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zerfällt: in die den Randgebieten sich anschließende
Ubergangszone, die bei natürlicher oder künstlicher
Berieselung die Bedingungen für Anbau und Be-
siedlung oder wenigstens Weideplätze für die Her-
den der Nomaden bietet, und in das Gebiet der
echten Wüste, wo infolge der kontinentalen Hitze
die Wasseradern versiegen und die tiefsten Stellen
von Kewiren eingenommen werden, schlammigen
Salzsümpfen, die im Sommer verdunsten und
eine dicke Salzkruste hinterlassen. Das Kultur-
land beträgt an 10 (nach andern 20)⅝% der
Gesamtfläche, das Steppengebiet 10 (nach andern
25) %, der Wald an 5% ; der Rest (50—75 %)
ist Wüste, Brachland und Unland.
Die Bevölkerung war einst wesentlich
dichter, wie die Geschichte und die Trümmer alter
bedeutender Ansiedlungen an Stellen beweisen, die
heute Wüste oder Steppe sind. Von den etwa
9 Mill. Einwohnern, die heute Persien zählen
mag (nach andern nur 7 ½), sind etwa ¾ an-
sässig, / Nomaden. Der rein iranische Typus
der ansässigen Bevölkerung (der Tadschike) ist seit
Beginn des 7. vorchristlichen Jahrh. infolge der
Überflutung des Reichs mit fremden Stämmen
(Assyrier, Araber, Mongolen, Türken, Afghanen
us w.) stark verändert worden; am reinsten haben
ihn die wenig zahlreichen Feueranbeter bewahrt.
Die herrschende Schicht bilden die Turktataren,
die in den Steppen des Innern, in Chorassan,
Irak Adschmi, Aserbeidschan und Kurdistan, um
Teheran, Täbris, Ispahan usw. als Hirten sitzen.
An 23% der Bevölkerung leben in den (99)
Städten. Die Städtebewohner waren bisher mit
Ausnahme der Gewerbesteuer für die Handwerker
und Kleinhändler zu keinen direkten Abgaben ver-
pflichtet. Die wichtigsten Elemente der Stadt-
bevölkerung sind der Handelsstand, bei dem im
allgemeinen die vier Arten der Tadschir (die Han-
delsherren, die den Einfuhr= und Ausfuhrhandel
und den Warenhandel zwischen den Städten im
Innern besorgen), der Serafs (Wechsler), der
Binekdars (Großhändler) und der Kleinhändler
unterschieden werden, ferner die Handwerker, die
eine weitgehende Gewerbefreiheit genießen und sich
nach ihren einzelnen Gewerbebetrieben (sunf)
unter einem Vorsteher, dessen Würde vielfach in
gewissen Handwerkerfamilien erblich ist, zu einer
Organisation zusammenschließen.
Dem Bauernstand gehören an 55% der Be-
völkerung an. Während früher der freie Bauernstand
weit zahlreicher war, gibt es jetzt nur wenig freie
Bauern, die Herren auf eigner Scholle sind. Die
meisten bewirtschaften als Pächter das Land eines
Gutsherrn (Angehörige des geistlich-richterlichen
Standes, Kaufleute der Städte, Mitglieder adliger
Familien), der vom Bauern Steuern und jährlich
einige Tage Frondienst empfängt, mehr oder minder
die Polizei- und Patrimonialgerichtsbarkeit über
sein Dorf ausübt und infolge seiner höheren Stel-
lung sie wohl vielfach zu bedrücken vermag, aber
auch meist in seinem eignen Interesse (da er die
Persien.
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Steuern an den Staat zu entrichten hat) gegen
die Ubergriffe der Regierungsbeamten oder anderer
Gutsherren schützt. Ein großer Teil des Landes
und vielfach des besten ist Krongut, dessen Ver-
waltung unter dem alten absoluten System eine
klägliche war; es wurde entweder verpachtet oder
durch Vertreter verwaltet oder an Stelle des Ge-
haltes zur Nutznießung überlassen.
Die Nomadenstämme (Ilat) sind entweder
noch ganz nomadische, mit Viehzucht und Raub
beschäftigte Wanderstämme, die im Winter in den
wärmeren Niederungen, im Sommer auf den Ge-
birgen ihre Zelte ausschlagen und jahraus jahrein
dieselben Weideplätze einnehmen, oder Halbnoma-
den, die im Sommer ihre Herden in die Gebirge
treiben, sonst aber in ihren Winterorten einen
festen Wohnsitz haben, wo sie den Ackerbau als
Nebenbeschäftigung treiben bzw. durch ihre Knechte
besorgen lassen. Die Nomadenbevölkerung, die in
ihrer Mehrzahl die Grenzgebiete Persiens bewohnt,
setzt sich (nach Schindler) zusammen aus Arabern
(an 52 000 Familien), türkischen Stämmen (Ta-
taren, Turkmenen, Mongolen; an 144000 Fami-
lien), Kurden und Leks (135000), Belutschen
und Zigeunern (4200), Bachtiaren und Luren
(46 800 Familien). Jeder Stamm hat sein
Stammesoberhaupt (Ilchani), dessen Stellung
meist erblich ist (bei einigen ist noch eine demo-
kratische Verfassung erhalten geblieben); ihnen
unterstehen die Chefs der Abteilungen und Zweige,
in die die Stämme zerfallen. In innern Angelegen-
heiten sind sie ziemlich unabhängig von der Re-
gierung in Teheran, an die sie nach Zelten oder
Herden bemessene vereinbarte Steuern entrichten;
auch sind sie verpflichtet, eine Anzahl völlig aus-
gerüsteter Reiter und Soldaten zu den Truppen
zu stellen. Einer schwachen Zentralgewalt ver-
weigern die Stämme vielfach die rechtzeitige Zah-
lung des Tributs. — Neben diesen Volkselementen
gab es noch eine geringe Anzahl von Sklaven,
die entweder als Eunuchen im Haremsdienst ver-
wandt oder mit Haus= und Feldarbeit beschäftigt
wurden; die Einfuhr von Sklaven über See war
schon seit 1848 verboten, die über Land ist seit
1890 durch den Schah Musaffer ed-din, der sich
1889 an der Brüsseler Antisklavereikonferenz be-
teiligte, ebenfalls untersagt. — Von fremden Na-
tionen sind am stärksten vertreten Rußland (an
400 Untertanen), Großbritannien (etwas weniger),
Deutschland (an 80) und Frankreich (kathol.
Missionäre).
III. Staatswesen. Seit dem Erlaß des durch
die Revolution 1906 erzwungenen Grundlegenden
Verfassungsgesetzes vom 5. Aug. 1906 und des
Ergänzenden Verfassungsgesetzes vom 8. Okt. 1907
ist Persien in die Reihe der konstitutionellen Mon-
archien eingetreten. Begreiflich ist bei der bis-
herigen Entwicklung der Lage in Persien, daß
viele Zustände und Mißstände, die das alte Sy-
stem geschaffen hat, seither nicht mit einem Schlag
beseitigt werden konnten und viele Bestimmungen