621
Böswilligkeit, die da vorhanden ist, wo der ab-
sichtlich handelnde Täter aus böser Gesin-
mung sich „an der Rechtswidrigkeit
seiner Handlung oder an ihrer ver-
derblichen Wirkung als solcher freut
oder seine Befriedigung darin fin-
det“.“ Also der „Gutgesinnte“, der in „heiligem
Zorn“ oder in „stürmischem Wahrheitsdrang“
oder in „religiöser Erregung“ eine Religions-
gesellschaft beschimpft, soll straflos bleiben; die
„ehrliche Absicht", der „gute Zweck“ heiligt da-
nach die beschimpfende, somit an sich strafbare
Handlung. Ein so widerspruchsvoller Tatbestand
würde mit Notwendigkeit zu widerspruchsvollen,
willkürlichen Gerichtsentscheidungen führen. Ver-
fehlt ist auch die bedeutende Abschwächung der
Strafdrohungen, die sich nicht durch den Hinweis
auf die Tatsache rechtfertigen läßt, daß die ge-
richtlichen Erkenntnisse das Maß von zwei Jahren
Freiheitsstrafe selten überschritten haben. Der
Vorentwurf hat sich mit Recht gehütet, die Kon-
sequenz dieser falschen Auffassung bei andern De-
likten zu ziehen. Zudem ist es ein innerer Wider-
spruch, den Tatbestand durch Aufnahme des Mo-
ments der Böswilligkeit zu verschärfen und gleich-
zeitig das Strafmaß zu mildern. Diese Leistung
wird freilich noch überboten durch die systema-
tische Behandlung der Religionsdelikte: der Vor-
entwurf stellt sie unter die „Verbrechen und Ver-
gehen gegen Einrichtungen des Staats“. Danach
wären Gott, Religion, Religionsgesellschaften als
Einrichtungen des Staats zu betrachten! Auch
die vom Vorentwurf vorgeschlagene Reihenfolge
und Rangordnung innerhalb der Verbrechen und
Vergehen gegen Einrichtungen des Staats ist be-
achtenswert: an der Spitze stehen die Vergehen
gegen die Wehrpflicht, dann folgen die „Ver-
gehen in Beziehung auf die Ausübung der
Religion“", dann Münzverbrechen und Münz-
vergehen usw. Also zuerst die großen Bataillone
und Kanonen, dann erst unser Herrgott und die
Religion!
Literatur. Unter den allgemeinen Werken über
Strafrecht u. Gesch. des Strafrechts sind von den
älteren namentlich Wächter, Jarcke, Roßhirt u. von
den neueren Schütze, Hälschner, Liszt, Binding zu
vergleichen. An Spezialliteratur über die Reli-
gionsdelikte ist hervorzuheben:
Zur Geschichte. Römisches Recht: Neu-
mann, Der röm. Staat u. die allg. Kirche bis Dio-
kletian (1890); Mommsen, Der Religionsfrevel
nach röm. Recht, in Sybels Histor. Zeitschr. 1890,
389; Conrat, Die Christenverfolgungen im röm.
Reich vom Standpunkt des Juristen (1897); Knel-
ler, Hat der röm. Staat das Christentum verfolgt?
in Stimmen aus Maria-Laach LV (1898); Weis,
Christenverfolgungen (1899); Mommsen, Röm.
Strafrecht (1899) 567/580, 595/611.
Deutsches Recht: Abegg, Das religiöse Ele-
ment in der peinlichen Gerichtsordnung, in Archiv
des krim. Rechts 1852, Beil., u. 1856, 369;
v. Maasburg, Zur Entstehungsgesch. der theresian.
Halsgerichtsordnung, mit bes. Rücksicht auf das
Religionsverbrechen.
622
crimen magiae (1880); Goltdammer, Materialien
zum preuß. Strafgesetzbuch II 262; ders., über den
Begriff der Gegenstände der Verehrung bei den
Vergehen, welche sich auf die Religion beziehen, in
Archiv für preuß. Strafrecht X (1862) 793; Waser,
Die Religionsstörung, in Österr. Gerichtszeitung
1853; Wahlberg, Die R. in den deutschen Straf-
gesetzbüchern, in Holtzendorffs Allg. Strafrechts-
zeitung 1861, Nr 18, 19.
Zum geltenden Recht. Vergleichung
der deutschen u. der ausländischen Ge-
setzgebung über R.: Bielogritz-Kotlarewssky,
Die Verbrechen gegen die Religion in den Haupt-
staaten des westl. Europa (1886); Kahl, Verglei-
chende Darstellung des deutschen u. ausländischen
Strafrechts, besonderer Teil, Bd III 1 ff.
Deutsches Reichsrecht: Wahlberg, Ver-
gehen, welche sich auf die Religion beziehen, in
Holtzendorffs Handbuch des deutschen Strafrechts
III (1874) 263; Meves, Das Reichsstrafgesetzbuch
in seinem Verhältnis zur Religion, in Gerichtssaal
XXVII (1875) 324; Villnow, Vergehen, welche sich
auf die Religion beziehen, ebd. XXXI (1879)
509 ff 579 ff; Wahlberg, Art. „R.“, in Holtzen-
dorffs Rechtslexikon (21881).
Lilienthal, R. u. Redefreiheit, in Deutsches
Wochenblatt 1888, Nr 29, 30; Weitbrecht, Was
ist's mit dem § 1667 (1889); Walker, Theorie der
Preßfreiheit u. der Beleidigungen (1889); Kohler,
Studien aus dem Strafrecht Hft 1 (1890) S. 160;
Bott, Lehre von den Religionsvergehen (1890);
Fuld, Die Gotteslästerung u. das Strafgesetzbuch,
in Archiv für Strafrecht XXXIX (1891) 142; E.
Vogtherr, Der Gotteslästerungsparagraph des deut-
schen R.St. G. B. u. seine Beseitigung (1891);
Walker, in Beyschlags Deutsche evang. Blätter
XVII (1892) 52; Wach, Beschimpfung von Reli-
gionsgesellschaften, in Deutsche Zeitschrift für Kir-
chenrecht II (1892) 161; Bauke, Zulässigkeit der
Notwehr gegenüber beleidigenden Außerungen sei-
tens des Geistlichen während des Gottesdienstes
(1894); Kahl, Lehrsystem des Kirchenrechts u. der
Kirchenpolitik (1894) 388 ff; Paul, Religion u.
Strafgesetz, in Kathol. Flugschriften zur Wehr u.
Lehr Nr 121 (1897); Blumensath, Die Religion
u. ihr strafrechtl. Schutz (1898); Pfleiderer, Die
Grenzen der Staatswirksamkeit auf religiösem Ge-
biet, in Deutschland 1902; Feder, Die Religions-
vergehen im deutschen Strafrecht, in Freies Wort
1904, 900 ff 950 ff; Jauck, über strafrechtl. Schutz
des religiösen Empfindens, in Zeitschrift für die
ges. Strafrechtswissenschaft XXIV (1904) 349;
Harder, Wie soll der § 166 umgestaltet werden?
in Christl. Welt 1905, 761; Hamm, Zur Straf-
bestimmung des § 166 St. G. B., in Deutsche Juri-
stenzeitung 1905, 273; Beling, Die Beschimpfung
von Religionsgesellschaften, religiösen Einrichtungen
u. Gebräuchen u. die Reformbedürftigkeit des
§ 166 St. G.B. (1905); Rissom, Die Beschimpfung
im Kampf der Konfessionen, in Deutsche Zeitschrift
für Kirchenrecht, 3. Folge XV (1905) 448; Rothe,
Gegen den Gotteslästerungsparagraphen, in Hefte
zur christl. Welt Nr 57 (1906); Vonschott, Be-
schimpfung der christl. Kirchen u. das deutsche Straf-
recht, in Archiv für kathol. Kirchenrecht 1906,
379; Kahl, Vergleichende Darstellung des deutschen
u. ausländischen Strafrechts (1906); Pfannkuche,
Gegen den Religionsschutz durch das Strafgesetz