Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

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tion, standen unter ihrem Einfluß. Die Décela- 
ration des Droits de l'hommse et du citoyen 
vom 26. Aug. 1789, mag sie auch noch so sehr 
im einzelnen von den Grundgesetzen der sich ent- 
wickelnden nordamerikanischen Staaten beeinflußt 
sein, wie G. Jellinek gezeigt hat (Die Erklärung 
der Menschen= und Bürgerrechte?2, 1904, wozu 
übrigens zu vergleichen N. Paulus in den Histor.= 
polit. Blättern CXXXV (19051 625 ff), atmet 
Rousseauschen Geist. Und was die Praxis an- 
langt, so „ließ sich“, wie Gierke (Althusius 204) 
sagt, „die Doktrin Rousseaus vielleicht in Einzel- 
heiten, nicht aber im Prinzip überbieten. In der 
Tat vermochten die extremen Parteien der fran- 
zösischen Revolution in dieser Richtung nichts als 
eine möglichst vollständige Durchführung der Ideen 
des Contrat social zu planen, und die rerolu- 
tionäre Theorie konnte nicht nur die Prinzipien 
ihres Meisters nicht weiter steigern, sondern sah 
sich sogar vielfach durch die Akkommodation an 
das Leben zu deren Abschwächung gezwungen“ 
(man denke an die Repräsentation auch bei der 
Gesetzgebung und die Hinneigung zur Teilung 
der Gewalten, worüber E. v. Meyer, Französische 
Einflüsse auf die Rechts= und Staatsentwicklung 
Preußens 111907] 188 ff). Der junge J. G. Fichte 
ist Rousseaus treuer Schüler; Kants Staatslehre 
hat ihm vieles entnommen. Er ist, wenn auch 
mit manchen Abschwächungen, der vorbildliche 
Autor der radikalen Demokratie geblieben. Wenn 
wir über eine Reihe von politischen Sätzen Rous- 
seaus auch nicht mehr dasselbe Urteil fällen, wenn 
wir seinem Kampf für Freiheit und bürgerliche 
Selbstbestimmung an sich auch durchaus nicht mehr 
so ablehnend gegenüberstehen wie die Männer des 
absolutistischen ancien régime, so sind doch ins- 
besondere die Aufhebung des der Rousseauschen 
Formel sich nicht ohne weiteres fügenden positiven 
Rechts, die Leugnung einer andern Begründung 
der Souveränität als aus einem Vertrag der In- 
dividuen, die ganze Art, wie die Rechtfertigung 
des Staats und die Bestimmung seines Zwecks 
allein auf die individuelle Freiheit gestellt wird, 
ebenso unvereinbar mit der theistisch-teleologischen 
Anschauung, wie manche andere Elemente des 
Rousseauschen Radikalismus: die Abweisung des 
Repräsentationssystems, die Beschränkung des 
Staats auf Kantonsgröße usw., der tatsächlichen 
Entwicklung widerstreiten. 
Literatur. Neben den älteren Sammelaus- 
gaben der Werke R.s von Du Peyrou (17 Bde, 
Genf 1782 ff) u. Abbé Brigard u. De I'Aulnay 
(39 Bde, Par. 1793 ff) sind zu nennen die voll- 
ständigeren, neueren Ausgaben von G. Petitain 
(22 Bde, Par. 1820 u. ö.) u. Musset-Pathay 
(23 Bde, Par. 1823/26, mit gutem Register. Da- 
zu Euvres inédites de R., 2 Bde, 1825), die vier- 
bändige Didotsche Ausgabe, sowie der oft aufgelegte 
neuere Abdruck bei Hachette (13 Bde, zuerst 1865). 
In das Deutsche übersetzt wurden die „Sämtlichen 
Werke“ von K. F. Cramer (11 Bde, Berlin 1799), 
„Ausgewählte Werke“ von Gleich (1830) u. von 
Rousseau. 
  
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J. H. G. Heufinger, mit Einleitungen von Ph. A. 
Becker (1900). Ergänzungen auf Grund der Hand- 
schriften bieten G. Streckeisen-Moultou, (Euvres 
et correspondances inédites (Par. 1861), Th. 
Dufour, Pages inédites de J.-J. R. (Annales de 
la société de J.-J. R. 1 I1905) 179/245; II (1906I 
153/270. Ebendort IV [1908] 1/276 die erste Re- 
daktion der Confessions IIIV); ferner die Ver- 
öffentlichungen auch sonst zeitgeschichtlich wichtiger 
Korrespondenzen R.s von Bosscha (1858), G. 
Streckeisen-Moultou (J.JJ. R., ses amis et ses 
ennemis, 2 Bde, 1865), A. Jansen (J.-J. R. Frag- 
ments inédits. Recherches biographiques et 
littcraires, 1882) u. H. Rothschild (1892), sowie 
Un testament littéraire, publié par O. Schultz- 
Gora (Halle 1897). — Für den Contrat social 
ist von großer Wichtigkeit die Spezialausgabe von 
E. Dreyfus-Brisac (Par. 1896), welche außer dem 
definitiven Text die älteren Aufzeichnungen nach 
den Manuskripten von Genf u. Neuenburg sowie 
eine wertvolle Einleitung u. Noten gibt. Erklä- 
rungen bieten auch die Ausgabe von Beauvalon 
(1903) sowie die englischen Übersetzungen des 
Contrat von M. Harrington u. E. L. Walter 
(Neuyork 1893) u. von Tozar (ebd. 1896). 
Von allgemeineren Werken über Leben u Schrif- 
ten R.s, in denen freilich seine staatsphilosophischen 
Werke meist nur literarhistorisch behandelt werden, 
seien genannt: Musset-Pathay, Histoire de la vie 
et des ouvrages de R. (2 Bde, 1821). H. G. 
Morin, Essai sur la vie et le caractère de J.-J. 
KR. (1851). F. Brockerhoff, J.-J. R., sein Leben 
u. seine Werke (3 Bde, 1863/74). Moreau, J.—. 
R. et le sieche philosophique (1870). Th. Vogt, 
R.s Leben (Sitzungsber. der Wiener Akademie der 
Wissensch., 1871. Von Vogt auch die Rl.biographie 
in E. v. Sallwürks erklärender Ausgabe des „Emil“ 
(51894, in der 4. Aufl., 1907, durch eine Lebens- 
beschreibung von Sallwürk ersetzt)). John Morley, 
R. (Lond. 1873). Saint-Marc-Girardin, J.-J. R., 
sa vie et ses ouvrages (1875). R. Mahrenholtz, 
I.-J. R.8 Leben, Geistesentwicklung u. Hauptwerke 
(1889). H. Beandouin, La vie et les S#uvres de 
J.-J. R. (2 Bde, 1891). J. Fleuriaux, J—. R., 
sa vie et ses Geuvres (1895). Harald Höffding, 
R. u. seine Philosophie (1897, 1902). A. Chuquet, 
J.- J. R. (21901). Frederika Macdonald, J.J.AR. 
A new Stucdy in Criticisme (2 Bde, 1906). Ludw. 
Geiger, R., sein Leben u. seine Werke (1907). Paul 
Hensel, R. (1907). Jules Lemaitre, R. (1907).— 
Über R.s Vorfahren u. seine Familie bieten viel 
Neues L. Dufour, Les Ascendants de J.J. R. 
(1890) u. Eug. Ritter, La famille et la jeunesse 
de J.-J. R. (1896). Einzelne Perioden behandeln 
u. a. A. Houssaye, Les Charmettes, J.-J. R. et 
Madame Warens (1863). L. Ducros, J.-J. R.: De 
Geneve à ’Hermitage, 1712/57 (1908, eine scharfe 
Verurteilung R.s in seinem Verhalten gegen d'Alem- 
bert, Diderot, Grimm usw.). F. Berthoud, J.Jv 
R. au Val de Travers, 1762/65 (1881). Ed. Rod, 
Hraffaire J.-J. R. (1906, über die Vorgänge bei u. 
nach Verurteilung des Contrat social in Genf). A. 
Bougeault, Etude sur I’état mental de J.-J. R. et 
Sa mort à Ermenonville (1883. Behauptet Selbst- 
mord des von Wahnideen umdüsterten R. — eine oft 
widerlegte Fabel). Vom medizinischen Standpunkt 
aus bespricht das Leben R.3 P. J. Möbius, IJ.-J. 
R.s Krankengeschichte (1889; wiederabgedruckt in 
Möbius' Ausgewählten Werken I (19031). Über 
247
	        
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