Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

653 
sie nicht den persönlichen Rechten des legitimen 
Herrschers zuwiderlaufen, gültig sind, aber gegen 
eine entsprechende Entschädigung rück- 
gängig gemacht (reszindiert) werden können. 
Es ist zum Gesamtwohl durchaus notwendig, daß 
jemand im Besitz der öffentlichen Gewalt und die 
Möglichkeit rechtsgültiger Verträge gegeben sei; 
das kann aber nur geschehen, wenn die faktische 
Regierung befugt ist, im Interesse der Gesamtheit 
gültige Verträge zu schließen. Vieles zum öffent- 
lichen Wohl Notwendige läßt sich nur auf dem 
Weg von Verträgen zwischen Regierung und 
Untertanen erreichen. Dergleichen von der fak- 
tischen Regierung eingegangene Verträge dürfen 
nach erfolgter Restauration nicht einfachhin als 
nichtbestehend ignoriert oder als ungültig ange- 
sehen werden; sonst würde sich zum schweren 
Schaden der Gesamtheit niemand zu Unterhand- 
lungen mit der tatsächlichen Regierung verstehen. 
Gilt das selbst unter Voraussetzung einer ab- 
soluten Regierung, dann um so mehr bei einer 
konstitutionellen Regierung, in der der Monarch 
nicht der alleinige Träger der öffentlichen Gewalt 
ist. Dagegen ist die neue, legitime Regierung be- 
rechtigt, aus Gründen des öffentlichen Wohls und 
gegen eine ausreichende Entschädigung derartige 
Verträge rückgängig zu machen. Denn in diesem 
Fall erleiden die Untertanen keine erhebliche Be- 
nachteiligung, und die Pflicht, an alle von dem 
illegitimen Zwischenherrscher abgeschlossenen Ver- 
träge, auch wenn sie dem Gesamtwohl wider- 
streiten, unwiderruflich gebunden zu sein, wäre 
für den Nachfolger eine ihm vom unrechtmäßigen 
Vorgänger auferlegte hemmende und drückende 
Last, die ihn an der gedeihlichen Verwaltung seines 
Amts sehr behindern könnte. Man kann auch 
sagen, daß die unrechtmäßige Regierung mit den 
Untertanen nur bedingungsweise dauernde, über 
die Zeit der Zwischenregierung hinaus rechts- 
gültige Verträge eingehen konnte, nämlich unter 
der Bedingung, daß die nachfolgende Regierung 
die abgeschlossenen Verträge nicht rückgängig 
mache (reszindiere). 
An der Hand des oben entwickelten Grund- 
satzes läßt sich auch die Frage entscheiden, ob der 
legitime Herrscher die vom Usurpator kontrahierten 
Schulden zu übernehmen verpflichtet sei. Die 
Privatschulden desselben zu bezahlen, kann er 
offenbar nicht gehalten sein; denn diese haften 
nicht am Amt, sondern an der Person des Kontra- 
henten, und weder die Gesamtheit noch der Re- 
präsentant hat dafür einzutreten. Die Schulden 
dagegen, welche der Zwischenherrscher im öffent- 
lichen Interesse, z. B. um irgend ein öffentliches 
Unternehmen ins Werk zu setzen, auf sich geladen, 
gehen auf den Nachfolger über gleich den andern 
sich auf Verträge gründenden Verpflichtungen; 
sonst würde sich der Staat durch fremdes Gut be- 
reichern. Man kann gegen die behauptete (be- 
dingte) Gültigkeit der Verträge des Zwischen- 
regenten nicht geltend machen, daß die Untertanen 
Restauration. 
  
654 
durch Eingehung solcher Verträge den Usurpator 
als rechtmäßigen Herrscher anerkennen, sich somit 
einer Rechtsverletzung gegen den legitimen Sou- 
verän schuldig machen würden. Die Untertanen 
fügen sich nur der tatsächlichen Notwendigkeit, 
ohne dem Usurpator ein Recht auf die Herrschaft 
zuzuerkennen. 
Das von Verträgen mit Untertanen Gesagte 
läßt sich auch auf Verträge mit auswärtigen 
Mächten anwenden, nur mit dem Unterschied, daß 
letztere von der restaurierten Regierung viel sel- 
tener werden rückgängig gemacht werden können 
als erstert. Der Verkehr und das gegenseitige 
Vertrauen unter den Staaten würde gehindert 
und erschüttert, wenn die mit bloß faktischen Re- 
gierungen abgeschlossenen Verträge mit dem Sturz 
derselben hinfällig würden. Auch läßt die Natur 
der internationalen Verträge viel seltener eine 
anderweitige Schadloshaltung des beeinträch- 
tigten Teils zu. Somit ist als allgemeine Regel 
festzuhalten, daß alle internationalen Verträge in 
Bezug auf Handel, Schiffahrt, Postwesen u. dgl. 
als rechtsgültig von der restaurierten Regierung 
anzuerkennen sind, es sei denn daß inzwischen 
ganz andere Umstände eingetreten seien. — Zur 
Vervollständigung der aufgezählten Rechtspflichten 
fügen wir noch den von den Rechtslehrern all- 
gemein aufgestellten Grundsatz hinzu, daß die re- 
staurierte Regierung keine Verordnungen mit rück- 
wirkender Kraft für die Zeit der Zwischenherrschaft 
erlassen kann, wenn es sich um Angelegenheiten 
handelt, die während der Zuwischenherrschaft 
zu regeln waren. Sie hat nur die Gewalt, die in 
den gegebenen Verhältnissen zum Gesamtwohl 
notwendig ist. Dazu gehört aber nicht das Recht, 
Verordnungen mit rückwirkender Kraft zu erlassen. 
Sie ist somit nicht befugt, auf Grund der alten 
Verfassung Nachforderungen von Steuern und 
Diensten zu verlangen. 
III. Politik. Bisher haben wir bloß die bei 
der Restauration in Betracht kommende Rechts- 
frage behandelt. Wesentlich hiervon verschieden 
ist die Frage der Politik, welches Verhalten die 
politische Klugheit der restaurierten Regierung 
zum Wohl der Gesamtheit und zur Befestigung 
ihrer eignen Herrschaft vorschreibe. Wir können 
diese Frage in Kürze erledigen, weil sie kaum eine 
allgemeine Entscheidung zuläßt, sondern von Fall 
zu Fall nach eingehender Prüfung der konkreten 
Umstände gelöst werden muß. Ein Grundsatz läßt 
sich jedoch immerhin auf Grund der Erfahrung 
als allgemeine Richtschnur hinstellen: handelt es 
sich um eine Restauration des Königtums nach 
einer revolutionären Periode, so ist nur eine volle 
und ganze Rückkehr zu den Rechtsgrundsätzen der 
christlichen Monarchie von Gottes Gnaden von 
nachhaltiger Wirkung. Halbheit und Unent- 
schiedenheit wird in einer solchen an den Nach- 
wehen politischer Stürme leidenden und nach Er- 
lösung seufzenden Epoche nur schädlich sein; sie 
wird die demokratischen Elemente mißmutig machen,
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.