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niert, und deren Resultate dankbar zu nutzen sucht.
Desto näher steht sie den Methoden von Malthus
und Rau. Soweit ich entfernt bin, diesen Weg
zur Wahrheit für den einzigen, aber auch nur
absolut kürzesten zu halten, so zweifle ich doch
ebensowenig, daß er durch eigentümlich schöne und
fruchtbare Gegenden führt und, einmal gehörig
ausgebaut, niemals ganz wird verlassen werden“
(Grundriß, Vorrede).
Die „historische Methode" von der „philosophi-
schen (idealistischen)“ abgrenzend, gibt Roscher
(schon im Grundriß, Einleitung) weitere Andeu-
tungen: Wie der Historiker die menschlichen Ent-
wicklungen und Verhältnisse möglichst getreu dem
wirklichen Leben nachgebildet schildert, so ist dem
politischen Triebe der Menschen mittels Ver-
gleichung aller bekannten Völker nachzuforschen,
das Gleichartige aber in den verschiedenen Volks-
entwicklungen als Entwicklungsgesetz darzustellen
mit dem höchsten Ziel, die politischen Resultate
der Menschheit in wissenschaftlicher Verarbeitung
fortzupflanzen (Grundriß, Einleitung; betr. die
notwendige Ergänzung der Schilderung und
Vergleichung durch die Beobachtung f. System
I, §26). Gegenüber der bloßen Abstraktion der
(im System I so genannten) „idealistischen Me-
thode“ ist dabei zu betonen, daß „die Abstraktion,
als wenn alle Menschen gleich wären, bloß durch
Erziehung, Lebensstellung usw. verschieden, alle
gleich sehr, mit gleicher Geschicklichkeit und Frei-
heit auf wirtschaftliche Produktion und Kon-
sumtion gerichtet“, nur „als ein unentbehrliches
Stadium in den Vorarbeiten des Nationalökono-
men gelten“ darf (System I, § 22). Im übrigen
„muß unsere Wissenschaft“, in der „es gegen-
wärtig“ eben darauf ankommt, „die Beobachtungen
zu erweitern, zu vertiefen und vielseitiger zu kom-
binieren“, „wenn sie von Menschen handelt, die-
selben so nehmen, wie sie wirklich sind, von sehr
verschiedenen, auch nicht wirtschaftlichen Motiven
zugleich bewegt, einem ganz bestimmten Volk,
Zeitalter, Staat angehörig u. dgl. mehr. Es lassen
sich (nämlich) bei jeder Wissenschaft, welche sich
mit dem Volksleben beschäftigt, zwei Hauptfrage-
stellungen unterscheiden: Was ist? (Was ist
gewesen? Wie ist es so geworden? usw.) und
Was soll sein? — je nach dem entschiedenen
der einen oder der andern Fragestellung zeigt sich
der Gegensatz der (realistischen) physiologischen
oder geschichtlichen und der idealistischen
Methode“ (System I, 8 22).
Bei der letzteren weiter verweilend (System 1,
§ 23) führt er an, man müsse staunen über die
Veränderlichkeit dessen, was die Menschen zu ver-
schiedenen Zeiten von der Volkswirtschaft (vom
Staat, Recht usw.) begehrt — aber auch über „die
ungeheuern Verschiedenheiten, ja Widersprüche in
dem, was die Theoretiker als wünschenswert und
notwendig bezeichnen. Fast kein erheblicher Punkt,
wo sich nicht die gewichtigsten Autoritäten für und
wider anführen ließen“". — „Ohne Zweifel (a. a. O.
NRoscher.
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§ 25) sind nun die volkswirtschaftlichen Gesetze
und Anstalten um des Volkes willen da und nicht
umgekehrt. Ihre Wandelbarkeit ist daher an sich
durchaus kein Üübel, sondern sie ist löblich und
heilsam, insofern sie den Umwandlungen des Volks
selbst und seinen Bedürfnissen genau parallel läuft.
Die verschiedensten Idealschilderungen brauchen
daher nicht notwendig einander zu widersprechen;
eine jede von ihnen kann recht haben, natürlich nur
für ihr Volk, ihr Zeitalter.“ Der geschichtlichen
oder physiologischen Methode folgend, will Roscher
daher (a. a. O. 8 26) in der Theorie auf die Aus-
arbeitung solcher Ideale gänzlich verzichten. „Was
wir statt dessen versuchen, ist die einfache Schilde-
rung zuerst der wirtschaftlichen Natur und
Bedürfnisse des Volks, zweitens der Gesetze
und Anstalten, welche zur Befriedigung der
letzteren bestimmt sind, endlich des größeren oder
geringeren Erfolges, den sie gehabt haben.
Das sind lauter Dinge, die auf dem Boden der
Wirklichkeit stehen, welche mit den gewöhnlichen
Operationen der Wissenschaft bewiesen oder wider-
legt werden können, welche entweder schlechthin.
wahr oder schlechthin falsch sind und deshalb im
ersten Fall nicht wesentlich veralten. Wir gehen
hierbei auf ähnliche Art zu Werke wie die Natur-
sorscher. — Wir haben dabei von den Natur-
kundigen voraus, daß die Selbstbeobachtung des
Körpers sehr beschränkt, die des Geistes aber bei-
nahe unbeschränkt ist, — anderseits hat die Natur-
forschung es wieder bequemer. Will sie eine Gat-
tung kennen lernen, so kann sie Hunderte, ja
Tausende von Individuen und Experimenten dazu
benutzen. — Wieviel Völker stehen uns zur Ver-
gleichung offen? Desto unerläßlicher freilich, diese
wenigen alle zu vergleichen. Daß die Vergleichung
nicht imstande ist, die Beobachtung zu ersetzen,
versteht sich von selbst. Nur vielseitiger, an Ge-
sichtspunkten reicher soll die Beobachtung dadurch
werden."“
Diese Methode habe große praktische Erfolge:
Mit der völligen Durchführung dieser Methode
wird (System I, § 27) eine Menge von gerade be-
deutenderen Kontroversen als solche hinwegfallen.
— Der Irrtum besteht nämlich häufig nur darin,
daß Maßregeln, die unter gewissen Umständen
vollkommen heilsam, ja notwendig sind, nur un-
befugterweise auch unter ganz andern Umständen
durchgeführt werden sollen. Hier wird also eine
vollkommene Einsicht in die Bedingungen der
Maßregel den Streit zur Befriedigung beider
Parteien schlichten. Ein anderer sehr in die Augen
fallender Charakterzug (a. a. O. § 28) unserer
Methode besteht darin, daß sie der Selbstüber-
hebung entgegentritt, womit die meisten Menschen
verhöhnen, was sie nicht verstehen, und womit
namentlich die höheren Kulturen auf die niedern
herabschauen. Wer die Entwicklungsgesetze
der Pflanze kennt, der mag weder im Samenkorn
den Keim des Wachstums, noch in der Blüte den
Vorboten des Verwelkens übersehen“ (ogl. dazu