Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

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1879; Bayern vom 26. März 1881; Sachsen 
vom 20. März 1880; Württemberg vom 28. Juni 
1876, 27. Juni 1879; Baden vom 24. Juli 
1888; Hessen vom 31. Mai 1879; Elsaß-Loth- 
ringen vom 23. Dez. 1873. Für die Mitglieder 
des Reichsgerichts sind die hierher gehörigen Vor- 
schriften in den §88 128 und 129 des G.V.G. und 
für die richterlichen Militärjustizbeamten in der 
Militärstrafgerichtsordnung und dem Gesetz betr. 
die Dienstvergehen der richterlichen Militärjustiz- 
beamten usw. vom 1. Dez. 1898 enthalten. — 
Diese Disziplinargesetze regeln außerdem die im 
Interesse einer geordneten Ausübung der Gerichts- 
barkeit erforderliche Aufsicht über die richterlichen 
Beamten, insbesondere inwieweit zur ordnungs- 
mäßigen und rechtzeitigen Erledigung der Ge- 
schäfte den Aufsichtspersonen das Recht der Mah- 
nung, Rüge, Geldstrafe zusteht, und welcher 
Rechtsbehelf den Richtern gegen die Verhängung 
dieser Maßregeln gegeben ist. In diesen Rich- 
tungen bestehen unter den einzelnen Disziplinar- 
ISschen noch mannigfache und weitgehende Unter- 
iede. 
III. Als Anklang an längst vergangene Zeiten 
stellt es sich dar, daß die schwedischen Grundgesetze 
die Rechtsprechung als einen Teil der Königs- 
gewalt betrachten und danach der König das Recht 
hat, an allen Entscheidungen teilzunehmen, welche 
von dem höchsten Gerichtshof ergehen. Der König 
hat dabei nur zwei Stimmen, kann also über- 
stimmt werden. Hat der höchste Gerichtshof eine 
Gesetzesauslegung vorzunehmen, so muß die Sache 
bei dem König angemeldet werden, und es sind 
seine Stimmen einzuholen, auch wenn er nicht 
persönlich am Gericht teilnimmt. Auch sind die 
Urteile des höchsten Gerichtshofs im Namen des 
Königs gesprochen, mit seiner Unterschrift und 
seinem Siegel ausgefertigt. Im übrigen findet 
nirgends mehr in zivilisierten Staaten eine per- 
sönliche Mitwirkung des Staatsoberhaupts beie 
der Rechtsprechung statt. In Rußland ist die Ka- 
binettsjustiz im Jahr 1864 aufgehoben worden. 
Fast alle Staaten fordern besondere Nachweise 
für die Befähigung zum Richteramt. Dieser 
Nachweis wird teils durch die Ablegung eines 
besondern rechtswissenschaftlichen Examens und z 
darauf folgende Vorbereitung mit nachfolgendem 
praktischem Befähigungsnachweis erbracht, teils 
durch die Erwerbung des Grads eines Doktors 
der Rechte (Belgien). In Italien findet sich die 
Vorschrift, daß je nach dem Ausfall der Prü- 
sungen die Befähigung früher oder später zu- 
erkannt wird. Fast überall werden für das Auf- 
steigen in die höheren Richterstellen besondere 
Bedingungen aufgestellt; so in Belgien ein be- 
stimmtes Lebensalter und die Ausübung der rich- 
terlichen Tätigkeit in dem voraufgehenden Amt 
(so auch in Rußland), wo die Ausübung der 
advokatorischen Praxis oder der Tätigkeit eines 
Rechtslehrers während einer bestimmten Zeit die 
Ausübung des Richteramts ersetzt. In Italien, 
Richter. 
  
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wo das Amt des für jede Gemeinde zu ernennen- 
den Friedensrichters ein Ehrenamt ist, und in 
Rußland wird für dieses Amt keine spezielle Vor- 
bildung verlangt; in letzterem Staat aber Gym- 
nasialbildung und ein bestimmter hoher Zensus. 
Dort wo die Richter nicht vom Staatsoberhaupt 
ernannt, sondern wo sie vom Volk gewählt werden 
(Schweiz, Einzelstaaten der nordamerikanischen 
Union), wird auch keinerlei juristische Vorbildung 
gefordert. Auch für die Bundesgerichte der Ver- 
einigten Staaten von Amerika wird eine besondere 
Qualifikation der Anzustellenden nicht verlangt, 
obgleich hier keine Wahl durch das Volk, sondern 
Anstellung durch die berufenen Organe der Staats- 
gewalt stattfindet. 
Von den bereits erwähnten Ausnahmen ab- 
gesehen, erfolgt fast ausnahmslos die Anstellung 
der Richter durch das Staatsoberhaupt. Bei 
Beförderungen in höhere Richterstellen finden sich 
Besonderheiten in Belgien, wo insoweit ein Vor- 
schlagsrecht der Appellhöfe und Provinzialräte 
stattfindet; die Präsidenten und Vize(Kammer-) 
präsidenten des Kassationshofes und der Appell- 
höfe werden in Belgien von diesen Gerichts- 
behörden aus ihrer Mitte gewählt. In Portugal 
findet eine Beförderung in ein höheres Richter- 
amt nur auf Grund des Gutachtens des höchsten 
Gerichtshofs statt, eine Maßnahme, in der eine 
Garantie für die Unabhängigkeit der Gerichte er- 
blickt wird. 
Die Unabhängigkeit des Richterstands ist ähn- 
lich wie in Deutschland fast in allen zivilisierten 
Staaten durch besondere Verfassungs= bzw. Ge- 
setzesbestimmungen gewährleistet. Nur Italien ist 
in dieser Beziehung zurück, indem es den presori, 
d. h. den Amtsrichtern, überhaupt nicht und den 
übrigen Richtern erst nach dreijähriger Dienstzeit 
Unabsetzbarkeit zusichert; aber auch diese ist noch 
unsicher, indem aus Gründen dienstlicher Zweck- 
mäßigkeit die Versetzung verfügt werden kann. 
In der Schweiz und den Einzelstaaten der nord- 
amerikanischen Union werden die Richter über- 
haupt nur auf Zeit gewählt. In vielen Staaten 
ist für die Amtstätigkeit eine Altersgrenze gesetzt, 
sei es einheitlich für alle richterlichen Amter, 
B. in Dänemark mit 65, in Italien mit 
75 Jahren, oder aber verschieden nach den ver- 
schiedenen Instanzen, z. B. in Belgien, wo für die 
Richter an den Untergerichten ein Alter von 70, 
an den Appellhöfen von 72 und am Kassationshof 
von 75 Jahren als Altersgrenze, mit dem sie 
emeritiert werden sollen, gesetzt ist. Überall findet 
sich, daß in solchen Fällen das volle Gehalt zu 
belassen ist. Das Disziplinarverfahren ist ebenfalls 
fast überall richterlichen Behörden übertragen. 
Literatur. Birkmeyer, Enzyklopädie der 
Rechtswissenschaft; Laband, Das Staatsrecht des 
Deutschen Reichs; Marquardsen, Handbuch des 
öffentlichen Rechts; Schröder, Deutsche Rechts- 
geschichte; Stengel, Wörterbuch des Verwaltungs- 
rechts, Art. „R.“; Schulze-Gävernitz, Preußisches
	        
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