Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

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raums (s. d. Art. Malthus) die Kosten für den 
Hauptproduktionsfaktor der Arbeit, die Nahrung, 
steigende Tendenz aufweisen, wird, je mehr mit 
fortschreitendem Anbau der Erde dieses Gesetz sich 
geltend macht, der Kapitalsprofit sinken bis zu 
einem Punkt, an dem der Anreiz für weitere 
Kapitalsbildung aufhört. Hiermit geht die Nach- 
frage nach Arbeit zurück, und ihr Marktpreis sinkt 
so lang unter den natürlichen Preis, bis durch 
Hunger und andere repressive shocks das 
Arbeitsangebot eingedämmt ist. Diesem Übelstand 
kann nur durch Einschränkung der Kinderzeugung 
vorgebeugt werden. 
Kapitalsprofit. Ricardo versteht hierunter, 
wie die meisten Engländer, in der Regel Kapital- 
zins und Unternehmergewinn. Über seinen Ur- 
sprung äußert er sich nur flüchtig an einzelnen 
Stellen; er läßt ihn als Entschädigung der Ka- 
pitalbesitzer, die ihr Kapital der Produktion zur 
Verfügung stellen und damit auf den unmittel- 
baren Genuß desselben verzichten, entstehen. Die 
Höhe des Kapitalgewinns wird direkt nur durch 
die Lohnhöhe, durch diese aber auch von seiten der 
Grundrente bestimmt. Die Summe vom Kapital- 
gewinn und Arbeitslohn wird, wie oben gezeigt, 
durch den Ertrag der mindestergiebigen Kapitals- 
anlage bestimmt, denn diese zahlt keine Grund- 
rente. Der Anteil des Arbeitslohns an diesem 
Ertrag ist durch das Lohngesetz bestimmt, der ver- 
bleibende Ertrag fällt den Kapitalisten zu. Die 
mit zunehmender wirtschaftlicher Entwicklung stei- 
gende Grundrente teilt, wie gezeigt, diese Tendenz 
auch dem Arbeitslohn mit, der steigende Lohn läßt 
die Profitrate sinken. Wo die notwendige Grenze 
des sinkenden Kapitalzinses liegt, wurde oben ge- 
sagt, ebenso daß durch Verbesserungen in der 
Produktionstechnik zeitweise, aber nie auf die 
Dauer diese Tendenz zum Stillstand gebracht 
werden könne. 
Wirtschaftspolitik. Ricardo hat seiner 
Theorie der Nationalökonomie kein wirtschafts- 
politisches System zur Seite gestellt. Was wir 
von ihm an wirtschaftspolitischen Außerungen be- 
sitzen, sind Erörterungen der zu seiner Zeit in 
England im Vordergrund des Interesses stehenden 
wirtschaftspolitischen Probleme. Sie betreffen in 
erster Linie die Handels= und die Finanzpolitik. 
Ricardo bekennt sich als Anhänger des Frei- 
handels. Das Merkantilsystem, das die Waren- 
preise am heimischen Markt durch das Verbot des 
fremden Wettbewerbs heben wollte, habe den Ka- 
pitalsstrom auch nach minder ergiebigen Rich- 
tungen gelenkt, die er sonst nicht eingeschlagen 
hätte und hierdurch den Gesamtbetrag der pro- 
duzierten Güter vermindert. Dasselbe gelte von 
der Politik, irgend einen Zweig der heimischen 
Produktion durch Prämien kräftigen zu wollen. Be- 
kannt ist ferner Ricardos scharfer Angriffau# dieeng- 
lische Armengesetzgebung: „Das Gravitationsgesetz 
ist nicht gewisser als die Tendenz dieser Gesetze, 
Wohlstand und Macht in Schwäche und Elend 
  
Ricardo. 
  
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zu verwandeln, die Arbeitstätigkeit von allem, mit 
Ausnahme des zur Beschaffung der bloßen Sub- 
sistenzmittel Notwendigen abzulenken, alle gei- 
stigen Unterschiede zu vernichten und die Gedanken 
fortwährend mit den leiblichen Bedürfnissen zu 
beschäftigen, bis schließlich alle Klassen mit der 
Plage allgemeiner Armut behaftet wären.“ Gegen- 
über diesen scharf ausgesprochenen Anschauungen 
verschlägt es wenig, wenn Ricardo unter gewissen 
Umständen für gewisse Zeiträume Zollschutz zu- 
läßt, um den Übergang der Kapitalien von minder 
ergiebigen in ergiebigere Produktionszweige zu 
erleichtern, oder wenn er im Parlament für staat- 
liche Unterstützung des Baues von Arbeiter- 
wohnungen, ja sogar für staatliche Alterspen- 
sionskassen spricht (18. Febr. 1822). 
Finanzpolitik. Ricardo unterscheidet 
Steuern, die vom Jahreseinkommen, und solche, 
die vom Kapital gezahlt werden. Alle nicht über- 
wälzbaren Kapitalsabgaben, wie Erbschaftssteuern, 
Vermögensübertragungs-, Registrierungsgebühren 
usw. erklärt er als unbedingt verwerflich, da sie 
einerseits die Menge des zur Produktion verfüg- 
baren Kapitals schmälern, anderseits den freien 
Kapitalsverkehr, der stets in der Richtung nach 
der ergiebigsten Kapitalsverwendung strebe, er- 
schweren. Bei der Beurteilung der vom Einkom- 
men erhobenen Steuern ist ihre Überwälzbarkeit 
von Wichtigkeit. Steuern auf die Grundrente 
treffen unter allen Umständen die Grundbesitzer, 
wenn sich die Rente feststellen läßt, dafür kann 
aber die Grundrente durch Überwälzung anderer 
Steuern auch nicht getroffen werden. Alle Ertrags- 
steuern sind abwälzbar und führen in letzter Linie 
ebenso wie Steuern auf den Arbeitslohn zu einer 
Verminderung der Profitrate. Aus dem eingangs 
Gesagten ergibt sich auch, daß Ricardo ein Gegner 
der staatlichen Aufwandsbedeckung durch Schulden 
sein muß, ja er hält sogar die Tilgung der be- 
stehenden Staatsschulden durch Übertragung der- 
selben auf die Steuerträger (funding system) 
für durchführbar und wünschenswert. In seinen 
währungs= und bankpolitischen Schriften zeigt er 
sich als strenger Metallist und Anhänger der 
currency-Theorie (s. d. Art. Banken, Sp. 579). 
Nur jederzeit metallisch einlösbare Banknoten in 
fest begrenztem Ausmaße sollen ausgegeben, die 
Ausgabe am besten vom Bankgeschäft losgelöst und 
einer staatlichen Kommission übertragen werden. 
IV. Will man die Stellung von Ricardos Sy- 
stem in der Geschichte der Nationalökonomie er- 
fassen, so gilt es einerseits, dasselbe aus seiner Zeit 
heraus zu begreifen, anderseits seine Fort“- und 
Auswirkung bis auf unsere Zeit zu verfolgen. 
Beides kann hier nur andeutungsweise geschehen. 
Die Voraussetzungen der Ricardoschen Wirt- 
schaftstheorie sind die von den Physiokraten und 
Adam Smith übernommenen rationalistisch natur- 
rechtlichen Doktrinen und die durch Robert Mal- 
thus im Kampf mit den englischen Frühsozialisten 
entwickelten Wirtschaftsgesetze. Erstere teilt er mit
	        
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