Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

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acht nach sich zog; das Strafverfahren erfolgte in 
der Weise, daß der geistliche Richter über das Vor- 
handensein des Verbrechens urteilte und dem welt- 
lichen Richter den Verurteilten zur Bestrafung über- 
antwortete. Als ordentliche Strafe für die Ketzerei 
galt der Feuertod (vogl. Sachsenspiegel II, Art. 13; 
Schwabenspiegel 313; Verordnung Kaiser Fried- 
richs II. von 1220 (Pertz, Monum. IV 236.. 
Mit der Kirchentrennung des 16. Jahrh. ver- 
schwindet der Verbrechensbegriff des Schismas, 
aber nicht das Delikt der Ketzerei, wenn auch die 
peinliche Gerichtsordnung Karls V. von 1532 
(Carolina) im Gegensatz zur Bambergensis 
dasselbe nicht mehr aufführt; nur ändert sich der 
Inhalt dieses Verbrechensbegriffs insofern, als 
fortab nicht die Abweichung vom katholischen 
Glauben, sondern die Abweichung von der Landes- 
religion als Ketzerei galt (ogl. Reformation der 
brandenburgischen Halsgerichtsordnung von 1582, 
Art. 132). Gemeinrechtlich blieben die Straf- 
bestimmungen gegen die Wiedertäufer, welche in 
dem „Mandat gegen die Wiedertäufer“ von 1529 
und in den Reichsabschieden von 1529 und 1551 
mit Todesstrafe bedroht waren. Im übrigen 
wurde die Strenge der Ketzerstrafen in den ein- 
zelnen Ländern nicht auf die in Deutschland an- 
erkannten drei Konfessionen, sondern auf die inner- 
halb dieser Konfessionen auftauchenden Irrlehren 
angewendet. Wie das kaldinische Ketzergericht 
1553 in Genf die Verbrennung des Michael Ser- 
vetus und 1566 in Bern die Enthauptung des 
Valentin Gentilis verfügte, so wurden 1574 und 
1583 von den Leipziger Schöffen zwei Personen 
zum Feuertod verurteilt, weil sie die Kindertaufe 
verwarfen, die Dreieinigkeit leugneten und andere 
Glaubensartikel bestritten (Carpzov, Pract. rerum 
criminal. 1 q. 48. 49), und wegen Kryptokalvinis= 
mus in Kursachsen 1574 der Geheime Kammerrat 
Craco langsam zu Tode gemartert, auch 1601 der 
Geheime Rat und Kanzler Krell nach zehnjähriger 
Kerkerhaft zu Leipzig enthauptet. Nach dem Codex 
luris bavarici criminalis von 1751 sollen no- 
torische Ketzer, welche „denen christlich-katholischen 
Glaubensartikeln widrige Meinungen wissentlich 
sagen, verfechten und halsstarrig behaupten“, des 
Landes auf ewig verwiesen oder bei geringer Kost 
bis zum Widerruf ihrer Irrlehre eingesperrt wer- 
den; sind durch Aussprengung ketzerischer Lehren 
andere verführt oder gar gegen die Obrigkeit auf- 
gebracht worden, so sollen solche Verführer mit 
dem Schwert hingerichtet und deren Leichname 
auf dem Scheiterhaufen verbrannt werden. 
. Die Zauberei wurde in der heidnischen 
Zeit nur bestraft, sofern sie schädliche Wirkungen 
verursachte oder wenigstens beabsichtigte; als 
häufig vorkommende Arten der Zauberei werden 
genannt: die Vergiftung (veneficium), Bei- 
bringen von Zaubertränken, um einer Frau die 
Fruchtbarkeit zu benehmen oder die Leibesfrucht 
abzutreiben, Erzeugen von Unwetter und Beschä- 
digen der Ernte (Hexe bedeutet die das Feld 
Religionsverbrechen. 
  
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Schädigende). Die Strafen waren in den Volks- 
rechten verschieden abgestufte Bußen, teilweise auch 
Strafen an Haut und Haar und Todesstrafe. 
Unter kirchlichem Einfluß nahm das weltliche Recht 
die Zauberei und Wahrsagerei unter die von 
Amts wegen und schlechthin, auch ohne Nachweis 
von Schädigungen zu verfolgenden Missetaten auf; 
ein Kapitular Karls II. ordnet amtliche Ausrot- 
tung der Zauberer, der Hexen und ihrer Be- 
günstiger an. Das schwäbische Landrecht, Art. 
174, droht Feuertod der Zauberei. Der Grund 
dieser erweiterten Bestrafung der Zauberei beruhte 
in dem Abfall vom Christentum, welchen man als 
stets mit der Zauberei verbunden, bei der Hexerei 
sogar in einem förmlichen Vertrag mit dem Teufel 
ausgesprochen voraussetzte; deshalb wird die Zau- 
berei neben der Ketzerei genannt und ihr in der 
Bestrafung gleichgestellt. Auch die Carolina 
(Art. 109) bestraft die Zauberei schlechthin, droht 
aber Feuertod nur für den Fall, daß den Leuten 
Schaden zugefügt worden ist, und stellt die Ver- 
giftung unter die Tötungsverbrechen. Noch die 
preußischen Kriegsartikel vom 31. Aug. 1724 be- 
stimmen: „Welcher Soldat den Nahmen Gottes 
durch Beschwerung der Waffen, Festmachen oder 
andere dergleichen verbotene Teufelskünste und 
Zauberey mißbrauchet, hat sein Leben verloren.“ 
Den ÜUbergang zu der modernen Gesetzgebung 
bilden die Bestimmungen der Constitutio crimi- 
nalis Theresiana von 1769, Art. 58: Wenn 
den angeblichen Zaubereien eine Gemütskrankheit 
oder verderbte Einbildungskraft zugrunde gelegen 
hat, so soll der Angeschuldigte in ein Irren= oder 
Krankenhaus gebracht und nur, wenn er bei Ver- 
übung jener Handlungen sich des begangenen Un- 
rechts ziemlich bewußt gewesen, mit arbiträrer 
Züchtigung gestraft werden; wenn aber jemand 
mit einem ernstlichen bösen Willen Handlungen 
vornimmt, wodurch er zaubern will, so wird er 
mit scharfer Leibesstrafe, der Ausländer mit Lan- 
desverweisung bestraft. Hat der Verbrecher ein 
schriftliches Bündnis mit dem Teufel aufgesetzt, 
so soll er als Gotteslästerer mit dem Feuer hin- 
gerichtet werden; wenn jedoch „aus einigen un- 
begreiflich-übernatürlichen Umständen und Ergeb- 
nissen ein wahrhaft teuflisches Zauber= und 
Hexenwesen gemutmaßt werden müßte“, so sollen 
die Akten dem Regenten zur Bestimmung der 
Strafart eingereicht werden. 
Die entsetzliche Ausartung der Hexenverfol- 
gung in den Hexenprozessen vom 16. bis 18. 
Jahrh., von welcher die vom Protestantismus frei 
gebliebenen Länder (Italien, Spanien, Portugal) 
fast ganz verschont geblieben sind, ist wesentlich zu- 
rückzuführen auf die protestantische Lehre von der 
Allgewalt Satans über jegliche Kreatur und von der 
völligen Ohnmacht des fündigen Menschen, welche 
nicht ohne Rückwirkung auf die Anschauung der Ka- 
tholiken in den vom Protestantismus angegriffe- 
nen Ländern blieb und innerhalb Deutschlands in 
den Bestimmungen der Carolina über die Tortur
	        
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