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doctrinae cdeconomico-politicae apud Graecos
primordiis dissertatio 1 (behandelt Herodots
und Thucydides' volkswirtschaftliche Ansichten).
— 1871 folgt eine Betrachtung über „die geo-
graphische Lage der großen Städte“, 1872 eine
Abhandlung „Unsere Beamtenwohnungen"“ (bei
der Wichtigkeit der Wohnungsfrage möge die
französische Kriegskontribution neben Zwecken der
Landesverteidigung für die Schaffung von Be-
amtenwohnungen verwandt werden), 1874 die
„Geschichte der Nationalökonomik in Deutsch-
land“, eine Glanzleistung (über 1000 Autoren
werden nach ihrem Lebensgang und ihren Schriften
besprochen). Das Jahr 1875 bringt zwei Arbeiten:
„Der neuere Umschwung in der englischen An-
sicht vom Wert des Bauernstands“ und „Die
Stellung der Juden im Mittelalter, betrachtet
vom Standpunkt der allgemeinen Handelspolitik“.
Mit dem neuen Jahrzehnt (1881) erscheint der
dritte Band des „Systems“: „Die National-
ökonomik des Handels und Gewerbefleißes“; dar-
auf (1884) der „Versuch einer Theorie der Finanz-
regalien“ (in den Abhandl. derphilos.-histor. Klasse
der Kgl. Sächs. Gesellsch. der Wissensch.) und
1886 das „System der Finanzwissenschaft“". So
geht Roschers Lebenswerk, das „System der Volks-
wirtschaft“, dem Abschluß entgegen. Wieder zieht
es Roscher zur Politik. 1888 läßt er die „Um-
risse zur Naturlehre des Cäsarismus“, 1889 die
„Umrisse zur Naturlehre der absoluten Monarchie"
und 1890 die „Umrisse zur Naturlehre der Demo-
kratie"“ neu erscheinen, um 1892 seine „Politik“,
geschichtliche Naturlehre der Monarchie, Aristo-
kratie und Demokratie zu edieren (in 6 Büchern:
I. Die Monarchie im allgemeinen. II. Die Ari-
stokratie. III. Die absolute Monarchie. IV. Die
Demokratie. V. Plutokratie und Proletariat.
VI. Cäsarismus). Die „Politik“ erschien 1908
in 3. Auflage. Am 4. Juni 1894 starb Roscher.
Sein Sohn gab den fast druckfertigen Schlußband
des „Systems“: „Armenpflege und Armenpolitik“,
noch im Okt. 1894 heraus, der 1906 in 3. Auf-
lage erschien. Vgl. dazu die gedrängte, chrono-
logische Ubersicht der Werke Roschers und deren
Ausgaben am Schluß des Artikels.
II. Roschers Lehre und Methode. a) Be-
reits in der Vorrede zu dem kleinen, epochemachen-
den „Grundriß zu Vorlesungen über die Staatswirt.
schaft“ (1843) äußert sich Roscher über Wesen,
Stellung und Wert der Nationalökonomik. Es
sei zwar auch für ihn die Frage, wie der National-
reichtum am besten gefördert werde, eine Haupt-
frage, aber sie „bildet keineswegs unsern eigent-
lichen Zweck“. Vielmehr ist nach Roscher die
Staatswirtschaft (im System I, 8 16 National-=
ökonomik, Volkswirtschaftslehre genannt) „die
Lehre von den Entwicklungsgesetzen der Volks-
wirtschaft“ (Grundriß § 3). Die Kameralien oder
Privatökonomik zerfallen in Landeskunde, Techno-
logie, Handelskunde, Forst- und Bergbaukunde
mit dem Zweck, den gegenwärtigen Zustand und
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die vorteilhafteste Betriebsart der verschiedenen
Haupterwerbszweige darzustellen (mit dem An-
spruch, „notwendiges Hilfsmaterial für die Staats-
wirtschaft“ zu sein). Während aber der Kameralist
es mit den Sachen selbst zu tun hat, interessieren
den Staatswirt die Sachen nur insofern, als sie
auf menschliche, insbesondere politische Verhältnisse
einwirken (a. a. O. 8 3, 1). Handelt es sich weiter-
hin um das Verhältnis der Staatswirtschaft zu
den andern Staatswissenschaften (a. a. O. 8 3, 2),
so erweist sich die Staatswirtschaft als ein beson-
ders wichtiger und deshalb besonders detailliert
ausgearbeiteter Teil der Politik (der Lehre von
den Entwicklungsgesetzen des Staats überhaupt).
(In dem System I, 8 17 sind die termini zum
Teil verändert. Auch hier ist die Staatswirtschafts-
lehre „formell ein Teil der Politik, materiell fällt
ihr Gegenstand fast gänzlich mit der National-
ökonomik zusammen. Daher auch so viele Schrift-
steller Staats= und Volkswirtschaftslehre synonym
gebrauchen.“) Ahnlich verhält sich zur Politik das
Völkerrecht als die „ausführlichere Darstellung der
auswärtigen Staatsverhältnisse“. Wichtige Unter-
abteilungen dieser Zweige sind Finanzwissenschaft
und Diplomatik (vgl. System I, § 17). (Die
Finanzwissenschaft gehört ihrem Zweck nach zur
Politik, nach ihren Mitteln aber zur National-
ökonomik.) Ist Polizei für Roscher „die zu un-
mittelbarem Schutz der äußern Ordnung bestimmte
Staatsgewalt“, so ist „die Polizeiwissenschaft
ebensowohl eine Seite der vorzugsweise sog. Politik
(Rechtspolizei) als der Staatswirtschaft (Handels-
polizei, Wegepolizei usw.) und des Völkerrechts
(Fremdenpolizei)“. (Näheres s. System I, § 17.)
Während nun „die genannten Wissenschaften aus
allen Zeiten und Völkern die Entwicklungsgesetze
des Staats vermitteln, ist die Statistik eine Dar-
stellung der gegenwärtigen Staaten nach Anlei-
tung dieser Gesetze“. (System I, § 17: Schilde-
rung des zuständlichen, besonders gegenwärtigen
Volkslebens nach Maßgabe der Entwicklungs-
gesetze, welche von den theoretischen Wissenschaften
beobachtet werden, gleichsam der Querschnitt des
Stromes — stillstehende Geschichte nach Schlözer.)
Den Wert der Staatswirtschaft anlangend,
so ist sie „notwendig zu jedem gründlichen Urteil
über den Staat, zumal in unsern Zeiten“. Da-
gegen ist zu warnen „vor einseitiger Überschätzung
der materiellen Interessen“. Die politische und
die ökonomische Seite der Wissenschaft sind gleich-
sehr hervorzuheben (Grundriß § 3, 3). Im „Sy-
stem“ heißt es darüber ausführlicher: Die National-
ökonomik beschäftigt sich vorzugsweise mit den
materiellen Interessen der Völker: auf welche Art
namentlich die Bedürfnisse der Nahrung und Klei-
dung, der Wohnung und Feuerung, des Ge-
schlechtstriebs usw. von den Völkern befriedigt
werden, wie diese Befriedigung auf das Ganze
des Volkslebens einwirkt und vom Ganzen wieder
bestimmt wird. Hiermit ist die richtige Schätzung
der Volkswirtschaft und der Volkswirtschaftslehre