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ergibt sich auch, daß private Repressalienübung
unter allen Umständen unstatthaft ist und der
Strafverfolgung durch den Staat je nach Gestalt
der für einen verbrecherischen Tatbestand begriffs-
wesentlichen Merkmale (Landfriedensbruch, Raub,
boshafte Sachbeschädigung usw.) unterliegt.
Die Anordnung von Repressalien fällt nicht
in den Wirkungzkreis der gesetzgebenden Körper-
schaften, sondern in jenen der vollziehenden Ge-
walt. Nun gibt es dreierlei Formen von Willens-
äußerungen derselben: Verordnungen des Staats-
oberhaupts, durch welches sich dieses selbst als be-
fehlend einführt; Verordnungen der Regierung,
die auf einer Entschließung des Staatsoberhaupts
beruhen, und einfache Regierungsverordnungen.
Unter die letztere Kategorie können Repressalien
schon wegen ihrer Folgenschwere für die auswär-
tigen Angelegenheiten nicht fallen, vielmehr gaben
sie die Natur von Verfügungen der obersten Voll-
zugsgewalt. Nach der Verfassung der Vereinigten
Staaten von Amerika ist dem Kongreß das Recht
vorbehalten, Repressalien zu beschließen. In der
Schweiz ist die Anordnung von Repressalien
Bundessache; im Deutschen Reich steht das Recht
von Repressalien dem Bunde zu, wenn das Reich
als solches betroffen erscheint, oder wenn ein ver-
letzter Bundesstaat dieselben beim Bund in An-
trag stellt.
Der Anlaß zu Repressalien ist gegeben, wenn
die Staatsgewalt oder die ihr Unterworfenen in
ihrer Rechtssphäre verletzt erscheinen und die
Mittel des ordentlichen Rechtsgangs zur Sühnung
einer offenbaren Widerrechtlichkeit entweder von
vornherein wirkungslos erscheinen oder erfolglos
geblieben sind. Daß die Rechtsverletzung gewalt-
am herbeigeführt wurde, ist nicht unbedingt er-
forderlich. Für eine von den Behörden oder
Untertanen eines Staats begangene Rechtswidrig-
keit kann dieser nur insoweit verantwortlich ge-
macht werden, als ihm Urheberschaft, Teilnahme
oder Begünstigung am Unrechtsakt nachgewiesen
ist, oder falls der Staat sich weigern sollte, die
Schuldigen zu bestrafen und zur Genugtuung zu
veranlassen. Den äußeren Anstoß zu Repressalien
werden, worauf schon die älteren, namentlich
englischen, Autoren hingewiesen haben, in vielen
Fällen Verweigerung der Prüfung, Feststellung
und Enischeidung rechtlicher Ansprüche, geflissent-
liche Verzögerung der Erledigung einer Be-
schwerde, Ablehnung der Erfüllung einer Ver-
tragspflicht bilden.
Repressalienmittel der Völkerrechtspraxis sind
hauptsächlich die Beschlagnahme gegnerischen
Staatseigentums, Ausweisung aller Angehö-
rigen des verletzenden Staats, selbst seiner Ge-
sandten und Konsuln, Lossagung von bestehenden
Verträgen, Unterbindung des Handels-
verkehrs und der Kommunikationen zu Wasser
und zu Land, vorläufige Verwahrungshaft
von Personen, welche im Dienst des unrechtüben-
den Staats stehen, ja selbst von Privatpersonen,
Repressalien.
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wenn den eignen Angehörigen von dem auswär-
tigen Staat widerrechtlich die Freiheit entzogen
wurde (Androlepsie). Unter derartigen Repres-
salienmaßregeln sind manche der Rechtslage unter
zivilisierten Staaten nicht mehr angemessen, ins-
besondere gilt dies von der Wegnahme fremden
Privateigentums und von der Entziehung der
persönlichen Freiheit. Eine Maßregel, wie sie
Friedrich von Preußen im. Streit mit der eng-
lischen Regierung 1752/56 zum Nachteil der eng-
lischen Gläubiger der schlesischen Anleihe als Ver-
geltung für die Wegnahme preußischer Handels-
schiffe durch englische Kaper zur Anwendung ge-
bracht hat, würde gegenwärtig, abgesehen von der
einmütigen Mißbilligung der öffentlichen Mei-
nung, einer Regierung bei der eignen Bevölke-
rung Verlegenheiten bereiten. Als im Juli 1853
die Russen die Hauptstädte der Moldau und Wa-
lachei besetzten, angeblich pfandweise in Ausübung
eines Repressalienakts, der an dem Friedenszustand
nichts ändere, erklärte Frankreich in der Zirkular-
note vom 15. Juli, man stehe vor einem Krieg,
dessen wahren Namen man nur nicht aussprechen
und den man durch die Repressalientheorie ver-
schleiern wolle. Am 9. Jan. 1854 schrieb Na-
poleon III., man werde der angeblich pfandweisen
Besetzung der Donaufürstentümer gegenüber an
russischen Schiffen im Schwarzen Meer ein Gegen-
pfand zu erlangen trachten. Auch Großbritannien
bekannte sich zu dieser Repressalienpraxis durch
Pfandnahme, indem durch ordre in council
vom 29. März 1854 gegen russische Fahrzeuge
und Schiffsgüter general reprisals angeordnet
wurden.
Mittel, die, weil in Tendenz und Anwendung
militärischer Natur, sich für Repressalienzwecke gut
eignen, sind besonders das Embargo (vom
spanischen embargar — sperren) und die Mer-
tantilblockade. Bei Verletzungen des Völker-
seerechts ist es nicht ausgeschlossen, daß der be-
leidigte Staat über Schiffe des gegnerischen
Staats in seinem Seebereich bei Verweigerung
von Genugtuung und Schadenersatz die vorläufige
Beschlagnahme verhängt. So wurden 1886 in
Kanada amerikanische Fischerboote durch eng-
lische Fahrzeuge anläßlich des Robbenfangstreits
arrestiert. Der Grundsatz der Befreiung des
Privateigentums von Beschlagnahme, evtl. Weg-
nahme, ist im Seerecht nicht unbedingt anerkannt,
daher sich auch Theorie und Praxis in der Mei-
nung begegnen, daß Repressalien in Form des
Embargo auch am Privateigentum geübt werden
dürfen. Wird der Repressalienfall gütlich bei-
gelegt, so ist die Beschlagnahme aufzuheden, wäh-
rend im entgegengesetzten Fall die verfügte Be-
schlagnahme aufrecht bleibt, die Veräußerung des
Guts oder eines Teils desselben veranlaßt und
der Erlös bis zur Höhe des Schadens zur Deckung
desselben verwendet wird. Im übrigen kann gleich
andern Repressalien das Embargo nur von der
obersten Staatsgewalt oder in deren Ermächtigung