Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

659 
behandeln als diejenigen anderer Staaten, der 
deutsche Zollsatz bis zu 100% erhöht werden und 
tarifmäßig zollfreie Waren unter der gleichen Vor- 
aussetzung einem Zoll bis zu 20% des Werts 
unterworfen werden (Deutsches Zolltarifgesetz vom 
18. Mai 1895). Gegen Angehörige von Staaten, Pl 
welche Deutsche hinsichtlich des Marktverkehrs 
schlechter behandeln als die Angehörigen anderer 
Staaten, können analoge Maßregeln durch den 
Bundesrat verfügt werden (Gewerbeordnung 864). 
Durch Anordnung des Reichskanzlers unter Zu- 
stimmung des Bundesrats kann bestimmt wer- 
den, daß, während grundsätzlich im Konkurs die 
Gleichberechtigung ausländischer mit inländischen 
Gläubigern anerkannt ist, als Retorsion eine Ab- 
weichung von diesem Grundsatz gegenüber aus- 
ländischen Gläubigern oder deren Rechtsnach- 
folgern stattfinde (Konkursordnung § 4). Zu 
Retorsionen führen nicht selten die Erschwerungen 
der Einwanderung zum Schutz der einheimischen 
Arbeit gegen fremden Wettbewerb. Auch der 
Ausschluß fremder Staatspapiere vom amtlichen 
Börsenverkehr und die Verschärfung des Paß- 
zwangs haben in letzter Zeit auf dem Retorsions- 
gebiet eine Rolle gespielt. Wiederholt haben auch 
die Schwierigkeiten, welche bezüglich des Trans- 
ports und der Durchfuhrsbewilligung von Leichen 
über die Zollgebühren entstanden, zu Retorsion 
oder doch deren Androhung Veranlassung geboten. 
Aus Anlaß eines solchen Vorfalls wurde grund- 
sätzlich anerkannt, daß bei Leichen exterritorialer 
Personen von jeder Zolleinhebung abzusehen sei. 
Betr. Literatur vgl. den Art. Krieg. 
(Lentner, rev. Ebers.) 
Reuß, zwei deutsche thüringische Fürstentümer, 
die in Reuß ältere Linie (Reuß-Greiz) und 
in Reuß jüngere Linie (Reuß-Schleiz-Gera) 
unterschieden werden. 
1. Geschichte. Vorzeitig war das reußische 
Ländergebiet dem Sorbenvolk gehörig. Otto I. 
unterwarf das Volk, führte das Christentum ein 
und gründete zunächst die Landgrafschaft Gera, 
welche später sein Nachfolger Otto III. (999) dem 
Kloster Quedlinburg verlieh. Im Lauf der Zeit 
bildeten sich noch andere Gaue und Grasschaften 
sowie einzelne unter besondern Vögten (daher noch 
heute die Bezeichnung Vogtland) stehende kleinere 
Gebiete, sog. Pflegen. Eine der ältesten der herr- 
schenden Familien war das Geschlecht der Vögte 
von Weida. Als deren Ahnherr wird urkundlich 
Erkenbert I. von Weida (1122) angeführt. 
Dessen Enkel Heinrich I., der Tapfere, traf die Be- 
stimmung, daß alle seine männlichen Nachkommen 
zu Ehren Kaiser Heinrichs VI. den einzigen 
Rufnamen Heinrich führen (seit 1688 wird 
zur genaueren Bezeichnung eine Nummer beigefügt, 
die ältere Linie zählt seit 16983 bis 100, die jüngere 
Linie beginnt je mit Ablauf des Jahrhunderts 
wieder mit I.). Heinrichs I. Nachkommen erwarben 
durch Fehden und Verheiratungen die Herrschaften 
Gera, Greiz, Hof und Plauen. 1244 trat der 
Reuß. 
  
660 
Vogt Heinrich IV. in den Deutschen Orden und 
hinterließ das gesamte Land seinen Söhnen. Diese 
teilten die ererbten Vogtlande und gliederten ihr 
Geschlecht endgültig in drei Linien, nämlich Weida 
(erloschen 1535), Gera (erloschen 1550) und 
auen. 
Die Linie Plauen wurde gestiftet von Hein- 
richs IV. Sohn Heinrich I. Seine Söhne Hein- 
rich der Böhme und Heinrich der Reuße stifteten 
die ältere und jüngere Linie Plauen. Heinrich der 
Böhme überließ sein Gebiet ungeteilt seinem älte- 
sten Sohn. Aus dessen Nachkommen war Heinrich 
von Plauen Hochmeister des Deutschen Ordens, 
ein anderer, Heinrich (XI.), wurde Lehnsherr der 
Burggrafschaft Meißen (1426) und nannte sich 
als solcher Heinrich I. Dessen Sohn, Heinrich II. 
(gest. 1446), verlor in einem Streit mit Kursachsen 
die Burggrafschaft Meißen an den Kurfürsten. 
Heinrichs II. Sohn, Heinrich III., mußte (1482) 
auf Grund kaiserlichen Beschlusses sein ganzes 
Vogtland gegen böhmische Ländereien an Sachsen 
abtreten; sein Nachfolger Heinrich V. erhielt jedoch 
die Erblande wieder zurück. Als 1550 die Linie 
Gera erlosch, erbte Heinrich V. sämtliche Lände- 
reien der geraschen Anverwandten; auch eroberte 
er (1553) Hof. Bei Belagerung der Pleißen- 
burg wurde er (1554) getötet. Da seine Söhne 
kinderlos starben, erlosch diese ältere Linie Plauen 
(1572).— Heinrich I. (der Reuße, so genannt 
wegen seines langen Aufenthalts in Rußland, 
gest. um 1300) war Stifter der jüngeren Linie 
Plauen. Zur Zeit des Schmalkaldischen Kriegs 
waren die Herren von Reuß-Plauen eifrige An- 
hänger der lutherischen Lehre und wurden deshalb 
ihrer Besitzungen für verlustig erklärt, erhielten sie 
jedoch später wieder zurück. 1564 gliederte sich 
das Geschlecht in drei Linien, die ältere, mittlere 
und jüngere Linie, die mittlere erlosch schon 1616. 
Die ältere Linie Reuß teilte sich in die 
Häuser Ober= und Untergreiz, Dölau, Rothenthal 
und Burg, die alle außer Obergreiz bis 1768 aus- 
starben. 1778 erhielt diese Linie (Heinrich XI.) 
den Reichsfürstentitel. Schon 1673 hatte das 
ganze Geschlecht Reuß die Reichsgrafenwürde er- 
halten. Unter den späteren Fürsten dieses Hauses 
ist zu erwähnen Heinrich XXII. (geb. 28. März 
1846, gest. 19. April 1902). Er stand 1856/67 
unter der Vormundschaft seiner antipreußisch ge- 
sinnten Mutter Karoline (geb. Prinzessin von 
Hessen-Homburg). Wegen der feindlichen Haltung 
der Fürstentümer gegen Preußen besetzten preußi- 
sche Truppen am 11. Aug. 1866 das Ländchen, 
das aber infolge des mit Preußen am 26. Sept. 
1866 abgeschlossenen Friedens nach Zahlung der 
Kriegskosten (100 000 Taler) dem Norddeutschen 
Bund beitrat. Heinrich XXII. gab dem Land eine 
neue Verfassung und führte mancherlei Reformen 
zum Wohl seiner Stammlande durch. Im Jahr 
1871 wurde er Bundesfürst des Deutschen Reichs, 
doch blieb er stets ein unversöhnlicher Gegner 
Bismarcks und der durch die Reichsgründung ge- 
 
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.