Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

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Böswilligkeit, die da vorhanden ist, wo der ab- 
sichtlich handelnde Täter aus böser Gesin- 
mung sich „an der Rechtswidrigkeit 
seiner Handlung oder an ihrer ver- 
derblichen Wirkung als solcher freut 
oder seine Befriedigung darin fin- 
det“.“ Also der „Gutgesinnte“, der in „heiligem 
Zorn“ oder in „stürmischem Wahrheitsdrang“ 
oder in „religiöser Erregung“ eine Religions- 
gesellschaft beschimpft, soll straflos bleiben; die 
„ehrliche Absicht", der „gute Zweck“ heiligt da- 
nach die beschimpfende, somit an sich strafbare 
Handlung. Ein so widerspruchsvoller Tatbestand 
würde mit Notwendigkeit zu widerspruchsvollen, 
willkürlichen Gerichtsentscheidungen führen. Ver- 
fehlt ist auch die bedeutende Abschwächung der 
Strafdrohungen, die sich nicht durch den Hinweis 
auf die Tatsache rechtfertigen läßt, daß die ge- 
richtlichen Erkenntnisse das Maß von zwei Jahren 
Freiheitsstrafe selten überschritten haben. Der 
Vorentwurf hat sich mit Recht gehütet, die Kon- 
sequenz dieser falschen Auffassung bei andern De- 
likten zu ziehen. Zudem ist es ein innerer Wider- 
spruch, den Tatbestand durch Aufnahme des Mo- 
ments der Böswilligkeit zu verschärfen und gleich- 
zeitig das Strafmaß zu mildern. Diese Leistung 
wird freilich noch überboten durch die systema- 
tische Behandlung der Religionsdelikte: der Vor- 
entwurf stellt sie unter die „Verbrechen und Ver- 
gehen gegen Einrichtungen des Staats“. Danach 
wären Gott, Religion, Religionsgesellschaften als 
Einrichtungen des Staats zu betrachten! Auch 
die vom Vorentwurf vorgeschlagene Reihenfolge 
und Rangordnung innerhalb der Verbrechen und 
Vergehen gegen Einrichtungen des Staats ist be- 
achtenswert: an der Spitze stehen die Vergehen 
gegen die Wehrpflicht, dann folgen die „Ver- 
gehen in Beziehung auf die Ausübung der 
Religion“", dann Münzverbrechen und Münz- 
vergehen usw. Also zuerst die großen Bataillone 
und Kanonen, dann erst unser Herrgott und die 
Religion! 
Literatur. Unter den allgemeinen Werken über 
Strafrecht u. Gesch. des Strafrechts sind von den 
älteren namentlich Wächter, Jarcke, Roßhirt u. von 
den neueren Schütze, Hälschner, Liszt, Binding zu 
vergleichen. An Spezialliteratur über die Reli- 
gionsdelikte ist hervorzuheben: 
Zur Geschichte. Römisches Recht: Neu- 
mann, Der röm. Staat u. die allg. Kirche bis Dio- 
kletian (1890); Mommsen, Der Religionsfrevel 
nach röm. Recht, in Sybels Histor. Zeitschr. 1890, 
389; Conrat, Die Christenverfolgungen im röm. 
Reich vom Standpunkt des Juristen (1897); Knel- 
ler, Hat der röm. Staat das Christentum verfolgt? 
in Stimmen aus Maria-Laach LV (1898); Weis, 
Christenverfolgungen (1899); Mommsen, Röm. 
Strafrecht (1899) 567/580, 595/611. 
Deutsches Recht: Abegg, Das religiöse Ele- 
ment in der peinlichen Gerichtsordnung, in Archiv 
des krim. Rechts 1852, Beil., u. 1856, 369; 
v. Maasburg, Zur Entstehungsgesch. der theresian. 
Halsgerichtsordnung, mit bes. Rücksicht auf das 
Religionsverbrechen. 
  
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crimen magiae (1880); Goltdammer, Materialien 
zum preuß. Strafgesetzbuch II 262; ders., über den 
Begriff der Gegenstände der Verehrung bei den 
Vergehen, welche sich auf die Religion beziehen, in 
Archiv für preuß. Strafrecht X (1862) 793; Waser, 
Die Religionsstörung, in Österr. Gerichtszeitung 
1853; Wahlberg, Die R. in den deutschen Straf- 
gesetzbüchern, in Holtzendorffs Allg. Strafrechts- 
zeitung 1861, Nr 18, 19. 
Zum geltenden Recht. Vergleichung 
der deutschen u. der ausländischen Ge- 
setzgebung über R.: Bielogritz-Kotlarewssky, 
Die Verbrechen gegen die Religion in den Haupt- 
staaten des westl. Europa (1886); Kahl, Verglei- 
chende Darstellung des deutschen u. ausländischen 
Strafrechts, besonderer Teil, Bd III 1 ff. 
Deutsches Reichsrecht: Wahlberg, Ver- 
gehen, welche sich auf die Religion beziehen, in 
Holtzendorffs Handbuch des deutschen Strafrechts 
III (1874) 263; Meves, Das Reichsstrafgesetzbuch 
in seinem Verhältnis zur Religion, in Gerichtssaal 
XXVII (1875) 324; Villnow, Vergehen, welche sich 
auf die Religion beziehen, ebd. XXXI (1879) 
509 ff 579 ff; Wahlberg, Art. „R.“, in Holtzen- 
dorffs Rechtslexikon (21881). 
Lilienthal, R. u. Redefreiheit, in Deutsches 
Wochenblatt 1888, Nr 29, 30; Weitbrecht, Was 
ist's mit dem § 1667 (1889); Walker, Theorie der 
Preßfreiheit u. der Beleidigungen (1889); Kohler, 
Studien aus dem Strafrecht Hft 1 (1890) S. 160; 
Bott, Lehre von den Religionsvergehen (1890); 
Fuld, Die Gotteslästerung u. das Strafgesetzbuch, 
in Archiv für Strafrecht XXXIX (1891) 142; E. 
Vogtherr, Der Gotteslästerungsparagraph des deut- 
schen R.St. G. B. u. seine Beseitigung (1891); 
Walker, in Beyschlags Deutsche evang. Blätter 
XVII (1892) 52; Wach, Beschimpfung von Reli- 
gionsgesellschaften, in Deutsche Zeitschrift für Kir- 
chenrecht II (1892) 161; Bauke, Zulässigkeit der 
Notwehr gegenüber beleidigenden Außerungen sei- 
tens des Geistlichen während des Gottesdienstes 
(1894); Kahl, Lehrsystem des Kirchenrechts u. der 
Kirchenpolitik (1894) 388 ff; Paul, Religion u. 
Strafgesetz, in Kathol. Flugschriften zur Wehr u. 
Lehr Nr 121 (1897); Blumensath, Die Religion 
u. ihr strafrechtl. Schutz (1898); Pfleiderer, Die 
Grenzen der Staatswirksamkeit auf religiösem Ge- 
biet, in Deutschland 1902; Feder, Die Religions- 
vergehen im deutschen Strafrecht, in Freies Wort 
1904, 900 ff 950 ff; Jauck, über strafrechtl. Schutz 
des religiösen Empfindens, in Zeitschrift für die 
ges. Strafrechtswissenschaft XXIV (1904) 349; 
Harder, Wie soll der § 166 umgestaltet werden? 
in Christl. Welt 1905, 761; Hamm, Zur Straf- 
bestimmung des § 166 St. G. B., in Deutsche Juri- 
stenzeitung 1905, 273; Beling, Die Beschimpfung 
von Religionsgesellschaften, religiösen Einrichtungen 
u. Gebräuchen u. die Reformbedürftigkeit des 
§ 166 St. G.B. (1905); Rissom, Die Beschimpfung 
im Kampf der Konfessionen, in Deutsche Zeitschrift 
für Kirchenrecht, 3. Folge XV (1905) 448; Rothe, 
Gegen den Gotteslästerungsparagraphen, in Hefte 
zur christl. Welt Nr 57 (1906); Vonschott, Be- 
schimpfung der christl. Kirchen u. das deutsche Straf- 
recht, in Archiv für kathol. Kirchenrecht 1906, 
379; Kahl, Vergleichende Darstellung des deutschen 
u. ausländischen Strafrechts (1906); Pfannkuche, 
Gegen den Religionsschutz durch das Strafgesetz
	        
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