Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

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stimmte Prüfung bestanden haben, als Freiwillige 
zweiter Kategorie nur zwei Jahre zu dienen und 
treten dann zur Reserve über. Die Mannschaften 
der Flotte dienen 10 Jahre, davon 5 aktiv, 5 in 
der Reserve. Bei den Kosaken beginnt die Dienst- 
pflicht mit Vollendung des 19. Lebensjahrs, um- 
faßt 1 Jahr vorbereitender Ausbildung im Hei- 
matsdorf, während der sich der Kosak Pferd, 
Bewaffnung und Kleidung selbst beschaffen muß, 
4 aktive Dienstjahre im ersten, 4 im zweiten, 4 
im dritten Aufgebot und 5 Jahre in der Ersatz- 
kategorie, die nur zur Ergänzung im Krieg dient. 
Außerdem gehören alle wehrfähigen Kosaken ohne 
Altersgrenze zur Heereswehr, die nur bei außer- 
gewöhnlicher Kriegslage durch den Kaiser aufge- 
boten wird. Die Kosaken bilden im Frieden 35 
Regimenter. — Die Präsenzstärke und das Re- 
krutenkontingent wird alljährlich im Weg der Ge- 
setzgebung bestimmt; falls dies nicht bis zum 
1. Maij jedes Jahrs zustande gekommen ist, wird 
die erforderliche Anzahl von Mannschaften, jedoch 
nicht mehr als im Vorjahr, durch kaiserliche Ver- 
ordnung einberufen (1909: 456 635 Mann). 
Gesetzliche Veränderungen der Wehrordnung sind 
beabsichtigt. Uber die Wehrpflicht Finlands s. unten. 
Das Europäische Rußland mit Finland und 
dem Kaukasus ist territorial in 8 Militärbezirke 
(Kasan, Kaukasus, Kijew, Moskau, Odessa, St 
Petersburg, Warschau und Wilna) eingeteilt, 
wozu als 9. noch der Bezirk des Donheeres kommt. 
Die 26 Armeekorps bestehen in der Regel aus je 
2 Infanteriedivisionen mit 2 Feldartilleriebrigaden 
(Garde= und Grenadierkorps haben 3 Divisionen 
und 3 Brigaden) und 1 Kavalleriedivision mit 
I reitenden Artillerieabteilung (bei 6 Armeekorps 
keine Kavallerie). In Russisch-Asien bestehen die 
4 Militärbezirke Turkestan, Omstk, Irkutsk und 
Amur; die Truppen in Turkestan sind in 2, die 
in Sibirien und im Amurgebiet in 3 Armeekorps 
vereinigt. Im einzelnen bestehen mit den außer- 
halb des Korpsverbands stehenden Truppen im 
gesamten Reich 1314 Bataillone Infanterie, 809 
Eskadrons Kavallerie, 650 Batterien Artillerie, 
288 Kompagnien Festungsartillerie, 325 Kom- 
pagnien Ingenieurtruppen. Mit der im Frieden 
dem Finanzminister unterstellten und militärisch 
organisierten Grenzwache, der Gendarmerie und 
den Kosaken beträgt die Friedensstärke etatmäßig 
1384000 Mann. 
Die Kriegsflotte besteht aus der Ostsee- 
flotte, der Flotte des Schwarzen Meers, der Sibi- 
rischen Flotte und der des Kaspisees; sie zählte 
1909 insgesamt 413 Fahrzeuge (13 Panzer- 
schlachtschiffe, 14 Kreuzer, 62 Torpedoboot- 
zerstörer, 98 Hochseetorpedoboote, 31 Untersee- 
boote usw.)mitzusammen 626 500 Tonnen Wasser- 
verdrängung, 1471711 indizierten Pferdekräften, 
2729 Geschützen, 564 Lancierrohren und einer 
etatmäßigen Besatzung von 45 Admiralen, 979 
andern Offizieren, 384 Fähnrichen, 114 Kadetten, 
295 Arzten, 406 Mechanikern, 40 800 Matrosen. 
Rußland. 
  
800 
VIII. Staat und Kirche, Kirchen. Die 
Staatsreligion des russischen Reichs ist die „christ- 
liche, orthodoxe, katholische, östlicher Konfession“; 
die orthodoxe genießt als „herrschende“ besondern 
staatlichen Schutz. Sie allein hat nach dem Straf- 
gesetzbuch von 1903 das Recht, die nicht zu ihr 
gehörigen Untertanen zur Annahme ihrer Lehre 
und ihres Glaubens zu überreden; Mischehen 
zwischen Orthodoxen und Angehörigen anderer 
christlicher Konfessionen durften nur von dem 
orthodoxen Geistlichen vollzogen werden und nur 
dann, wenn der andersgläubige Teil einen Revers 
unterzeichnete, die Kinder in der orthodoxen Kirche 
taufen und erziehen zu lassen. Wer einen Ortho- 
doxen durch „Gewalt, Nötigung oder Verführung 
mittels eines Versprechens von Vorteilen“ seiner 
Kirche abwendig machte, wurde mit Festungshaft 
bestraft, ebenso wer einen Christen zur Annahme 
einer nichtchristlichen Konfession mit denselben 
Mitteln verleitete. Der Übertritt eines Christen zu 
einem nichtchristlichen Bekenntnis war untersagt. 
Die Staatskirche dagegen hat mit Unterstützung des 
Staats stets Propaganda unter den Nichtortho- 
doxen gemacht und besonders die katholischen Unier- 
ten sind unter Elisabeth I., Katharina II., Niko- 
laus I. und Alexander III. zu Hunderttausenden 
mit Gewalt der Orthodoxie zugeführt worden. Erst 
durch die Toleranzerlasse vom 17. (30.) April und 
17. (30.) Okt. 1905 wurde ihre bevorrechtete Stel- 
lung einigermaßen geschwächt und den übrigen 
Glaubensgesellschaften etwas Freiheit ihr gegen- 
über zugestanden (so besonders Freiheit des Aus- 
tritts ohne Genehmigung der Regierung, der nur 
eine Anzeige zu machen ist; Aufhebung der Be- 
stimmung, wonach Kinder aus Mischehen stets 
orthodox sein mußten usw.), die allerdings durch 
die Willkür der unteren Verwaltungsorgane seit- 
her zum großen Teil wieder illusorisch gemacht 
wurde. Der Keiser ist der Beschützer der ortho- 
doxen Kirche und Inhaber der staatlichen Auf- 
sichtsrechte und in diesem Sinn das Haupt der 
Kirche, nicht aber der summus episcopus, der 
über Lehre und Disziplin entscheidet. Die selbst- 
herrschende Gewalt wird in der Kirche ausgeübt 
durch den vom Kaiser eingesetzten Heiligen Synod, 
der an die Stelle des von Peter d. Gr. 1721 nicht 
wieder besetzten Patriarchats trat. Der Heilige 
Synod ist ein Kolleg von (in der Regel 12) 
Metropoliten, Erzbischöfen und Bischöfen, die 
vom Kaiser berufen werden (außer 7 ständigen 
Mitgliedern eine Reihe von Bischöfen zur zeit- 
weiligen Teilnahme); den Vorsitz führt der Me- 
tropolit von Nowgorod und St Petersburg. Dem 
Synod unterstehen alle geistlichen Angelegenheiten 
der orthodoxen Kirche, Kirchenordnung und Holizei, 
Schutz des Glaubens, Wahl der Geistlichen, Auf- 
sicht über die bischöfliche Verwaltung, das geist- 
liche Unterrichtswesen, das geistliche Disziplinar= 
gericht und die höchste Entscheidung in Eheschei- 
dungssachen; in den gesetzgeberischen Angelegen- 
heiten, welche die Kirche angehen, hat der Synod
	        
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