehörigkeit durch die Taufe begründet und muß
vom statistischen Standpunkt aus als fortbestehend
angesehen werden, so lange nicht ein formeller
Austritt oder Ausschluß erfolgt ist. Für die staat-
lichen Konfessionszählungen sind einzig die Selbst-
angaben der Gezählten maßgebend.
Bei den nun folgenden Zusammenstellungen
wurden jeweils die neuesten Angaben verwendet.
Diese stammen fast ausnahmslos aus dem ersten