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waren Anteilland der Bauern, 39,1 %% im Besitz
der Krone, der Kirche, der Klöster und sonstiger
Körperschaften.
1. Der Privatbesitz ist am stärksten im We-
sten und Nordwesten (in Estland 73,9%); ein
beträchtlicher Teil des privaten Landes (15,5%)
steht im Eigentum von Genossenschaften, Gesell-
schaften und Dorfgemeinden, ist kollektiver Privat-
besitz. Von dem persönlichen Privateigentum ge-
hören über ⅝ dem Adel, fast ½/2 den Kaufleuten
und Ehrenbürgern, ½ den Bauern, der Rest
Geistlichen, Kleinbürgern und Sonstigen. Der
Besitz des Adels herrscht im Westen vor (in den
baltischen Provinzen 84, im Nordwestrayon
78,9 % des Einzelbesitzes); gegen 1877 ist er um
30 % gefallen (am wenigsten in den baltischen
Provinzen), und er geht noch immer zurück, ob-
wohl die 1885 gegründete, vom Staat unterstützte
Reichs-Adels-Agrarbank das Ziel verfolgt, den
Adel auf seinen Gütern durch Gewährung von
billigen Hypotheken und Kredit zu erhalten. Ur-
sachen des Rückgangs sind der Mangel an billigen
Arbeitskräften seit Aufhebung der Leibeigenschaft
und der Frondienste, ungünstige Zusammensetzung
der Güter seit der Herauslösung des Anteillands
der Bauern usw., teils auch die Unruhen der
letzten Jahre. — Der bäuerliche Privat-
besitz ist erst seit der Bauernbefreiung entstanden
und ist am stärksten im Norden und im südlichen
Steppengebiet, am schwächsten da, wo der adlige
Grundbesitz vorherrscht. Die Kaufleute und Ehren-
bürger haben am meisten Grundbesitz in den Gou-
vernements der Mitte und der Seengegend, wo
die Industrie sich am ehesten entwickelte. Der
Besitz der Ausländer ist besonders stark in Bess-
arabien, Wolhynien und Estland, der der Geist-
lichen in Taurien und Poltawa. Der bäuerliche
Privatbesitz hat seit 1877 zugenommen auf Kosten
des adligen Besitzes, ebenso der der Kaufleute in
den Industriezentren.
Nach der Größenklasse hatten von den 752 881
Betrieben des Privatbesitzes 663 860 Betriebe mit
9,74 Mill. Deßjätinen eine Größe bis zu 100 Deß-
jätinen, 75 170 Betriebe mit 23,9 Mill. Deßjäti-
nen eine solche zwischen 100 und 1000 Deßjätinen,
13851 mit 52,17 Mill. Deßjätinen eine Größe
von mehr als 1000 Deßjätinen. Der Großgrund-
besitz, meist in den Händen des Adels, der Kauf-
leute, Ehrenbürger und zum Teil der Ausländer,
herrscht vor im Osten, Südosten und in den bal-
tischen Provinzen (in Estland 58 % aller Güter),
d. h. entweder in den Eroberungsgebieten und im
trocknen Gebietsgürtel, wo nur ein extensiver Be-
trieb rentabel ist; zum großen Teil ist er an
Bauern verpachtet, die statt der Geldpacht ein
Stück des Gutslands bestellen und die Ernte ein-
zubringen haben. Der Kleinbesitz, meist in den
Händen der Bauern und Geistlichen, ist besonders
in den nördlichen Gouvernements und zwischen
Dujepr und Don, der mittlere im Zentrum und
im mittleren Steppengebiet verbreitet. Der kollek-
Rußland.
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tive Privatbesitz kommt hauptsächlich in den Gou-
vernements des Zentrums und Ostens vor; die
Mitglieder dieser Vereinigungen sind zum größten
Teil Bauern, die sich zwecks Ankauf von Lände-
reien zu Genossenschaften zusammengeschlossen
haben, Dorfgemeinden, auch kaufmännische und
gewerbliche Vereinigungen (Zuckerfabriken, Berg-
werke usw.); er ist ganz überwiegend Kleinbesitz,
nur bei letzteren mehr Großbesitz.
2. Das Anteilland (Nadjelland) ist das
eigentliche Bauernland, für das zwei Besitzformen
gelten: das Gemeindeeigentum und das Hofeigen-
tum. Das Gemeindeeigentum, der Mir, ist Eigen-
tum der Gesamtgemeinde; der einzelne Bauer hat
Eigentumsrecht nur an seinem Hof, am gemein-
samen Land dagegen nur ein Nutzungsrecht. Das
Anteilland wird immer nach einer Reihe von
Jahren unter die männlichen Erwachsenen („See-
len") durch Los neu verteilt. Seinem Ursprung
nach ist es das bei der Bauernbefreiung durch
Alexander II. den Bauern angewiesene Land, das
vorher teils den Grundherren teils dem Domänen-
besitz teils der Apanagenverwaltung gehört hatte.
Es war mit den an den Staat zu entrichtenden
Ablösungszahlungen belastet, durfte weder ver-
äußert noch hypothekarisch belastet werden. Für
die zu zahlende Loskaufsumme war die Gemeinde
solidarisch haftbar, ebenso für die Steuern und für
alle andern öffentlichen Lasten. Die Gemeinde
hatte infolgedessen eine Reihe von Rechten auf das
Vermögen und die Person ihrer Mitglieder, so
außer dem der Verteilung des Gemeindelands das
Recht, den mit der Zahlung der Steuern rückstän-
digen Bauern die Nutzung des ihnen zugewiesenen
Landes zu entziehen, den Austritt eines Bauern
aus der Samtgemeinde an Bedingungen zu
knüpfen, ja in den meisten Fällen unmöglich zu
machen; außerdem stand und steht ihr eine gewisse
Gerichtsgewalt zu (s. oben Sp. 794). Durch die
regelmäßige Umteilung des Landes glaubte man
die Verarmung des einzelnen zu verhüten. Da aber
bei der starken Volkszunahme der Anteil des ein-
zelnen bei jeder neuen Teilung geringer wurde und
der einzelne kein lebhaftes Interesse an der Ver-
besserung des Bodens haben konnte, so wurde nur
eine Massenverarmung erreicht. Die Aufteilung
des Gemeindelandes in privaten Besitz konnte er-
folgen, wenn ¾4 der Gemeindeversammlung da-
für stimmte. Infolge der von Stolypin einge-
leiteten, noch im Fluß befindlichen Agrarrefor-
men sind bereits einschneidende Veränderungen
erfolgt. Seit 1906 kann das Anteilland hypo-
thekarisch belastet werden, die Ablösungszahlungen
sind seit Beginn des Jahrs 1907 vollständig auf-
gehoben worden; seit dem Ukas vom 9. (22.) Nov.
1906 kann ferner jeder Bauer fordern, daß der
ihm nach Gemeinschaftsrecht zustehende Anteil am
Gemeindeland zu ständigem Eigenbesitz (Hofeigen-
tum), und zwar möglichst in einem zusammen-
hängenden Ganzen ausgeschieden wird, wobei ihm
das Nutzungsrecht am Weideland der Gemeinde
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