Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

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schärfsten Repressalien androhen (Proklamation 
der Befehlshaber der deutschen Armeen in Frank- 
reich vom 13. Aug. 1870, vgl. Archives diplo- 
matiques 1871/72, 358; Proklamation des 
Generals v. Werder vom 10. Dez. 1870, vol. 
Arch. dipl. 1163; Zirkularnote des Grafen Bis- 
marck vom 9. Jan. 1871, vgl. Arch. dipl. 1322; 
Zirkularnote des französischen Ministers des 
Außern de la Tour d'Auvergne vom 31. Aug. 
1870, Repressalien gegen die deutsche Landwehr 
und den Landsturm androhend, vgl. Arch. dipl. 
436; Schreiben des Generals v. Werder vom 
4. Juni 1871, vgl. Revue de droit internatio- 
nal 1871, 310 u. a.). — Während des letzten 
russisch-türkischen Feldzugs wurden im Schipka- 
paß russische Abteilungen unter Mißbrauch des 
Genfer Abzeichens in den Hinterhalt gelockt. Die 
russische Armeeleitung drohte mit Repressalien. 
Nach der Beschießung von Alexandrien am 11. und 
12. Juli 1882 und der Besetzung der verwüsteten 
Stadt durch die Engländer proklamierte Admiral 
Seymour wegen der von ägyptischen und arabi- 
schen Horden in Alexandrien, Kairo, Damanhour, 
Tantah, Mihalla verübten Metzeleien und Plün- 
derungen das Repressalienverfahren. 
Literatur. Mas Latrie, Droit de marque 
ou droit de représailles au moyen-age (1866); 
ferner die Handbücher des Völkerrechts, besonders 
von Woolsey, Calvo, Fiore, Carnazza-Amari, Ull- 
mann, Rivier, Wharton bei Holtzendorff, Hand- 
buch IV; Falcke, Die Hauptperioden der sog. fried- 
lichen Blockade 1827/50 (1891); Fauchille, Du 
Blocus maritime (1882); Ducrocq, Représailles 
en temps de paix (1901). 
[Lentner, rev. Ebers.]) 
Republik. In früheren Zeiten hat man 
das Fremdwort Republik mit Freistaat oder mit 
Gemeinwesen übersetzt, ohne doch damit zu der 
bestimmten Bezeichnung einer besondern Staats- 
form zu gelangen. Der Name Freistaat drückte 
nur den Gegensatz gegen die Herrschaft eines ein- 
zelnen aus, und unter Nachwirkung antiker Vor- 
stellungen dachte man dabei wohl an die Freiheit 
von einem absoluten Monarchen; aber es fehlte 
durchaus die Angabe, wo nun der Träger der 
Staatsgewalt zu suchen und wie es mit der Frei- 
heit der Bürger bestellt sei. Dagegen geht der 
Name Gemeinwesen überhaupt nicht auf die Art 
der Verfassung, sondern auf den Begriff vom 
Zweck und der Aufgabe des Staats, daß er näm- 
lich nicht das Mittel für die Interessen und Ab- 
sichten der jeweils Regierenden und lediglich der 
Willkür dieser unterworfen sein dürfe, sondern als 
ein die sämtlichen Glieder umfassender und berück- 
sichtigender Organismus das Recht der Bürger 
anzuerkennen und die Wohlfahrt aller zu fördern 
habe. In diesem Sinn hat Kant zwischen Repu- 
bliken und Despotien unterschieden. Republikanisch 
sind nach seiner Auffassung diejenigen Staaten, in 
welchen die Untertanen zugleich Staatsbürger sind, 
d. h. zur Gesetzgebung mitwirken, Despotien da- 
gegen diejenigen, in denen die Untertanen keine 
Staatslexikon. IV. 3. u. 4. Aufl. 
Republik. 
  
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öffentlichen Rechte besitzen. Der „erste Definitiv- 
artikel zum ewigen Frieden“ lautet: „Die bürger- 
liche Verfassung in jedem Staat soll republikanisch 
sein.“ Monarchie und Republik bilden hiernach 
keinen Gegensatz, und weder Aristokratien noch 
Demokratien sind als solche schon Republiken. 
Kant ist sogar der Meinung, daß die Demokratie 
„notwendig ein Despotismus ist“ und unmöglich 
zu der vernunftgemäßen Verfassungsform gelangen 
kann, „weil alles da Herr sein will“. 
In der Gegenwart versteht man unter Republik 
ganz allgemein die Staatsform, in welcher nicht 
eine einzelne Person, sondern eine Vielheit Träger 
der Staatsgewalt ist; die Zweideutigkeit aber, 
welche unentschieden ließ, ob es sich dabei um eine 
aristokratische oder demokratische Republik handelt, 
ist darum tatsächlich nicht mehr vorhanden, weil 
es Aristokratien nicht mehr gibt und voraussicht- 
lich auch nicht mehr geben wird (vgl. Art. Aristo- 
kratie Bd I. Sp. 362). Dagegen würde eine Ein- 
teilung der Staatsformen, welche der Monarchie 
als der einen Gattung die Republik als die andere 
gegenüberstellte und sodann als die beiden Arten 
dieser letzteren Aristokratie und Demokratie unter- 
schiede, wissenschaftlich nicht genügen, weil sie 
weder der Eigenart der verschiedenen Formen noch 
dem Grad ihres Unterschieds voneinander gerecht 
würde. Geht man davon aus, daß in Monarchie 
und Aristokratie die Träger der Staatsgewalt aus 
eignem Recht herrschen, in der Demokratie dagegen 
kraft der ihnen vom Volk gegebenen Vollmacht, 
so ist dieser Unterschied zweifellos viel größer als 
der andere, daß die Herrschaft in der Monarchie 
von einer einzelnen Person, in der Aristokratie 
von einer privilegierten Klasse ausgeübt wird. 
Monarchie und Aristokratie erscheinen sonach näher 
miteinander verwandt als die beiden republikani- 
schen Verfassungen unter sich. Die Aristokratie ist 
stets von bestimmten geschichtlichen Voraussetzungen 
abhängig, und ihr Bestand ist an die Fortdauer 
derselben geknüpft; eine Demokratie dagegen läßt 
sich jederzeit machen, und für moderne Staaten- 
gründungen wird sie sich in der Regel als die 
nächstliegende und der Vernunft am meisten ein- 
leuchtende Verfassungsform empfehlen. Eines aber 
ist allerdings beiden Formen gemeinsam. Der 
maßgebende Begriff nicht bloß der demokratischen, 
sondern auch der aristokratischen Republik ist die 
Gleichheit, nur daß diese in der Aristokratie auf 
die Mitglieder der zur Herrschaft berufenen Klasse 
eingeschränkt ist. Keiner von denen, welche die 
Herrschaft in Händen haben, soll so weit über die 
andern hervorragen, daß er als die eigentliche 
Spitze oder gar als die persönliche Verkörperung 
des Staatsganzen erscheinen könnte. Daher in den 
alten aristokratischen Republiken die Einrichtungen, 
welche bestimmt waren, ein solches Uberragen eines 
einzelnen zu verhindern, daher aber auch jener 
Gleichheitsfanatismus, der sich in demokratischen 
Staaten oft genug entwickelt und tyrannisch gegen 
jede geistige Uberlegenheit oder individuelle Eigen- 
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